Yuppies gegen Afrikaner
Auf dem Theaterkahn machen Mitteleuropäer Erfahrungen mit der Migration
Da habe sich jemand den Kopf an der Realität gestoßen, sagt Sonja. »Aua.« So geht es ihr jetzt auch, ihrem Freund Oliver und vielleicht auch dem Publikum auf dem Dresdner Theaterkahn. Sonja und Oliver sind die Protagonisten eines neuen Stücks, das dort Ende September seine Uraufführung erlebte.
Als Hörspiel bekam »Die meisten Afrikaner können nicht schwimmen« aus der Feder des neuen Theaterkahn-Chefs Holger Böhme vor wenigen Monaten den renommierten Robert-Geisendörfer-Preis. Als Regisseur setzt Böhme sein Stück nun auch auf der Theaterbühne um. Zwei Stühle, Bühnenlicht: Die Kulisse von Ausstatter Carsten Nüssler ist hier auf das Wesentliche reduziert. Bühne frei für Marie Bretschneider und René Geisler in den Rollen von Sonja und Oliver.
Die beiden verkörpern ein Yuppie-Pärchen, das eine öffentliche Beichte ablegen will. Sie berichten von einer Urlaubsreise mit fatalem Ausgang. Ein Segeltörn im Mittelmeer brachte Sonja und Oliver mit den globalen Flüchtlingsströmen in Berührung. Subtext der Haupthandlung ist die Krise des Paars. Eine schwierige Ausgangslage haben Marie Bretschneider und René Geisler da zu meistern: Eine gewisse inhaltliche Überfrachtung ist zu bemerken, wenn Sonja und Oliver nicht nur mit dem auf dem Mittelmeer Erlebten, sondern auch mit schweren Beziehungsproblemen kämpfen.
Die beiden Schauspieler meistern die Herausforderung souverän. Ihnen ist es zu verdanken, dass das Spiel nicht im Klischee erstickt, das im Stück angelegt ist. Die beiden Figuren sind gut situierte Thirtysomethings wie aus dem Kapitalismus-Bilderbuch: Sonja die äußerlich toughe Marketingfrau mit verheimlichter Entscheidungsfurcht, Oliver ein scheinbar ebenso veranlagter Architekt. Zu einem Kind können sich die beiden wegen Beziehungszweifeln nicht durchringen. Immerhin reicht es noch zu einem Entspannungsurlaub auf Papas Yacht im Mittelmeer.
Bei der Erzählung lassen Sonja und Oliver keine Gelegenheit aus, einander mehr oder weniger subtil zu demütigen. Bei Marie Bretschneider und René Geisler sitzt da jede Geste, jeder genervte Augenaufschlag und gibt einem schon sechseinhalb Jahre währendem Beziehungselend Ausdruck. Das Geschehen auf dem Meer enthüllt sich den Zuschauern dagegen erst sehr langsam.
Das Paar entdeckt nach einem Notruf auf dem Meer drei Afrikaner, die sich an die Überreste eines Schlauchboots klammern. Sie nehmen sie auf ihr Schiff, doch bald wird ihnen mulmig. Sehen die drei Geretteten wirklich aus wie Armutsflüchtlinge oder doch eher wie kriminelle Schleuser? Die Wahrnehmung ändert sich. Wann wird aus einem Schiffbrüchigen ein Flüchtling, wann eine Bedrohung? Oliver und Sonja lassen die Yacht auf ein Riff laufen und geben die drei Aufgenommenen einem ungewissen Schicksal anheim. Die meisten Afrikaner können nicht schwimmen …
Nun haben Sonja und Oliver Gewissensbisse. Sie klammern sich an jeden denkbaren glücklichen Ausgang wie an einen Strohhalm. Mit Larmoyanz versuchen sie von sich fern zu halten, was nach Verantwortung klingen könnte. Das gilt für das Politische wie das Private, dass sich in ihren Betrachtungen fortwährend mischt.
»Die meisten Afrikaner« liefert keine Analyse zu Fragen der Migration. Es schildert das Lamento gut situierter Mitteleuropäer über das Helfen Wollen und das Gefühl von Hilflosigkeit. Das Stück könnte auch dem Publikum einen Spiegel vorhalten, wenn es nicht ein Manko hätte: Sehr konstruiert wirken die Figuren von Sonja und Oliver. Das erlaubt allzu leichte Distanzierung vom Geschehen auf der Bühne. Der Zusammenstoß mit der Realität fällt aus. Auch zwei hervorragende Schauspieler können das nicht ändern. Wirklich schmerzhaft ist hier nichts.
Klaus Walldorf-Stettler
Die meisten Afrikaner können nicht schwimmen
Von Holger Böhme auf dem Theaterkahn. Regie: Holger Böhme.
Mit Marie Bretschneider und René Geisler
Nächste Vorstellungen: 30. August
www.theaterkahn.de