Tanz ist Gegenwartsbekenntnis
Das Vermächtnis Mary Wigmans, ihr Haus und ein Verein
Die zwölf Monate von 2016 wurden vom Dachverband Tanz Deutschland e.V. bundesweit als Jahr des Tanzes proklamiert. Die »Vielfalt und Kraft der Tanzszene – ob klassisch oder zeitgenössisch, ob HipHop oder Volkstanz« sollte in einer Internetplattform vernetzt und das Selbstverständnis der Tanzschaffenden gestärkt werden. Während dies in anderen Regionen nach Auflösungen von Tanzcompanies oder harschen Budgetstreichungen existenziell erscheint, agieren Tanzschaffende in Dresden zunehmend selbstbewusst. Jüngstes Beispiel: die Gründung des Vereins Villa Wigman für TANZ. Er hat die Zielstellung, das Gebäude kleine szene, Bautzner Straße 107 im Anschluss an dessen aktuelle Nutzung in »Villa Wigman für TANZ« umzuwandeln, in einen Produktions- und Vermittlungsort für Tanz. Die seit etwa zwei Jahren arbeitende Initiative unter Federführung von Katja Erfurth und Johanna Roggan stemmt sich damit mutig gegen einen drohenden Verkauf der historisch bedeutsamen Landesimmobilie und einer zukünftig kommerziellen Nutzung.
Manch einer erinnert sich noch mit Grausen, wie schnell Gret Paluccas Haus auf Hiddensee im Februar 2009 abgerissen und in ein privates Ferienhaus umgewandelt wurde. Eine damalige Initiative des Vereins der Freunde und Förderer der Palucca Schule Dresden konnte es als lebendigen Ort des Gedenkens nicht erhalten. Die über verschiedene Institutionen und Strukturen gut vernetzte junge Tänzergeneration stellt es bei der ehemaligen Kleinen Szene der Oper klug an und pocht nicht nur auf die historische Bedeutsamkeit des Ortes als Wiege des deutschen Ausdruckstanzes. Schon heute erinnert eine Gedenktafel an der schmucklosen Fassade daran, dass Mary Wigman hier 23 Jahre wohnte, tanzte, choreografierte und unterrichtete. Durch ihre Tanzgastspiele und das Wirken ihrer Schüler wurde der moderne Tanz weit in die Welt hinausgetragen und somit ist das Wigman-Haus neben dem Festspielhaus Hellerau oder dem Hygiene-Museum eine der steingewordenen Legenden der Moderne in einer Stadt, die liebend gern ihre alte barocke Pracht ausstellt.
Der junge Verein also legt gleich einen Nutzungsplan vor, wie das derzeit noch intakte Haus mit Ballettsälen, Büro- und Wohnflächen unter seiner Trägerschaft zukünftig genutzt und für die Öffentlichkeit weit geöffnet werden könnte: für künstlerische Produktion, Vermittlung und Austausch, regional wie auch national und international. Beifall kommt dafür von vielen Seiten. So hatte sich auch schon die Sächsische Akademie der Künste mit ihren renommierten Tänzerpersönlichkeiten Hanne Wandtke und Arila Siegert für den Erhalt der Wigman-Villa ausgesprochen. Viele ehemalige Tanzschaffende verweisen darauf, dass das Haus nach Kriegsende bis 1985 Proben- und Produktionsstätte des Balletts der Dresdner Staatsoper war, und am aktuellen Tanzgeschehen Interessierte erinnern sich an Aufführungen des Semperopernballetts oder Gastspiele und Premieren des Festivals Tanzherbst in der hier 1988 eröffneten Kleinen Szene.
Heute zeigt das Wigman-Haus und der gleichsam auf vielen Fotos der Wigman-Zeit verewigte Garten Anzeichen des Verfalls und ist als interne Probestätte der Semperoper für die Öffentlichkeit nicht mehr zugänglich. Die Kulturverantwortlichen der Region deuten die Zeichen der Zeit wohl richtig und haben den Verein schnell nach Gründung zu Gesprächen eingeladen. Kulturbürgermeisterin Annekatrin Klepsch kann sich eine kulturelle Nutzung durch einen Trägerverein vorstellen und signalisiert deutlichen Unterstützerwillen. Doch nichts geht ohne Beistand des Landes, dem die Wigman-Villa in den 1950er Jahren übereignet wurde. Der Verein traf sich deshalb auch mit Vertretern des Sächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst, das sich erst einmal auf den aktuellen Stand des Interessensgemenges zwischen Semperoper als derzeitigem Nutzer, der Sächsische Immobilien Baugesellschaft als Betreiber und dem Finanzamt als Befürworter eines Verkaufs bringen muss. Wenn sich Dresden als Bewerber für die Europäische Kulturhauptstadt durchsetzt, könnte das Vorhaben »Umnutzung Wigman-Haus und Finden einer langfristig funktionierenden Betreiberstruktur« konzeptioneller Bestandteil sein und würde sicher auch auf internationales Interesse stoßen.
Bei Facebook kann man sich schon heute über die Aktivitäten des Vereins informieren, öffentliche Aktionen, eine Internetseite und Werbematerialien für Unterstützer, Mitglieder oder Sponsoren sind in Vorbereitung.
Sonja Hauser