Neuinszenierung geglückt

„Ariadne auf Naxos“ in der Semperoper

Am ersten Advent wartete die Sächsische Staatsoper (Semperoper) mit einer Neuinszenierung der „Ariadne auf Naxos“ von Richard Strauß auf. Diese Oper des früheren Dresdner Hofkapellmeisters, ein Beitrag zur Kammeroper mit reduzierter Besetzung, wurde mangels geeignet erscheinender Räumlichkeiten nicht in Dresden uraufgeführt, sondern in der Uraufführung, die nur ein Vorspiel zu Moliéres „Der Bürger als Edelmann“ war, in Stuttgart und die heute maßgebliche Neufassung der jetzt eigenständigen Oper in Wien.

Die Oper, eines der erfolgreichen Gemeinschaftswerke des Komponisten mit Hugo von Hofmansthal als Librettisten, verbindet in satirischer Weise opera seria und opera buffo. In der Rahmenhandlung, die sich im als eigenständiger erster Akt ausgestalteten Vorspiel niederschlägt, klagt das Duo aus Komponist und Librettist das dekadente Mäzenatentum neureicher „Emporkömmlinge“ an. Ein reicher Wiener hat für sich und seine Gäste bei einem jungen Komponisten eine Oper in Auftrag gegeben. Zur Erbauung seiner Gäste, die er nicht durch eine ernste Oper ermüden möchte, soll zudem ein Rokoko-Luststück aufgeführt werden, bevor der Abend in einem Feuerwerk endet. Während der Komponist, eine der Straußschen Hosenrollen für Sopran, noch befürchtet, seinem Werk könne durch das Luststück der Erfolg streitig gemacht werden, kommt es noch schlimmer: Der Mäzen, dem vor allem an der Unterhaltung seiner Gäste und dem pünktlichen Beginn des Feuerwerks gelegen ist, verlangt unter Berufung darauf, er habe schließlich bezahlt, die Oper mit dem Luststück gleichzeitig aufführen zu lassen, beide also miteinander zu verbinden. Diese Mitteilung wird durch den Haushofmeister verkündet, eine Sprechrolle, für die der Intendant der Mailänder Scala, Alexander Pereira, gewonnen werden konnte. Die Hauptfigur dieses Vorspiels, der verzweifelte Komponist, gesungen von Daniela Sindram, der nur die Ernsthaftigkeit kennt, beklagt die Respektlosigkeit vor dem ernsten Werk, schickt sich aber schließlich, weil er das Geld dringend nötig hat, in sein Schicksal.

In der einaktigen eigentlichen Oper wartet Ariadne (die mit dem Ariadne-Faden) wahlweise auf ihren Geliebten Theseus, der sie verließ, nachdem er sie auf der Insel Naxos ausgesetzt hatte (er wird seine Gründe gehabt haben) oder den Tod. Auf der anderen Seite vergnügt sich die promiskuitive Zerbinetta als Hauptdarstellerin des Rokoko-Lustspiels mit vier Verehrern, von denen schließlich der zunächst abseits auf seine Chance wartende Harlekin den Sieg davonzutragen scheint. Die drei unterlegenen Freier bemühen sich nun erfolgreich um die drei Nymphen, die im ernsten Handlungsteil Ariadne zu trösten versuchen. Zerbinetta, die Oberflächliche, empfindet Mitleid mit der trauernden Ariadne und versucht dieser eine andere Sichtweise auf das Leben und die Liebe zu vermitteln. Dabei wird sie aber zunehmend selbst ernsthaft und offenbart ihre Sehnsucht nach dem Richtigen, der ihr schließlich auch in der Person des Komponisten zuteil wird. Musikalisch werden diese beiden Hauptdarsteller des Opernteils durch Instrumentenzuordnungen identifiziert: der ernsthaften Ariadne ist das Harmonium zugeordnet, Zerbinetta das einen Anflug von Varieté-Musik transportierende Klavier.

Während sich die lebenslustige Zerbinetta also zur Ernsthaftigkeit verwandelt, fühlt sich der nur die ernsthafte treue Liebe kennende Komponist nicht zu der diese Haltung verkörpernden Ariadne hingezogen, sondern zu deren Antipoda Zerbinetta. Ariadne findet ihre Erlösung durch den auftretenden Bacchus (Dionysios), der unbeschadet der Zauberin Circe (reine Tanzrolle für Nicole Meier) entronnen ist (eine Verbindung die die griechische Mythologie nicht kennt, sondern Ovids „Metamorphosen“ entnommen ist) und den sie für den Todesboten Hermes hält. Auf diese Weise haben die beiden Schlingel, der Hofmannsthal und der Strauß, der dominanten Rahmenhandlung des durch den Mäzen zum Klamauk verhunzten Werkes einen feinen ernsten Spannungsbogen eingewoben, nämlich die Auflösung der beiden Lebens- und Liebeskonzepte im gewandelte Verständnis der Treue: „an dem Verlorenen festhalten, ewig beharren bis in den Tod – oder leben, weiterleben, hinwegkommen, sich verwandeln, die Einheit der Seele preisgeben, und dennoch in der Verwandlung sich bewahren.“

So wird die Liebe als Elixier der Verwandlung zum tiefgründigen Thema dieser scheinbar nur lustigen Oper. War es zu Beginn die ernsthafte Ariadne die wie ein Denkmal auf ihrer eigenen Gruft erstarrt zu sein schien, sind im Schlußbild der Komponist und Zerbinetta mit ihrer Truppe erstarrt. Verwandlung, offenkundig durch die Zauberin Circe, die ihre Liebhaber in Schweine verwandelt (Odyssee), aber auch Zerbinetta, für die jede neue Liebe Verwandlung ist, bis sie sich zur ernsthaft liebenden Statue verwandelt dort eins werdend mit dem sich dem Liebesleben öffnenden ursprünglich nur ernsten Komponisten. Ariadnes erste Verwandlung vom liebenden Leben des jungen Mädchens zur todessehnsüchtigen verlassenen Frau. Schließlich die gemeinsame Verwandlung mit Bacchus für ihn zum Gott, für sie zur von der Trauer Befreiten.

Ein besonderes Kompliment gebührt in dieser Neuauflage des zum ständigen Repertoire der Oper gehörenden Werkes der Inszenierung mit Bühnenbild und Kostümen. Die Zusammenführung der zwei Welten wird in der Weise in Szene gesetzt, daß auf der ernsten Opernseite eine nur sparsame Beleuchtung eine düstere Landschaft aus Ruinen klassischer Baukunst ausleuchtet, unterstützt durch die dunklen schlichten Kostüme der Darsteller der Ariadne-Handlung, während auf der gegenüberliegenden Seite eine hell ausgeleuchtete, kitschig fröhliche Gartenlandschaft mit blumenumwundener Schaukel die Welt des Rokoko-Lustspiels bildet mit Darstellern in farbenfrohen Rokoko-Kostümen. Auch für die Rahmenhandlung hat sich die Inszenierung Einiges einfallen lassen: Während das eigentliche Vorspiel in einer Backstage-Melange mit Umkleidekabinen und Flur stattfindet, hat die Inszenierung auch der Welt des Mäzens besondere Beachtung geschenkt.

Vor Beginn des Vorspiels und in der Pause zwischen Vorspiel und Oper wird die Tafel des Mäzens mit seinen Gästen im Rundbogen vor dem 1. Rang durch Pantomimen in Slow-Motion dargestellt. Mit glänzendem Minenspiel drücken die Schauspieler die überhebliche Dekadenz der Neureichen gekonnt aus. Diese Gesellschaft nimmt dann zu Beginn der Oper (nach der Pause) in einer der Seitenlogen Platz. Während der Schlußszene stürmen der Mäzen und seine Gäste auf die Bühne und mischen sich unter das Schlußbild, dort Selfies mit den ihre Rolle weiterspielenden Darstellern anfertigend. Auf diese Weise wird die Aussage der Respektlosigkeit des Mäzenatentums vor der Kunst augenfällig verstärkt. Eine sehr gelungene Idee.

Auch die musikalische Ausführung war durchweg gelungen. Krassimira Stoyanova in der Titelrolle und Stephen Gould als Bacchus überzeugen ebenso wie Daniela Sindram als Komponist. Dem amerikanischen Heldentenor Gould, der Engagements an der New Yorker Met, der Wiener Hofoper oder auf dem Grünen Hügel in Bayreuth vorweisen kann, wurde 2015 der Titel als österreichischer Kammersänger verliehen. Sein Können hat ihn zur gefragten Wunschbesetzung unter anspruchsvollen Dirigenten wie Daniel Barenboim, Riccardo Chailly, Andris Nelsons, Seiji Ozawa, Kent Nagano, Simon Rattle, Àdàm Fischer oder Zubin Mehta werden lassen. Und auch Christian Thielemann verpflichtet ihn immer gerne wieder. Die Sopranistin Stoyanova muß sich dahinter nicht verstecken. Mit regelmäßigen Auftritten an der New Yorker Met, der Wiener Hofoper, der Mailänder Scale oder dem Royal Opera House, Covent Garden, bei Zusammenarbeiten mit Riccardo Muti, Daniel Barenboim, Riccardo Chailly, Bernhard Haitink, James Levine, Zubin Mehta oder Mariss Jansons ist sie ebenfalls eine etablierte Größe der Weltopern-Szene.

Aber auch die Sopranistin Sindram ist bereits an der New Yorker Met, der Wiener Hofoper oder dem Royal Opera House, Covent Garden aufgetreten unter Dirigenten wie Zubin Mehta, Kent Nagano, Àdàm Fischer oder Helmuth Rilling. Die schwierigste Arie hat Strauß aber der Zerbinetta zugeordnet. An gewagtesten Koloraturen und Trillerketten, in Verzierungen jeder Art übertrifft diese Arie alle Anforderungen der klassischen, italienischen Schule. Die junge Österreicherin Daniela Fally, die auch bereits mit Dirigenten wie Nikolaus Harnoncourt, Àdàm Fischer oder Christoph Eschenbach zusammengearbeitet hat, meisterte ihre Rolle so überzeugend, daß sie nach ihrer großen Arie spontanen stürmischen Szenenapplaus nicht nur des Publikums, sondern auch von Maestro Thielemann erhielt. An dieser Sängerin werden wir noch viel Freude haben. Die Staatskapelle Dresden brillierte auch in der dem Werk geschuldeten spartanischen Besetzung unter Christian Thielemann in schon gewohnter Weise. Thielemann, der als Karajan-Schüler mit den Sängern atmet, schafft es immer wieder, nicht nur sein straff geführtes Orchester, sondern gerade auch in Einheit mit den Sängern jene zu Höchstleistungen zu fördern.

Die Neu-Inszenierung ist trotz vieler vorangegangener guter Ariadne-Produktionen – der Rezensent hat die Oper in Dresden zuletzt Ostern 2014 gehört und gesehen – eine Steigerung und daher eine absolut empfehlenswerte Bereicherung des Spielplans.
Ra.

Ariadne auf Naxos
von Richard Strauß. Semperoper. Musikalische Leitung Christian Thielemann, Inszenierung David Hermann. Nächste Vorstellungen: 8., 12. und 14. Dezember
www.semperoper.de