Kampfreiche Ode an den Frieden

Holger Kahls actionreicher "Shatterhand" auf der Felsenbühne Rathen

Foto: René Jungnickel

Schon seit 1938 heißt der Stärkste im Wehlgrund fast immer Shatterhand. Nur von 1943 bis 1984 nahm jener sich eine ideologische Auszeit. Seither verkörpert er wieder das Gute im gemeinen Sachsen und formte gemeinsam mit seinem Blutsbruder Winnetou hernach per humanistischer Lektüre Hunderttausende Besucher zu edlen Indianerverstehern und Cowboygegnern.

Seit 1995 war es Olaf Hörbe, hauptberuflich Schauspieler in Radebeul, vorbehalten, den Karl-May-Virus als sommerliche Epidemie zu pflegen. Acht Versionen schrieb er für die Felsenbühne – und sie liefen, liefen und liefen (um im Dreijahresrhythmus zu wechseln), sechs Mal führte er selbst Regie. Erst bei »Old Surehand« (2012) und Hörbes dritter Neufassung von »Winne­tou I« (2015) übernahm dann Manuel Schöbel die Inszenierung, wobei Surehand als Schöbels gelungenes Regiedebüt als neuer Landesbühnenintendant in die Annalen einging.

Schon in Hörbes sechstem Streich (»Der Ölprinz«) spielten Sandra Maria Huimann, Julia Vincze und Tom Hantschel mit, 2012 erfolgte dann das Debüt von Michael Berndt-Cananá, einst Dresdner Sportgymnasiast, als äußerst dynamischer Apanatschka, der nun seit zehn Jahren waschecht Winnetou himself spielt – und dies ab anno 2015 gemeinsam mit dem allerersten Rathener Winnetou der Neuzeit, Jürgen Haase, an der Seite tat, der 2006 schon mal unter großem Protest abgesetzt ward und zum »Ehrenschauspieler der Felsenbühne« ernannt wurde.

Nun wird er ergänzt vom prägendsten Rügener Störtebecker (2002 bis 2012) als Shatterhand, denn Sascha Gluth, mittlerweile selbst Theaterintendant in Wandlitz, tritt als Gast in die Nachfolge-Cowboystiefel von Haase, während in dessen 84er-Mokassins immer noch Berndt-Cananá steckt und Grian Duesberg wie 2015 den treuen Greenhornlehrer Sam Hawkens spielt.

Das ist alles höchst symbolisch, denn es gibt eine große Fangemeinde, die genau diese Besetzungen genau beobachtet und kommentiert – und nun nach neun langen Jahren ohne neuen Indio-Maystoff wieder in Scharen gen Rathen unterwegs sein wird, und genau weiß, wie Gluth als Old Shatterhand in Bad Segeberg 2019 und 2022 agierte.

Hörbes Fassungen waren Storys vom ursächsischsten grünbehörnten Landvermesser mit harter Faust, guter Seele und unzertrümmerbaren Freundschaft vor dem von Karl May prächtig angeprangerten Hinter- wie Abgrund der mählichen Ausrottung und Restreservierung der Ur-Amis mit Indi-Genen. Holger Kahl, seit Jahren auf den Freiluftbühnen und Filmsets mit seinen Awego-Pferde- und Stuntmännern und -frauen unterwegs, wählt für sein Abenteuerstück »frei nach Karl May« einen anderen Ansatz, in den er geschickt das Spiel seiner achtköpfigen Kaskadeurtruppe einflicht. Für ihn geht es nun von St. Louis nach El Paso an die mexikanische Grenze, seine Bahnstation heißt »Weißes Roß« statt »Little Paradise« und sein Coleman ist ein typischer Selfmade-Oligarch, der mit eigener Wachmannschaft (René Schobeß spielt den schmutzigen Ex-Sergeant Black Pete als Führungsoffizier des verwegenen Awego-Quintetts) das Städtchen in Coleman-City umwandelt. Er hat eine alkoholsüchtige Comanchenbande im Griff – und auch die erste Apachenbrigade ist schon auf dem Weg ins vermeintliche Reservationsparadies. Da stört sogar der Möchtegern-Gouverneur, ein aus Neapel eingewanderter Mafiosi namens Di Salvo, denn hier stehen Wahlen vor der Tür – und ein Friedensvertrag (statt -pfeife) soll helfen, die aufmüpfigen Apachenreste zu zivilisieren. All diese Gegensätze kumulieren dank Shatterhands Eingreifen, wobei ihm Sam und Winnetou ab und an beispringen müssen, denn Comanchen und Weiße kämpfen in der Regel nicht so fair.

Generell freut man sich nach Jahren immer über Parallelen und Widersprüche in den Rollenbesetzungen des grundsoliden Radebeuler Ensembles, die sicher oft Zufall sind: So sieht man Tom Hantschel (statt als Tante Droll) nun als zahnlosen Sheriff und Julia Vincze statt als Winnetou-Schwester als spanischsprachige Halb­apachin Rosita wieder, die statt Shatterhand einen guten irischen US-Offizier (Matthias Avemarg) per Ausritt in die Franklin-Mountains bezirzt. Und jene Rosalie Ebersbach von Sandra Maria Huimann wird nun zu Emma Davis, die – gemeinsam mit dem von ihr völlig überforderten Fotografen Billy in Form von Maximilian Bendl – als Klatschreporterin für die »New York Post« startend, letztlich die Intrige per Extrablatt aufdeckt. So müssen die mafiösen Gestalten unter Shame-Rufen und Abgesang wie herzlichem Publikumsapplaus schließlich flüchten.

Das Ganze wird vom Duo Kahl/Schöbel in eine erklärende Rahmenhandlung um den Dichter Karl May (Sascha Gluth in grünem Krokodilsleder) und ein kleines Zeitungsmädchen namens Emily (Maria Sommer) vom »Rathener Kurier« eingebettet und mit steter Livemusik des zwischen Blues und Mexican Country changierenden Wade Fernandez, eingeborener Menominee aus Wisconsin, meist per Gitarre begleitet. Und von Schöbel mit größtmöglicher Achtung der zahlreichen Reit- und Actionszenen, aber auch vor der Kernbotschaft als Pointe (rot-weiß-roter Frieden) inszeniert, wobei die Figurenfülle auf der Bühne oft zu viel Gewusel verursacht und man dank Microport-Einsatz nicht immer rasch erkennt, wer gerade wo spricht.

Die Hauptstränge funktionieren, die Helden überzeugen – ebenso die karikierten Konflikte, so zwischen Moritz Gabriel und Alexander Wulke als Polit- und Wirtschaftsboss. Die fast ganz volle zweite Premiere, sowohl vom Ex-Defa- als auch vom akuten Sachsen-Oberindianer besucht, ward trotz einstündigem Regen tapfer durchgespielt, was höchste Anerkennung gebietet. Und so steht die gesamte Inszenierung unter Mays aus »Und Friede auf Erden« (1901) geschickt eingebautem Credo: »Jedes Volk hat die heilige Pflicht, andere Völker sich ausleben zu lassen.«
Andreas Herrmann

Shatterhand. Von Holger Kahl frei nach Karl May, Regie: Manuel Schöbel, Musik: Wade Fernandez. Felsenbühne Rathen. Nächste Vorstellungen: 12. bis 14. Juli sowie 6. bis 8. September.
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