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Neue "Salome" an der Semperoper. Ein Interview mit Regisseur Michael Schulz

Die Semperoper pflegt das historisch auf sie gekommene Strauss-Repertoire und sucht mit den jährlichen Richard-Strauss-Festwochen dafür auch international Aufmerksamkeit und Vergleich. Die Strauss-Oper »Salome« nach Oscar Wildes gleichnamiger Dichtung wurde 1905 in Dresden uraufgeführt und setzte mit ihrem großen Orchester, dem rauschhaften Klang und der von Dekadenz und Begehren geprägten Handlung neue Maßstäbe. Nicht unproblematisch war damals der Stoff für die Residenzstadt, wie Strauss in einem Rückblick auf die Proben bemerkte: »Auf den Arrangierproben streikte die hochdramatische Frau Wittich … ab und zu mit dem entrüsteten Protest einer sächsischen Bürgermeistersgattin: ›Das tue ich nicht, ich bin eine anständige Frau‹ …«

Stattliche 99 Aufführungen besiegelten den Erfolg der Oper und nur zwei Jahre später hob sich der Vorhang für eine neue Inszenierung. Eine dekorativ aufwendige, im mystischen Morgenland spielende »Salome« in der Inszenierung von Joachim Herz gehörte denn auch zu den Premieren der ersten Jahre nach der Wiedereröffnung der Semperoper und Regisseur Peter Mussbach inszenierte hier 2005 »Salome« in einem Swimmingpool auf dem Dach. Nun kommt als Spielzeiteröffnung die mittlerweile siebente »Salome«-Inszenierung auf die Bühne der Semperoper. Regie führt diesmal Michael Schulz, Generalintendant des Musiktheaters im Revier Gelsenkirchen. In Dresden realisierte er bereits »L’elisir d’amore« und »Idomeneo«. SAX sprach mit dem Regisseur.

SAX: Das Thema und die Figurenkonstellation sind »verderbt«. Was daran ist historisch begründet im ausgehenden 19. Jahrhundert und warum schaut man dem bis heute so fasziniert zu? Gibt es etwas Positives darin?
Michael Schulz: Alle Figuren bei Oscar Wilde entsprechen nicht den Normen des 19. Jahrhunderts, die aber durchaus bis heute gültig sind. Überschreitung sexueller Tabus, dekadenter Genuss, alle gesellschaftliche Schichten aushebender Umgang miteinander ... Es ist bis heute die Faszination, in Abgründe zu schauen, um dann abschließend ein moralisches Gerüst für sich selbst zu finden. Die Charaktere in der Oper sind von großer Komplexität, nicht nur gesellschaftlich – überall versteckte Obsessionen. »Salome« wirft ein universelles menschliches Thema auf: Wohin treibt eine Gesellschaft den Einzelnen? Es kommt immer wieder der Punkt, dass unser Wertesystem von Außen in Frage gestellt wird. Wir müssen uns dann selbst befragen: Wie weit darf ich Freiheit ausnutzen, ohne andere zu beschädigen, um mich trotzdem entfalten zu können? Der Prophet Jochanaan als Gegenpol schwingt in der Oper eine seltsame Form der religiösen Moralkeule, der religiöse Wertedisput spielt in unserer Inszenierung jedoch keine vordergründige Rolle. Letztendlich geht es um moralische Konflikte von Menschen, wie sie miteinander umgehen in Familie und Öffentlichkeit.

SAX: Operninszenierungen definieren sich gegenwärtig sehr über das Visuelle. Wie ist der Raum gestaltet, in welcher Zeit ist Ihre Inszenierung angesiedelt?
Michael Schulz: Ich sehe für die Umsetzung meiner Inszenierungen immer auf die Entstehungszeit. Warum haben die Autoren in dieser Zeit gerade dieses Stück geschrieben? Obwohl Strauss gern mystische Themen gewählt hat, haben sie doch sehr viel mit ihm zu tun. Bei »Salome« ist Strauss in eine Überzeichnung gegangen, in die Groteske. Die 16-jährige Salome ist Sexualobjekt in dieser gesellschaftlichen Situation, zwischen Kind und Frau schwankend, ein aszendenter Typ. Es wird jedoch kein Missbrauch auf der Bühne gezeigt, obwohl das Thema immer stärker öffentlich thematisiert wird. Jenseits von Ideologien und Moralinstruktionen erzählen wir, dass Liebe bei ihr nur was mit Äußerlichkeit und Sex zu tun hat. Und in Jochanaans Worten ist viel Demagogie. Die ästhetische Umsetzung basiert im Heute und in der Entstehungszeit.

SAX: Ich bin sehr gespannt auf Jochanaan. In der Oper sitzt er eigentlich die meiste Zeit im Keller. Und wie darf man sich bei Ihnen Salomes Schleiertanz vorstellen, im Regieteam findet sich kein Choreograf?
Michael Schulz: Für mich ist Jochanaan auf der Bühne stetig präsent. Er ist den Ankerpunkt für Salome, er fasziniert sie und sie verwechselt das mit Liebe. Ihr im Libretto beschriebener Treff in der Zisterne könnte auch eine virtuelle Begegnung sein und eine Kommunikation mit den anderen über Jochanaan. Für Salome haben wir mit Jennifer Holloway eine großartige Sängerin, wahnsinnig attraktiv. Als Idealbild vereint sie für diese Partie Erscheinung und Stimme. Ihr Tanz mit den sieben Schleiern wird aus zwei Blickwinkeln erzählt, einmal aus Sicht des Herodes und dann des Jochanaan. Wir werden das mit heutigen theatralischen Mitteln spielerisch umsetzen.

SAX: Kennen Sie die Interpreten der Hauptrollen aus anderen gemeinsamen Arbeiten?
Michael Schulz: Ich habe noch mit keinem der Sänger zusammengearbeitet, freue mich aber sehr darauf. Mit Lance Ryan als Herodes kann man so viel szenisch machen, Christa Mayer ist Herodias, Markus Marquart der Jochanaan …Ich bin glücklich darüber, was ich für ein Ensemble habe. Die Semperoper ist ein ganz wichtiges Haus in der Reihe unserer Opernhäuser. Ein Spielplan hier fordert den ganz großen Spagat: ein Sehnsuchtshaus mit großer Tradition, als architektonisches Gebäude ein Touristentempel und trotzdem ein zeitgenössisches Theaterhaus. Ich finde, es gibt einen besonderen Spirit im Haus und in der ganzen Belegschaft. Das erlaubt genuines Arbeiten, gemeinsame Entwicklung auf allen Ebenen der Produktion.

SAX: Klingt diese opulente Musik für Sie noch modern, was ist das Besondere daran?
Michael Schulz: Ich habe persönlich keine Probleme, eine zeitgenössische Oper zu hören. Dissonanzen, schwer vermittelbare Melodien oder ungewöhnliche Klangerlebnisse behindern mich nicht in der Rezeption eines Werkes. Als Regisseur nähere ich mich sehr stark von der Musik. Ich war Fagottist und eigentlich versucht, Orchestermusiker zu werden. Ich bin von Kirchenmusik geprägt aber auch mit moderner Musik aufgewachsen. In ihrer musikalischen Gestalt hat »Salome« auch nach mehr als hundert Jahren sicher noch immer eine große Modernität, eine Musiktheatersprache, die viele Grenzen und Hörgewohnheiten aufbrach.


SAX: 1905 war die Uraufführung in Dresden ein gesellschaftlicher Skandal: Kann Musiktheater heute noch an so eine Dimension geistiger Aufgeregtheit heranreichen?
Michael Schulz: Ja. In der historischen Rückschau kann man feststellen, dass es immer Jahrzehnte gab, in denen kulturell besonders viel los war. Vielleicht sind es heute andere künstlerische Ausdrucksformen, die wirklich provozieren. Wie auch immer: Ein Museum darf Oper nicht sein!
Interview: Isolde Matkey

Salome Oper von Richard Strauss nach Oscar Wilde
Regie: Michael Schulz, Musikalische Leitung: Omer Meir Wellber.
Vorstellungen am 28. Oktober und 4. November
www.semperoper.de