Gekonnt destilliert

Cie. Freaks und Fremde haben Eugen Ruges Tatsachenroman „Metropol“ auf die Bühne gebracht

Auch wenn Eugen Ruge eher verhalten reagiert haben soll auf den Aufführungsort für die Theater-Interpretation seines Tatsachenromans „Metropol“: es passt. Der piefige Festsaal des ehemaligen Stasi-Gebäudes, im Original wie der ganze riesige Bau von den Sowjets in einer Zeit erbaut, als in Dresden noch bitterste Wohnungsnot herrschte … Wobei es Ruge darum ging, dass das Agieren des DDR-Regimes nicht mit den monströsen Verbrechen der Bolschewiki vergleichbar ist.

Die Cie. Freaks und Fremde hat sich mit dem Societaetstheater in den Stasi-Bau begeben, um Ruges Text quasi zu destillieren. Knapp zwei Stunden lang – eine Pause wäre angesichts der unbequemen Stühle sinnvoll! - erzählen Sabine Köhler und Heiki Ikkola als Schauspieler mit einer Handpuppe als Vorsitzenden Richter Wassili Wassiljewitsch Ulrich von den sich bis in den tödlichen Wahnsinn steigernden Säuberungsaktionen und Schauprozessen 1936/37.

Dreh- und Angelpunkt des Geschehens ist das Hotel Metropol, im zaristischen Russland eine der der ersten Moskauer Adressen. Dort quartierten die Bolschewiki „verdächtige“ Genossen wie Charlotte Umnitzer und Wilhelm Baumgarten ein, die Großmutter Eugen Ruges und ihren Lebensgefährten, die als überzeugte Kommunisten in die Sowjetunion gegangen sind, aufgrund einer Denunziation jedoch dem Bekanntenkreis eines vorgeblichen Trotzkisten zugeordnet wurden. Anders als die allermeisten, die in dieser Schublade landeten, überlebten sie die Terrorzeit.

Ebenfalls Dauergast im Metropol ist der Vorsitzende Richter mit seiner Frau, im Roman eine regelrecht schillernde Figur, die auf der Bühne, in der Verkörperung durch die Puppe, nicht so interessant herüberkommt. Aber natürlich ist es ohnehin ein nahezu aussichtsloses Unterfangen, über 400 Buchseiten in einen Theaterabend zu bringen.

Freaks und Fremde haben dafür den Originaltext Ruges genommen und sehr sorgfältig passende Szenen ausgewählt, die auf der extrem schlichten Bühne (Bühnenmitarbeit: Darvin Werland) gespielt werden. Fantastisch betont, akzentuiert, getragen wird die Handlung von der teilweise live gespielten Musik sowie den Soundcollagen Tobias Herzz-Hallbauers. Wir erleben das erste Gespräch Charlottes und Wilhelm darüber, dass sie eine Mitteilung machen müssen, mit einem überführten Volksfeind bekannt gewesen zu sein, ihm sogar ein Grammophon verkauft haben. Lächerlich, denkt sich der Mensch des 21. Jahrhunderts. Das Lachen, es bleibt einem allerdings bald im Hals stecken.

Erster Auftritt Wassili Wassiljewitsch: Köhler und Ikkola verschwinden hinter schwarzen Masken, wenn sie die Puppe gemeinsam zum Leben erwecken. Großartige Interaktion zwischen der Figur und den beiden! Im Publikum realisiert man, dass der Richter erschöpft ist von all den Todesurteilen, die er täglich unterzeichnet. Auch deutet er die Frage an, warum die Leute im Gerichtssaal, die Journalisten, die Leser der Prawda, in der täglich die Vernehmungsprotokolle abgedruckt werden, sich nicht über die Fülle an geständigen Verbrechern wundern. Zu den Beobachtern im Saal gehört auch der Schriftsteller Lion Feuchtwanger, dessen Verrat sämtlicher humanistischer Ideale durch einen Artikel später erwähnt wird.

Als die Szene gekommen ist, wird im Saalhintergrund das Foto Feuchtwangers mit Stalin gezeigt; wie die meiste Zeit über illustrierende Bilder erscheinen. Oder – ein sehr effektvolles Vorgehen – Detailaufnahmen der Darsteller (Video und Projektionen: Beate Gbureck und Eckart Reichl). Live während der gespielten Szene an den Vorhang geworfen, verleihen sie so zum Beispiel dem Hadern Charlottes und Wilhelms nach ihrer Einquartierung im Hotel Metropol eine noch größere Intensität.

In einem Rückblick lernen wir das Paar als frisch Verliebte kennen, verliebt ineinander und in die Idee des Kommunismus. Immer wieder kommt auch Körpereinsatz ins Spiel, sei es beim Zeltaufbau des jungen Paars oder später als Illustration des gigantischen Baufortschritts Moskaus. Dabei darf Ikkola auch mit einer russischen Gesangseinlage überraschen.

Insgesamt ein wunderbar durchdachtes Inszenierungskonzept, mit Können, Herzblut und Leidenschaft auf die Bühne gebracht!
Beate Baum

Metropol
Cie. Freaks und Fremde nach Eugen Ruge.4., 5., 7. bis 9. November, 20 Uhr, Societaetstheater