Fallada auf roter Bonzenjagd

Tom Kühnels siebter Dresdner Streich zeigt Falladas Erfolgsroman „Bauern, Bonzen, Bomben“ als bildgewaltige Allegorie auf 500 Jahre Bauernkrieg

Foto: Sebastian Hoppe

Kleist, Napoleon, Hübner, Gundermann – Theatermacher Tom Kühnel springt in seinen Dresdner Stoffen seit seiner wilden Startperformance „Wir sind auch nur ein Volk“ imposant zwischen Zeiten und Größen hin und her – mittlerweile sind es sieben Streiche in knapp sieben Jahren, er prägt somit den Dresdner Spielplan, es sind stets zwei, manchmal (so wie derzeit) gar drei verschiedene Inszenierungen seiner Art am Staatsschauspiel zu erleben – und das immer, ob eigener Text, Adaption oder Neufassung, in rund drei Stunden, die bislang nie langweilten.

Nun geht es also vom 2020er-Gundermann aus der DDR-Postmoderne über den französischen Revolutionskaiser Napoleon per „Bauern, Bonzen und Bomben“ ins norddeutsche SPD-Bonzenland gen Schleswig-Holstein, wo die Bauern gegen den übergriffigen Staat in seiner überlebten Muffigkeit aufmüpfig werden und ob ihrer sichtlichen Unterprivilegiertheit in den Strudel der urbanen Klassenkämpfe zwischen Rot und Braun geraten.

Der frisch vermählte Jungvater Fallada war damals, also 1929, nicht nur schon 36 Jahre reif, sondern nach Neumünster Knastzeit und Hamburger Adressenschreiberei noch unter Klarnamen als Annoncenwerber und Lokalredakteur beim „General-Anzeiger“ in Neumünster tätig und schwamm somit genau in jener Lebenssoße seines ersten Rowohlt-Romanhelden und verfolgte dabei einen jener Prozesse im Konglomerat von Abschwung, Karrieregeilheit, Intrigensumpf und politischer Instabilität, die immer wieder Demonstrationen samt gewalttätiger Ausformungen gebar – und hier in einer Bombenanschlagsserie seitens rechtsnationaler Trittbrettfahrer gipfelte, machte daraus einen großen Wurf.

Dieser führt in die Stadt Altholm, in der die umliegende Bauernschaft zum Protest einrückt, von einem rechten Aktivisten unterwandert. Die Dörfler, die die Staatsmacht nur durch gierige Finanzbeamte und gewalttätige Ordnungskräfte wahrnehmen, haben als Faustpfand nur ein großes Reitturnier als riesiges Volksfest in der Stadt, während dort wie in anderen Orten die Armut samt Klassenkampf grassiert – und jeglicher Unmut als Bedrohung der öffentlichen Ordnung gilt. Es herrschen Gier und Geiz. Die beiden konkurrierenden Tageszeitungen – eine rechts, eine links – kämpfen mit allen Mitteln um jede Annonce und jedes Abo. Auf den Bauernprotest, bei dem aus staatlicher Heimtücke heraus die Lage eskaliert und es zu mehreren Verletzten kommt, haben beide unterschiedliche ideologisch geprägte Ansichten, während sich die Bauern (anders als vor 500 Jahren) draußen vor den Toren zur Landvolkbewegung mausern und die Stadt boykottieren, was zu Zeiten regionaler Kreisläufe durchaus zu wirken droht …

Es beginnt ein herrlich durchtriebener wie grotesker Intrigantenstadel, in Lokal- wie Zeitkolorit gewandet, der vor allem durch schauspielerische wie bühnentechnische Qualitäten überzeugt. Sehr gediegen spielt Jacob Fließ den zerrissenen Annoncenwerber Tredup, der mit seiner Frau, gegeben von Leonie Hämer, die zudem mit Bravour alle weiteren verpaarten Frauen plus den provozierenden Spezialspitzel Tunk gibt, um dessen eintausend Mark an erpresstem Fotohonorar streitet, sich aber in Sachen Redlichkeit zunehmend dem System unterwirft und letztlich dafür bitter bezahlt.

Ebenso gestalten Betty Freudenberg und Raiko Küster – sie als gerissene SPD-Bonzin als Altholmer Bürgermeister, er als konservativer „Chronik“-Chefreporter ein bigotter Lüstling namens Stuff – ihre tragende Rolle lustvoll durch, wobei Küster zum Schluss noch als Richter überzeugt. Währenddessen tauchen Viktor Tremmel und Ahmad Mesgarha in immer wieder überraschend und mit großer Noblesse gegebenen neuen Rollen auf – die wichtigsten sind bei Tremmel der Polizeioberinspektor Frerksen und der pädophil-angehauchte Unternehmer Manzow, bei Mesgarha der Finanzbeamte Kalübbe und der Regierungspräsident Temborius. Beide brillieren zudem süffisant als Verleger von „Chronik“ und „Nachrichten“, wobei sich letztlich die SPD-nahe Zeitung die bürgerliche Postille inklusive Personal einverleibt.

Bis auf Leonie Hämer und Jonas Holupirek ist das Oktett, welches hier eine furiose Ensembleleistung liefert, bereits Kühnel-bewährt – außer Holger Hübner, der nicht nur als Bauernführer glänzt, sondern auch als weißuniformierter Polizeioberst und später als Sohn des Oberinspektors Frerksen diesem (in Form von Tremmel) erst Befehle gibt, um hernach stilecht versohlt zu werden. Eine von vielen obskuren Szenen, in denen sich Witz und Tragik in gekonnter Balance begegnen, die so nur im Theater wirken und von denen es reichlich gibt: mit fünfköpfiger Bauerndemo, Limousine und Traktor sowie ebenso rasant fahrenden Schreibtischen, Betten und Teppichpodien auf fast leerer, oft rotierender Drehbühne. Ebenso wie Hämer und Fließ überzeugt auch Holupirek, der ebenso klug als rechter Fahnenschwinger und Redakteur der „Nachrichten“ einen natürlichen Gegenpart seiner selbst spielt.

All das packt Kühnel – mitsamt Kostümbildnerin Ulrike Gutbrod, die gut in jene Zeit entführt, und der klaren Bühnenidee von Jo Schramm – in einen packenden Abend, der auch durch kluge Bildregie samt Live-Kameraführung überzeugt. Und nebenbei liegt der Regisseur nun sowohl in der Stück- wie auch in der Spieldichte vor seinen hochgelobten Kollegen namens Lösch, Hartmann und Castorf (und er dürfte auch für eine höhere Auslastung als die HausregisseurInnen sorgen).

Dass Kühnels Werke als Reigen sinnvoller Texte, kluger Ideen und bleibender Kopfbilder wohl weiterhin an den üblichen Kriterien Berliner oder anderer nationaler Bühnenpreisrichter vorbeischrammen, dürfte den gebürtigen Cottbuser, der sicher nicht am Übermaß der Eitelkeit dieser Kunstblase leidet, wenig jucken, solange das Publikum und die Provinzpresse seine Ereignisse goutieren, wobei er letztere hier via Fallada herrlich karikierte. Wir ersparen uns die Zuordnung der Klar- und Decknamen passender Redakteure und Verleger zugunsten der Fantasie geneigter Leser, weil auch dieser Kühnel zu den Top drei der Dresdner Theaterstadtliga und damit zu den ausdrücklichen Besuchsempfehlungen gehört.
Andreas Herrmann

Bauern, Bonzen und Bomben nach dem gleichnamigen Roman von Hans Fallada. Fassung und Regie: Tom Kühnel. Schauspielhaus. Nächste Vorstellungen: 29. März, 11. und 17. April 2025 (je 19.30 Uhr).
www.staatsschauspiel-dresden.de