Europa passt ins Kleine Haus

Ab 14. November läuft wieder das »Fast Forward«-Festival für junge europäische Theaterregie

Szene aus "Rage"

Das Programmheft des Festivals »Fast Forward« zeigt auf der Umschlagseite einen kauernden Spieler mit Hundekopf. Entlehnt ist es dem achten und letzten Beitrag der vier Festivaltage aus Italien. »Stinker-Konzert auf vier Pfoten« nennen die Geschwister Sinigaglia ihre Performance über den Müll und die Deformationen ihrer Stadt, die Privateigentum und Touristen hinterlassen. Der Hund sinniert rebellisch, ob er vergessen habe zuzubeißen.
»Fast Forward« wäre kein Festival junger europäischer Regie, wenn es nicht Zeitthemen aufgreifen würde. Weniger agitatorisch-politisch als aus der Perspektive der Subjekte und Objekte von Fehlentwicklungen, meist konkret und persönlich. Heimat und Fremde, ein Kleinstadtporträt aus dem strukturschwachen Südwesten Frankreichs, Zukunftsangst, Kriegsfolgen werden in diesem Jahr aufgegriffen. »Manifeste für nach dem Ende der Welt« ist der portugiesische Beitrag überschrieben.

Seelenzustände in einer Epoche, die das Glücklichsein verlernt zu haben scheint, spielen seit Jahren ebenso hinein. Der Schrei nach Leben etwa, der Ausbruch aus Depressionen. Die mittlerweile obligatorische Anklage der ewig unterdrückten Frauen gegen die sexistischen Herrscher mit dem Chromosomendefekt darf selbstverständlich auch nicht fehlen. Neugier weckt ein neunzigminütiger Exkurs über die menschliche Stimme aus Estland.

Ein Jahr lang reist Kuratorin Charlotte Orti von Havranek durch die Szenen ganz Europas. Unter 200 Bewerbungen durfte sie für dieses Festival auswählen, was sie sich selber anschauen will. »Die Sichtbarkeit bei Fast Forward führt auch zu mehr nationaler Beachtung«, erklärt sie die große internationale Resonanz. Denn die meist freien Theatergruppen und ihre Regisseurinnen und Regisseure stehen in der Regel noch am Anfang ihrer Laufbahn, sind für Anerkennung und Förderung dankbar.

Eine besondere Förderung winkt am Abend des Schlusstages (17. November) dem Gewinner des Hauptpreises, ausgewählt durch eine vierköpfige Jury. Er oder sie dürfen in der jeweils kommenden Spielzeit am gastgebenden Staatsschauspiel ein Stück ihrer Wahl inszenieren. In der laufenden Saison steht allerdings kein solcher Gastbeitrag auf dem Programm. Der Vorjahrespreisträger Salim Djaferi aus Frankreich inszenierte sich in »Koulounisation« nur selbst, eine merkwürdige Preisvergabe. Er reist auch nur als Soloperformer durch die Welt, und als solcher soll er auch irgendwann einmal eingeladen werden. Eine Jugendjury und das Publikum per Stimmzettel jeweils nach den Vorstellungen vergeben außerdem noch je einen Preis.

Dieses Publikum hat sich in den acht Dresdner Festivaljahren als ausgesprochen jung und interessiert erwiesen. Die Vorstellungen sind meist ausverkauft, und zwischen den Dresdner Spielstätten pilgert per Straßenbahn eine Fangemeinde, die keine Inszenierung verpassen möchte. Unter ihnen sind angehende Profis, Studierende, Berufsanfänger, Theaterfachleute, sodass sich stets ein lebhafter Austausch entspinnt. Das Ticket gilt als Freifahrtschein für die Bahn. Es kostet für die jugendliche Zielgruppe einschließlich Studis nur sieben Euro.

Das in seiner Art bislang einzigartige Festival brachte Staatsschauspielintendant Joachim Klement 2017 aus Braunschweig mit. Dort hatte er es 2011 ins Leben gerufen. Seit 2018 schon kuratiert Charlotte Orti von Havranek »Fast Forward«. Nicht einfach nur ein Job, sondern eine Auswahltätigkeit, die Erfahrung, Sensibilität und konzeptionelle Vorstellungen erfordert.

Warum dominieren in diesem Jahr frankophone Beiträge, kommt die Hälfte von ihnen aus Frankreich oder Belgien? Sie sei wie immer auch durch Osteuropa gereist, sagt die Festivalleiterin. Es gab immerhin Jahrgänge, die sich überwiegend den Transformationsgesellschaften im ehemaligen Ostblock widmeten. Auch in der Vorbereitung auf das anstehende Festival sei dort durchaus Interessantes zu entdecken gewesen. Aber Themen, Formen und Kontext hätten schließlich diese Auswahl ergeben, in der nur Serbien und Estland Länder des Systemwechsels repräsentieren.
Anders als man annehmen könnte, will »Fast Forward« weder Trends der Theaterentwicklung repräsentieren oder gar Trendsetter sein. Das wäre bei der Diversität der Angebote wohl auch ein aussichtsloses Unterfangen. Die wiederum hat auch mit großen Unterschieden der Produktions- und Förderbedingungen in Europa zu tun, die vom Stadttheater bis zu freien autarken Gruppen reichen. Das Aufzeigen dieser Vielfalt kann schon als ein Wert an sich gelten.

Ein Trend in der Gastgeberstadt Dresden setzt sich hingegen auch in diesem Jahr fort. Das Kleine Haus des Staatsschauspiels auf der Glacisstraße bleibt zwar weiterhin das organisatorische Zentrum und der Hauptspielort. Und das Festspielhaus Hellerau wie auch das Labortheater der Hochschule für Bildende Künste an der Güntzstraße haben sich ebenfalls zu Stammspielstätten entwickelt. Hinzugekommen ist nun die alte Robotron-Kantine unweit des Hygiene-Museums. Sie harrt zwar nicht mehr ihrer Erweckung, wird vom Kunsthaus betreut und diente der Ostrale-Kunstschau schon als Domizil und dabei auch als Schauplatz von Performances. Nun kommt in der Halbruine das französische Kleinstadtporträt »Decazeville« zur Aufführung. Gleich zehn Mal zwischen dem 14. und 17. November, weil sieben Leinwände die Räume beanspruchen und jeweils nur 20 Personen eingelassen werden können. Der morbide Charme passt zum Stück.
Michael Bartsch

Fast Forward 14. bis 17. November, Kleines Haus, Festspielhaus Hellerau, Robotron-Kantine, www.fastforw.art