Cis-Mann auf eingeredeter Identitätssuche
Sympathisch harmlos will sich in Hellerau ein Hetero als Problemfigur entdecken
Wer bislang nicht einmal wusste, dass er ein Cis-Mann ist, sich also so fühlt, wie er aussieht, die damit verbundenen ungeheuren Schwierigkeiten nicht einmal ahnte, in diesen hyperglücklichen Zeiten aber auch gern ein Problem hätte, um dazuzugehören, der pilgere noch bis Sonnabend nach Hellerau. Zur Verunsicherung taugt die freie Inszenierung „Ein Mann/Ein Wort“ allemal. Und sei es nur, dass sich auch hartnäckig zufriedene Cisser am Ende fragen, was beim Stück hinten rauskommt.
Das ist angelegt wie eine Lecture Performance, so heißt die Verbindung von Vorlesung und Szene neudeutsch. Einige Passagen sind an das Publikum im gut besuchten Nancy-Spero-Saal des Festspielhauses adressiert, andere beschäftigen sich mit der Problemfigur. Die, nein der kann spätestens seit Alice Schwarzer und den Achtundsechzigern nur ein Mann sein. Aber was für ein harmloser Typ! In der Inszenierung sitzt oder hockt oder liegt er 70 Minuten lang stumm in einem Glaskasten. Er heißt Michael McCrae, der Inspirator und wesentliche Texter. Erst in den letzten drei Minuten, als er das Untersuchungsgefängnis verlässt, spricht er einige allerdings wenig erhellende Sätze.
Er ist der angekündigte Cis-Mann, der sich der damit verbundenen Probleme noch nicht recht bewusst ist. Er gerät laut Online-Teaser in eine Krise, ringt sozusagen um seine wahre Identität. Nichts davon ist zu spüren, Michael bleibt durchweg passiv. Er lächelt freundlich bis verlegen, mit seiner Brille gelegentlich intellektuell in die Videokamera, über die er im Glaskasten von der Untersuchungskommission über sein Mannsein befragt wird. Eine Laborsituation, in der der Cisser als Versuchskaninchen erscheint, das nicht recht weiß, ob es nicht eigentlich die Schlange ist.
Die beiden draußen sind die Performerin Friederike Falk und Juliet Meding, die sich non-binär in ihrer maskulinen Schein-Erscheinung nun wirklich ganz anders fühlt und in queeren Rollen schon von den Münchner Kammerspielen über Kampnagel Hamburg bis zu den Sophiensälen Berlin gespielt hat. Sie wäre eine richtig sympathische Figur, wenn ihr Auftreten nicht tuntenhafte Klischees bedienen würde, mit denen gleichgeschlechtlich oder transsexuell empfindende Menschen vor Jahrzehnten zu Beginn ihrer Emanzipationsphase karikiert wurden.
Beide moderieren, loben das Untersuchungsobjekt als „sehr authentischen Mann mit Selbstbewusstsein“ und stellen zugleich so bewusstseinserschütternde Fragen wie „Hat Männlichkeit Nachteile?“. Sie unterscheiden fair zwischen „hegemonialer Männlichkeit“ und anderen weniger gefährlichen Männlichkeiten. Die beiden Beobachter - und nicht der eingesperrte Michael - reflektieren, wie Männer mit ihren Emotionen umgehen sollten. Und bedienen damit ungewollt das Klischee, dass rationale Männer damit größere Schwierigkeiten haben als die gefühlsorientierten Frauen. Klare Aussagen kommen aber nicht, mit viel „irgendwie“ und „vielleicht“ bleibt alles in der Schwebe.
Hin und wieder wird mit einem mehr oder weniger gelungenen Lied aufgelockert. Tiefgründige Texte wie „Ich fühle mich gut in der Stadt, weil ich meine Fingernägel hab ...“ laden dazu ein, auf denselben herumzukauen. Und weil sich Cis-Michael gar nicht quält, obschon er laut Text in dieser Rolle gleichzeitig an- und abwesend sein muss, steigert sich das Finale zu einem Satz, den Besucher aller Geschlechter auf dem Heimweg wiederkäuen dürfen: „Männer sind Konserven des Unwissens“.
Ein existenzielles Problem hat in diesem Selbstfindungslabor niemand. Das tut gerade jetzt wieder gut, wo AfD-Krah im deutschen Mann wieder den fossilen Krieger wecken will und ein widerwärtiger Donald Trump die perversesten Seiten toxischer Männlichkeit zelebriert. Die mehr oder weniger eingeredeten Wehwehchen eines Cis-Michael erscheinen demgegenüber sympathisch harmlos.
Michael Bartsch
Ein Mann/Ein Wort McCrae, Meding, Berkenhoff, Zaitev & Falk. Weitere Vorstellungen im Festspielhaus Hellerau Freitag 7. und Samstag 8. März jeweils 18 Uhr