Alles was ist, endet

Wohl der letzte Thielemann-Ring in der Semperoper

Christian Thielemann schenkt der Elbmetropole wohl gerade seinen letzten Ring während seiner Dresdner Schaffensperiode. Damit ist nicht eine Juwelierarbeit gemeint, sondern Wagners Mammut-Werk „Der Ring des Nibelungen“, eine Abfolge von vier Opern, die oft als Tetralogie bezeichnet wird, aber eher eine Trilogie mit einem Vorspiel ist. An vier Abenden (der zweite Zyklus wird zwischen dem 5. und 10. Februar aufgeführt) zeigte Christian Thielemann, was der Semperoper mit ihm verlorengeht. Dieses aufwendigste Werk Richard Wagners, bei dem die drei Hauptstücke „Walküre“, „Siegfried“ und „Götterdämmerung“ mit Pausen gut fünf Stunden dauern (das Vorspiel „Rheingold“ ist etwa halb so lang) dirigiert er regelmäßig in Bayreuth und derzeit parallel in Vertretung des erkrankten und inzwischen demissionierten Daniel Barenboim in Berlin. Kein Wunder also, dass begeisterte Opernliebhaber auch von fern für (bis auf vereinzelte Restkarten) ausverkaufte Vorstellungen sorgen.

Mit seinem noch in Dresden vorkonzipierten, aber maßgeblich im Schweizer Exil erstellten Opus Magnus erstellte der revolutionäre sächsische Barrikadenkämpfer auch künstlerisch eine Revolution. Sowohl Musik als auch Text erstellte er selbst. Dabei lehnte er sich in dichterischer Freiheit an das Nibelungenlied eines unbekannten Dichters an, konzentrierte sich dabei auf die Schicksale des Rheingolds, einer mythischen Erklärung der goldschimmernden Wogen des Rheins im morgendlichen Sonnenlicht, und Siegfrieds. Den Untergang der burgundischen Königsfamilie (bei Wagner die Gibichungen) nebst Tross in Ungarn bei Etzel/Attila sparte Wagner aus. Auch sonst ist das Werk an die Sage nur angelehnt und eher an der Völsunga-Erzählung aus der Edda orientiert. So wird aus dem riesenhaften Erbauer der Walhall der Drache Fafner, den Siegfried erschlug. Dessen weitgehende Unverwundbarkeit mit der einzigen verwundbaren Stelle entstammt auch nicht einem Bad im Drachenblut und einem herabgefallenen Lindenblatt an dem Schulterblatt, sondern einer Behandlung durch Brünnhilde (bei Wagner mit Doppel-n), die den Rücken ausspart, weil der tapfere Held Feinde nur vor sich kennt, aber ihnen nicht den Rücken bietet. Jene Brünnhilde gewinnt er auch nicht originär im Wettkampf für Gunther, sondern erst einmal für sich, sie dornröschenhaft im Feuerkreis aus einem Schlaf durch einen Kuss aufweckend, und erst später umnebelt und durch Zaubertrank sein Vorleben und seine (bei Wagner) Vermählung mit Brünnhilde vergessend für Gunther. Dieser Gedanke der im Feuerkreis auf einem Fels schlafenden, vom liebenden erweckten Brünnhilde stammt aus der Völsungasaga der Edda und nicht aus dem Nibelungenlied. Siegfrieds (hier zweite) Frau heißt im Ring Gutrune, wie in der Edda, und nicht Kriemhild, die in der Edda Gunters und Gudruns Mutter ist, und sein Mörder Hagen von Tronje ist bei Wagner ein Sohn des Nibelungen Alberich. Er nimmt den Rheinschatz auch nicht an sich, um die trauernde Witwe der eigenen Mittel für eine Rache zu entsetzen, die sie in der Sage dann mithilfe Etzels an ihren Verwandten vollzieht, sondern aus eigener Habgier. Allerdings versenkt er ihn in beiden Versionen letztlich wieder im Rhein.

Es reicht hier der Platz nicht, um die tieferen Inhalte und Bezüge des Wagnerschen Werkes auszuloten. Dazu sei auf die sehr kundigen Beihefte verwiesen, die die Semperoper zu den Opern anbietet, auch wenn kleine Unstimmigkeiten darin vorhanden sind. So wird Luthers wohl etwas verkürzende Übersetzung des Johannes-Evangeliums im Neuen Testament (bei Luther: „im Anfang war das Wort“) verwechselt mit der alttestamentarischen Genesis („im Anfang schuf Gott Himmel und Erde“). Gleichwohl bieten die Hefte vielfältige interessante Bezüge und Möglichkeiten der Vertiefung, wie auch die vor den Opern angebotenen Kurzreferate im Opernkeller über die Inhaltsangaben hinausgehende Anregungen boten. Leider fehlen Bezüge zu der Beeinflussung des einstigen Revolutionärs Wagner durch Bakunin, wie sie sich in Erdas Arie „Alle was ist, endet.“ Wiederfindet. Demgegenüber wird der fraglos sichtbare Einfluss Schopenhauers in den Beiheften übergewichtet.

Die Inszenierung entsprach der seit 2001 geschätzten Ausgestaltung Willi Deckers mit dem bei Wagner-Opern inzwischen gewohnten abstrakten Bühnenbild aber eben sehr aussagekräftigen Details wie den in Wellenform angeordneten Stuhlreihen auf der Bühne, die den Rhein symbolisierten. Minimalistische unterstützende Bühnengestaltung ohne Popanz. Hieran musste man nichts ändern. Was allerdings in der Götterdämmerung die Gibichungenhalle mit dem Berghof auf dem Obersalzberg (Panoramafenster und Gebirgslandschaft) zu tun hat, erschließt sich nicht, sondern scheint der Verlockung moderner Künstler geschuldet zu sein, mit jedem Werk den Nazis noch eine Ohrfeige verpassen zu wollen. Ohrfeige für Nazis in allen Ehren, aber dafür jedes Bühnenstück zu vergewaltigen, ist fehl am Platz. Das also ist das Minus beim Bühnenbild. Letztlich hält diese Bühnengestaltung von der eigentlich durch das Bühnenbild vorgegebenen Erkenntnis ab, dass Siegfried auf einem Scheiterhaufen verbrannt wird, in den dann Brünnhilde auf Grane hineinreitet, um mit dem Geliebten unterzugehen, und dass das Feuer im Ergebnis auch Walhall entzündet, so dass die Welt der Götter auch untergeht. So war es von Wagner gedacht, aber diese Erkenntnis hindert die Dresdner Bühnengestaltung.

Anders war der Qualitätsschub im musikalischen Bereich. Andreas Schager gab auch schauspielerisch einen bis zur Unerträglichkeit selbstverliebten Siegfried, aber in der ebenfalls von ihm gesungenen Partie des Siegmund war von dieser Selbstherrlichkeit nichts zu spüren. Es hätte eben nur beim Siegfried gepasst. Stimmlich war er heldenhaft glänzend überragend und erfüllte das Wagner‘sche Postulat der jederzeitigen Verständlichkeit des gesungenen Wortes zusammen mit der ebenfalls überragenden Ricarda Merbeth als Brünnhilde vollkommen. Nicht immer so verständlich, aber in seiner Stimmgewalt ebenfalls bewegend war der Wotan/Wanderer John Lundgrens. Ebenfalls zu Recht vom heimischen Fankreis umjubelt waren die Ensemblemitglieder Georg Zeppenfeld mit seinem gewohnt profunden Bass als Hunding in der Walküre und im Rheingold als Fasold sowie Waltraud Meier als – nomen est omen – Waltraute. Auch Karl-Heinz Lehner als Fafner im Rheingold erfüllte die hohen Ansprüche voll und ganz, wie auch Stephen Milling in selber Rolle im Siegfried und als Hagen dann in der Götterdämmerung. Markus Marquardt debütierte als Alberich sehr ansprechend, während Jürgen Sachers Mime noch (im wahrsten Sinne) etwas Luft nach oben gehabt hätte. Letzteres galt auch für Adrian Eröd als Gunther in der Götterdämmerung. Bei Christa Mayer geriet die Fricka in der Walküre etwas überzogen, ihre Erda im Siegfried war leider ähnlich schwach wie die Michal Dorons zuvor im Rheingold. Dagegen glänzte Daniel Behle als Loge im Rheingold uneingeschränkt. Schade, dass ihm nur so eine vergleichsweise kleine Rolle zugedacht war. Als wunderbar unterstützendes Fundament wirkte die Staatskapelle wie immer grandios geleitet von Christian Thielemann, der nicht nur in den leisen Passagen immer die Spannung hochhielt, sondern das Orchester auch so einstellte, dass es einerseits hinreißend musizierte, aber in den Sangespassagen immer nur unterstützend den Akteuren auf der Bühne ausreichend Luft ließ, sich vernehmbar in Szene zu setzen. Dabei half Thielemann sicherlich die bei Karajan erlernte Technik mit den Sängern zu atmen. Teilweise erfand er sich neu, so im ersten Akt der Walküre, wo er mit angezogenen Tempi, vor allem beim „Nothung, Nothung“ von ihm ungewohnt, aber absolut mitreißend beschleunigte. Im Waldweben (Siegfrieds Wahrnehmung der Natur im Siegfried) möchte man einfach versinken. Von den Sängern hört man, dass er, was der Zuschauer ohne Blick in den Orchestergraben nicht erkennen kann, wie bei Liederabenden immer in fast hypnotischem Blickkontakt mit den Solisten steht, um sein Orchester immer Unterstützer, aber nie Widerpart des Sängers sein zu lassen.

Wie es im Rheingold heißt: „Alles was ist, endet“ und das passt leider ebenso auf diesen wunderbaren Dresdner Ring wie auf die besondere Note, die Thielemann als erfahrener Wagner-Dirigent diesem Mammutwerk noch einmal verliehen hat. Die Staatskapelle Dresden hat sich unter ihm zum führenden Orchester nicht nur was Strauß-, sondern auch was Wagner-Interpretationen anbelangt, entwickelt. Es war nicht überraschend, dass das Publikum sich nicht nehmen ließ durch seinen Applaus, der bei Thielemann noch einmal zu einem die Beifallsbekundungen bei den Darbietern übertreffenden Orkan anschwoll, deutlich zu machen, was es von der Entscheidung der Staatsministerin für Kultus hält, diesen Mann nicht unbedingt in Dresden zu halten, sondern sich kleingeistigen Beschwerden aus dem Ensemble von Musikern, die sich bei den Proben zu hart angefasst fühlten, zu beugen. Auch in den Pausen in der Wandelhalle war diese Verständnislosigkeit vielerorts zu vernehmen. Man spürte, was Dresden auf dieser Position an Qualität mutmaßlich verloren gehen wird. Allerdings überwog die Freude, diese vier wunderbaren Abende noch einmal in Dresden genossen zu haben. Thomas Manns dictum, der Ring stelle den Beitrag Deutschlands zur Kunst des 19. Jahrhunderts dar, konnte mit Abstrichen nachvollzogen werden.
Ra.

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