Zuviel Sand im Hause
Eine 0:4-Blamage zeigt das taktische Dilemma bei Dynamo
Zuerst holen wir mal das Phrasenschwein heraus und flüstern hinein: Wer nicht aufs Tor schießt, schießt keine Tore. Und damit könnten wir es auch schon bewenden lassen. Lassen wir es aber nicht. Also von vorn. Bevor es ans Verlieren ging, gab es ein paar Nachrufworte für Frank Dehlis sowie den Hinweis auf eine Spendensammelaktion der Ultras für die Familie des aus dem Leben geschiedenen Fotografen (später im Spiel gab es dazu auch ein großes Banner). Direkt vor dem Anpfiff wurde zudem der Terroropfer von Barcelona mit einer Schweigeminute gedacht, doch ein paar Dumpfbacken nutzten die Stille der Respektbezeugung für hässliche Parolen, was mit einem „Nazis-raus“-Ruf beantwortet wurde. Auch für den DFB gabe es eine Botschaft aus dem K: „Unser Problem mit Euch: Eure selbstgerechte Sportgerichtsbarkeit: Fick Dich DFB.“, begleitet vom bekannten Mafia-Sprechchor.
Erste Halbzeit: Ballbesitz for nothing und ein Koblenz-Moment
In der schwarzgelben Defensive nahm Florian Ballas den Platz neben Sören Gonther ein, obwohl der Lange im Pokal gegen Koblenz eine Leistung ablieferte, die an seine unsicheren Anfänge in Dresden erinnerte. Aber offensichtlich versprach sich Uwe Neuhaus mehr Luftsicherheit von der 23. Bei Sandhausen überraschte Ex-Dynamo Tim Kister auf dem Platz – sollte dieser doch angeblich verletzt nicht zur Verfügung stehen. Aber die Gäste hatten sich noch einiges mehr ausgedacht, um dem Dynamo den Strom abzudrehen.
Von der ersten Ballbewegung an spielte Sandhausen ein extrem laufintensives und hoch angesetzes Pressing, gepaart mit einer konsequenten Defensivleistung, die mit robuster Körperlichkeit auf das Grün gebracht wurde. Keine Frage – das SV-Trainerteam hatte Dresden ausgecheckt, schließlich gab es schon in der letzten Saison oft spielerische Probleme gegen Teams, die zeitig auf den Ballführenden gehen.
Das Ergebnis: Dresden hatte viel Ballbeseitz für nichts, während Sandhausen vor allem den Spielaufbau der Heimelf verhindern wollte. So gab es mehrfach Szenen, in denen Marvin Schwäbe gefühlte fünf Minuten mit dem Ball am Fuß und mit den Schultern zuckend durch seinen Strafraum pirschte auf der Suche nach einem anspielbaren Sportkameraden. So entstand ein merkwürdiges Patt: Beide Teams brachten aus unterschiedlichen Gründen offensiv nichts zustande. Dresden kam nicht durch, Sandhausen wartete ab. Ein wenig Aufregung dann nach einer reichlichen Viertelstunde: Marco Hartmann geriet mit dem Ellenbogen ins Gesicht von Marcel Seegbert, der mit einem blutenden Auge ausgewechselt werden musste. Der Referee übersah die Situation – über Gelb hätte sich der Käptn nicht beschweren dürfen.
In der 25. Minute gab es dann einen Koblenz-Moment. Wir erinnern uns, dass es zum 1:0-Führungstor im Pokal nicht hätte kommen dürfen, weil Linien- und Schiedsrichter einen Einwurf falsch beurteilten. Diesmal war es nicht geahntes Foul an Möschl, das zur Balleroberung durch den SV „diente“, die folgende Vorwärtsbewegung wurde von Gonther eigentlich abgelaufen, doch hier ertönte nun der Freistoßpfiff. Es kam, wie es kommen musste: Ein langer Ball segelt gemütlich vor das Tor, doch wie schon gegen Koblenz steht Ballas falsch zum Gegner und kann so nur unkontrolliert klären. Schließlich landet das Leder vor den Füßen von Leart Paqarada, der sehenswert mit dem Außenrist abzieht und ins linke obere Eck trifft. Ich will dem Mann nicht zu nahe treten, aber im Leben schießt der so ein Tor nicht noch einmal. Nun ja, 0:1.
Ein Anrucken gibt es so richtig nicht, einzig sechs Minuten nach der Gästeführung wird Lucas Röser von Erich Berko auf die Reise geschickt, doch der Neuner schießt Keeper Schuhen nur an – im Test gegen den VfB Stuttgart hatte er das besser gemacht.
Alles in allem ist das ein Nachmittag des Stückwerks. Jeder guten Aktion folgt eine nicht so gute – Ballverluste, Abschläge ins Aus, Fehlpässe, mangelhafte Ballannahmen. Und kommt dann mal ein Pass flach in den Strafraum, ist in der Box kein Gelbhemd zu sehen. Im Luftraum wiederum hat die SGD fast immer das Nachsehen. Ist der neue 1,97-Meter-Finne hier eine Lösung?
Wäre noch die Position Hartmann: Wieder hat ihn der Trainer vor Manuel Konrad in die hängende Offensive gestellt, aber was gegen Duisburg noch nett anzusehen war, gelang diesmal überhaupt nicht, zumal der taktische Überraschungseffekt nicht mehr da war – jeder weiß, dass Neuhaus nicht so gern eine erfolgreiche Mannschaft ändert.
Zu erwähnen wäre noch Erich Berko. Der Mann rackert und rennt wieder Teufel, aber so viele Fehler wie an diesem Nachmittag unterlaufen dem Flügelmann sonst in fünf Spielen nicht. Fast schon tragisch. Dann kam die Pause. Es kann ja noch besser werden.
Zweite Halbzeit: Vorteil genommen, Konter bekommen
Schnell war klar: Es wird nicht besser. Schon nach wenigen Minuten ist eine saftige Anbrüllerei von Ballas Richtung Konrad zu beobachten. Mehrfach gibt es zwar Versuche, sich durchzuspielen, aber am Ende ist immer ein Fuß der bis zum Schluss aufmerksamen SV-Abwehr dazwischen, gibt es ein Offensivfoul oder Ungenaugkeiten verhindern den Abschluss. Zudem geht es immer mehr auf den Mann. Geschickt ziehen die Gäste ein Foul nach dem anderen, meist nichts Gravierendes, aber es zerrt an den Nerven und unterbricht den Spielfluss.
Nach einem weiteren nicht gut gespielten Konter durch Berko und Röser wechselt Neuhaus doppelt: Eero Markkanen und Aias Aosman kommen, Erich Berko und Manuel Konrad gehen. Und direkt danach muss ein drittes Mal Personal getauscht werden, denn Sören Gonther zerrte sich bei einer In-höchster-Not-Abwehraktion, für ihn kommt erwartungsgemäß Jannik Müller.
Der Einwechslung folgt die umstrittenste, wenn nicht gar spielentscheidende Szene in diesem Match. Der fälligen Ecke folgt ein Offensiv-Foul der Sandhäuser am linken Schwäbe-Pfosten. Der Schiedsrichter pfeift nicht sofort, der Ball wird aus dem Strafraum geklärt – und erst kurz bevor Aias Aosman das Runde etwa 30 Meter vor dem eigenen Tor erreicht, ist die Pfeife zu hören, was im allgemeinen Geschrei im Stadion untergeht. Schließlich spielt Aosman perfekt auf Möschl, der allein vorm Torwart wuchtig einnetzt. Welch Entsetzen allerorten, als klar wird, dass der Treffer nicht zählt, dass kein Vorteil gegeben wurde! Später soll Timo Gerach erklärt haben, dass es im Strafraum keinen Vorteil gäbe, allerdings ist eine klare Regelung zu dieser Frage nicht zu finden – zumal diese Vorteilsfrage im Sechzehner ja meist auftaucht, wenn ein Stürmer im gegnerischen Strafraum gefoult wird, da die Folge dann Elfmeter ist.
Nun ist das Stadionrund endlich wieder komplett zu hören. In der Offensive änderte sich an der Strafraumgrenze aber nichts – trotz des eingewechselte Markkanen. Denn was nützten knapp zwei Meter Körpergröße, wenn das Timing beim Kopfball nicht stimmt? Und auch sonst läuft der Finne etwas planlos über den Rasen. Aosman wiederum versucht, überall zu sein, kann aber seine Nebenleute nicht so recht mitreißen.
In Minute 71 brennt es dann doch mal im Gästestrafraum, als Möschl einen Pass ins Zentrum jagt, doch Röser kann diesen nicht verarbeiten und solpert über den Gegenspieler. Elfmeter rufen alle (war eher keiner), und in aller der Aufregung spielt der SV einen eher gemächlichen Konter, bei dem Philip Heise nicht sieht, dass Lucas Höler ihn überläuft, den Pass nach innen annehmen kann, an Schwäbe vorbeiläuft und zum 0:2 einschiebt. Dass Heise Richtung Linienrichter nach Abseits fuchtelt statt full speed zu gehen, tut sein Übriges.
Nun erhöht sich die Taktzahl der Fouls und beim Gegner die Dauer der Liegezeiten. In der 78. großes Durchpusten, als nach nur zwei Ballkontakten aus dem Sandhausen-Strafraum Haji Wright auf das Dresdner Tor zuläuft, weil Müller und Kreuzer eher Begleitschutz anbieten, letzterer klärt aber sauber vor Schwäbe. Doch nur eine Zeigerumdrehung später fällt dann doch das 0:3 nach einem Heise-Blackout. Kann es noch schlimmer kommen? Kann bitte jemand abfpeifen? Ja und nein.
Sicher, Hartmann köpft noch mal knapp drüber und Benatelli sowie Aosman stolpern in aussichtsreicher Position fast übereinander. Aber das Tor macht einmal mehr der SV. Und wieder nach einem Heise-Aussetzer. Erst „sorgt“ er dafür, dass Nejmeddin Daghfous allein auf Marvin Schwäbe zulaufen kann, rettet dann vor der Linie, allerdings drischt er den Ball nicht zur Ecke ins Aus. Daghfous guckt sich den Dynamo-Goalie an der linken Strafraumgrenze aus und semmelt einen scharfen Schlenzer ins lange Eck. Eine Szene, die in ihrer ganzen Unfassbarkeit Schmerzen bereitet. Abpfiff. Endlich. Der Rest ist K-Block und Gänsehaut …
Sicher werden künftige Dynamo-Gegner dieses Spiel noch oft ansehen. Da ist zu hoffen, dass das Trainer-Team und die Mannschaft dafür die richtigen Ideen haben – taktisch und personell. Denn Ballbesitz ohne Ballsicherheit ist ein tödlicher Mix.
Uwe Stuhrberg
Dynamo Dresden vs. SV Sandhausen
19. August 2017, Anstoß: 13 Uhr
Tore: 0:1 Paqarada (25.), 0:2 Höler (71.), 0:3 Wright (79.), 0:4 Daghfous (90.)
Dynamo Dresden: Schwäbe, Kreuzer, Ballas, Gonther (60. J. Müller), Heise, Konrad (57. Aosman), Hartmann, Benatelli, Möschl, Berko (57. Markkanen), Röser
Ohne Einsatz: F. Müller, Lumpi, Horvath
Schiedsrichter: Timo Gerach
Zuschauer: 27.253
www.dynamo-dresden.de