Zur zweiten Wahl wird alles anders
Die Entscheidung zwischen der Umweltbürgermeisterin und ihrem Rathauschef
Der Vorfall wird nicht für eine Anfechtung der ersten Runde zur Dresdner Oberbürgermeisterwahl ausreichen. Dresden kommunal ist nicht Berlin zur Bundestagswahl. Lediglich in einem Lockwitzer Wahllokal, ausgerechnet in der Urnenstraße, kam der Hausmeister etwa acht Minuten zu spät. Wäre im Land der Frühaufsteher Sachsen-Anhalt nicht passiert, verfälscht aber bei nur 47,4 Prozent Wahlbeteiligung das Ergebnis nicht krachend. Hunderte Frühwahlwillige, die enttäuscht wieder umkehrten, wurden jedenfalls in Lockwitz nicht gesehen. Jeden zweiten Dresdner interessierte das Badewetter am 12. Juni ohnehin mehr als die Besetzung der Rathausspitze.
Nun haben diese müden Mitbürger am 10. Juli eine zweite Gelegenheit, ihren demokratischen Eifer wiederzuentdecken. Wahlbenachrichtigungen also bitte nicht in die blaue Tonne entsorgen! Das Wetter an diesem bevorstehenden Julisonntag ist ebenso unvorhersehbar wie der Wahlausgang. Die Wahl vor sieben Jahren zeigte, dass vermeintliche Kräfteverhältnisse aus dem ersten Wahlgang nicht einfach in den zweiten übertragen werden dürfen. Das Unterstützerlager für die angesehene damalige Wissenschafts- und Kunstministerin Eva-Maria Stange von der SPD lag zunächst deutlich vor Wirtschaftsbürgermeister und Vertretungs-OB Dirk Hilbert (FDP). Der überholte dann rechts, damals noch leicht erklärlich, weil CDU-Zählkandidat und Innenminister Markus Ulbig vor dem zweiten Wahlgang zurückzog und reichlich 15 Prozent konservatives Wählerpotenzial freigab.
Die CDU hat ihren Skat bereits ausgereizt
Ist es in diesem Jahr nun der fulminanten Wahlkampfhilfe von Friedrich (Merz) dem Großen zu danken, dass Amtsinhaber Dirk Hilbert im ersten Wahlgang 0,8 Stimmenprozente mehr erreichte als 2015? Immerhin kann man davon ausgehen, dass die 70 oder 80 CDU-Fans, die sich am Donnerstagnachmittag vor der Wahl im »Watzke« am Goldenen Reiter mit Merz und Kretschmer und Hilbert verbarrikadiert hatten, auch folgsam Hilbert gewählt haben. Einen eigenen Kandidaten hatte die CDU ja nicht aufgestellt, beschwor stattdessen zum einen das bürgerliche Lager und zum anderen die goldenen Zeiten des goldenen Königs Kurt (Biedenkopf), als nur interessant war, wieviel Prozentpunkte die Sächsische Union über der 50-Prozent-Marke liegen würde.
Draußen am Reiter aber belagerten Bürger des Lagers rechts von der Union die Siegeshoffnungsfeier der »Wahlbetrüger«. Unter ihnen auch Marcus »der Fuchs«, wie er sich auf Wahlplakaten präsentierte. Mit gewohnt unbewegter Miene sagte er, was man als Kopf der Kurz-, Klein- und Querdenker in Sachsen halt so sagen muss. Immerhin 3,4 Prozent der Dresdnerinnen und Dresdner goutierten das am 12. Juni.
Damit hat es sich aber keineswegs ausgefuchts. Der Kandidat, der immerhin eine Halbmillionenstadt führen wollte, ließ es an jeglicher den Füchsen zugeschriebenen Schlauheit fehlen und verschlief schlichtweg die wohl beabsichtigte Rücknahme seiner Bewerbung. Wider Willen steht er nun als Fünfter auf dem Wahlzettel und stiftet damit genau jene den Querdenkern zugeschriebene Verwirrung, die eine Blockzuordnung weiter erschwert.. Wenn man überhaupt in den verbleibenden Wochen bis zum 10. Juli von einem Lagerwahlkampf sprechen kann, dann mit umgekehrten Vorzeichen als 2015.
AfD im Dilemma und in der Defensive
Mag sich die AfD sonst in der Rolle des Züngleins an der Waage gefallen – in Dresden stürzte sie das Ergebnis des ersten OB-Wahlganges in ein Dilemma. Nun bringt ja Dresden bei allen Residenzsyndromen immer noch den Bonus aufgeklärter Großstädte gegenüber dem AfD-gläubigen »Flachland« mit. Aber die 14,2 Prozent ihres Kandidaten Maximilian Krah bleiben noch unter dem Stadtratswahlergebnis 2019 von 17,1 Prozent und fügen sich in den AfD-Trend jenseits ihres Zenits ein.
»Ein gutes Ergebnis, aber unser Ziel haben wir in der ersten Runde nicht erreicht«, räumte AfD-Landesvorsitzender Jörg Urban mit Blick auf ganz Sachsen ein, wo ja auch neun Landräte gewählt wurden. Und solle Krah in Dresden nochmals antreten? Der Kandidat selber hatte das noch am Abend des 12. Juni angekündigt. Die Entscheidung sei noch nicht gefallen, dementierte Urban einen halben Tag später. Sie ist ja auch allzu pikant gewürzt. Krah könnte zurückziehen, mit oder ohne Empfehlung für die Wahl Hilberts. An dessen möglicher Wiederwahl klebte dann so oder so der Makel, dank AfD-Stimmen erneut ins Amt gekommen zu sein.
Die naheliegende Variante, so ein »bürgerliches Lager« unter Einschluss von Blaubraun rechts von der Union zu bilden, lehnte Landeschef Urban ab. Hilbert sei keineswegs das »kleinere Übel« gegenüber der Bestplatzierten des »progressiven Lagers«, wie es SPD-Landesvorsitzender Henning Homann nennt, Umweltbürgermeisterin Eva Jähnigen. »Hilbert und Jähnigen sind beide nicht gut für Dresden«, behauptet Jörg Urban. Tritt Krah also im zweiten Wahlgang an, um Dresden zu retten, steigen die Chancen für die Bündnisgrüne Jähnigen. Die Erfahrung lehrt, dass AfD-Anhänger weniger taktisch als nach Bauchgefühl wählen, Sie werden deshalb überwiegend erneut den AfD-Namen ankreuzen, Hilbert wird nur wenig von Leihstimmen von rechts profitieren. Im Jähnigen-Erfolgsfall könnten ganz Bösartige deshalb gleichfalls behaupten, sie sie dank der AfD-Kandidatur ins Oberbürgermeisteramt gelangt. Was wiederum die AfD nie auf sich sitzen lassen würde.
Die Alternative stand also vor der Alternative. Seit dem 18. Juni ist klar, dass sich Maximilian Krah auch im zweiten Urnengang wieder zur Wahl stellen wird. Es erscheint deshalb noch fragwürdiger, Hilbert mit seinen 32,5 Prozent als Favorit für die Stichwohl zu bezeichnen. SPD-Landeschef Homann nannte triumphierend dessen Ergebnis sogar eine »Klatsche«. Ginge es allein nach den Grundrechenarten, müsste eher seine Konkurrentin Eva Jähnigen als Favoritin gelten. Sie allein lag zwar mit 18,9 deutlich hinter ihrem derzeitigen Chef zurück. Doch nach einer vorab getroffenen Absprache werden auch der noch vor Krah liegende SPD-Kandidat Albrecht Pallas und der gleichfalls vom Abwärtstrend erfasste unvermeidliche Linken-Kandidat André Schollbach Jähnigen unterstützen. Macht bei Addition 44,4 Prozent.
Wer mobilisiert Wechselwähler?
Es wird im Juli also auf die Frage hinauslaufen, wer Stammwähler vom Juni verliert oder solche bei anderen Parteien oder gar aus bisherigen Nichtwählerkreisen mobilisieren kann. Im Vergleich zu 2015 hat Hilbert hier sein Potenzial auf den ersten Blick ausgeschöpft, auch wenn unklar ist, wie viele Unionsfreunde sich bislang trotzig dem beschworenen »bürgerlichen Lager« verweigerten. Auf der anderen Seite hat die Linke unter der Überschrift »Der Wechsel in Dresden ist greifbar« sofort zur Wahl von Eva Jähnigen aufgerufen.
Es kann Dresden jedenfalls nicht schaden, wenn gravierende Probleme im Zweitwahlkampf nochmals diskutiert werden. Verkehrsfragen zum Beispiel, ob die extrem vernachlässigte fahrradfreundliche Stadt zugleich eine autofeindliche sein muss. Oder was ein anscheinend überhaupt noch nie in Dresden in verantwortlicher Position gewesener Kandidat Hilbert unter der Absicht versteht, neue Stadtquartiere »von Anfang an völlig anders aufzubauen«, nachdem doch die meisten stadtplanerischen Verbrechen kaum noch zu korrigieren sind?
Michael Bartsch