Wir räuchern auch im Sommer

Die "Dresdner Männelmacher" sind zwei stadtbekannte Jazzmusiker

Bereit? Bereit. Christian Schöbel knipst das Licht aus. Von andächtigen Ahs und Ohs begleitet, entfaltet eine farbenprächtige Leuchterspinne ihre volle Magie. Was für eine Opulenz! Gilt in der Regel mehr Licht, mehr Strahlkraft, verhält es sich bei diesem Leuchter genau andersherum. Was unter der Neonröhre als naive, kunterbunte Volkskünstelei daherkommt, entpuppt sich bei anheimelndem Kerzenschein als perfekt ausbalancierte Melange. Ornamente, Figuren und Farben, die aus einer anderen Zeit zu stammen scheinen und in ihrer unschuldigen Unbedarftheit meilenweit entfernt sind von genormter Holzschnitz-Massenware.
Christian Schöbel, als Dresdner Jazzpianist überregional bekannt durch sein sympathisches Boogie-Woogie-Duo 2 Hot, verhilft das Anfertigen solcher Schnitz-Pretiosen zu innerer Balance, zu Ruhe und Erfülltheit. Mit seinem Spannemann Matthias Macht (die beiden fertigen von Hand Krippen, Räuchermännel, Pyramiden, Julbäume und Leuchterfiguren) hat er allein in dieser Spinne mit ihren sechs Armen und um die dreißig Kleinteilen, vier Monate Bastelarbeit versenkt. Und das ist noch ein zurückhaltendes Exemplar. Im Lauf der Zeit haben die beiden Holzwürmer schon ganz andere Weihnachtsschmuck-Kaliber gewuppt. Allen voran Figurenleuchter wie den Bergmann, den Engel und – last but not least – den Lichtertürken.

Mit diesem fing überhaupt alles an. Mehr noch mit der Unzufriedenheit Christian Schöbels ob seriell gefertigter Weihnachtsfiguren. Ihm, dem passionierten Liebhaber alter Fahrräder und charmanter 40er-Jahre-Gewandung, stand figürchentechnisch der Sinn nach dem Charme der Kaiserzeit. Der Preis für derlei handgefertigte Unikate (man wurde im Internet rasch fündig) dämpfte die Euphorie schlagartig. »Also habe ich mir bei einer Wanderung einen Ast gegriffen und in meiner Küche wie ein Honk daran rumschnitzt. Nach drei Tagen entwickelte sich langsam so etwas wie ein Turban.« Ein Turban? Richtig, die drittbekannteste Leuchterfigur des Ergebirges ist der sogenannte Lichtertürke. Warum der Osmane beim als konservativ geltenden Bergvolk einen derartigen Kultstatus genießt, lässt sich vielleicht damit erklären, dass es wohl kaum eine andere Region Deutschlands gibt, in der das Weihnachtsfest (und die damit verbundenen Rituale) eine derart gewichtige Rolle spielt. Eng mit dem Advent verbunden sind Aromen aus exotischen Gefilden sowie Räucherware und natürlich weitgereiste Gewürze, welche, zu Gebäck verarbeitet, mit einem Schälchen vom heißen Türkentrank, der adventalen Verschnabulierung anheimfallen. Möglicherweise spiegelt sich im Motiv des Türken auch die Sehnsucht des Erzgebirglers nach Exotischem wider, seine Neugier, der Spaß beim Blick über den Tellerrad.

Wie offen, großherzig und nach vorn schauend die Bergbewohner sind, hat Christian Schöbel immer wieder erlebt. Auf Messen und Märkten läuft man sich zwangsläufig über den Weg. Wenn Schöbel davon schwärmt, mit wie viel Liebe und Hingabe seine großen Vorbilder ihre Figuren zu Leben erwecken, spürt man, wie dem 49-Jährigen das Herz aufgeht. Voller Bewunderung spricht der studierte Kulturmanager über die tiefe Heimatverbundenheit der Erzgebirgler, ihre Hilfsbereitschaft und ihren wunderbaren Humor. Anfangs trat er den Altmeistern mit gehörig Muffensausen gegenüber. Doch der tief empfundene Respekt vor den Handwerkern und ihrer Tradition, ließ im Laufe der Zeit kostbare Freundschaften wachsen. Mittlerweile nutzen die »Dresdner Männelmacher« ein weites Netzwerk, welches ihnen hilft, an Material und Ratschläge zu kommen. Und so empfindet Christian Schöbel das Handwerkeln mittlerweile genauso bereichernd wie den Kontakt zur Männelschnitzer-Community.

Da dem ersten Lichtertürken weitere folgen sollten, engte Christian Schöbel die heimische Küche alsbald ein. Auf der Suche nach geeigneten Räumen, wurde der ambitionierte Tastenhecht vor drei Jahren in einer ehemaligen Striesener Kabelfabrik fündig. Von der Decke der Gemeinschaftswerkstatt hängen halbfertige Schwebe-Engel, riecht es würzig nach Holz, harren Lindenäste und Olivenwurzeln ihrer weiteren Verarbeitung. Als Segen erwies sich, dass Christian Schöbel von einem scheidenden Hobbydrechsler etliche Maschinen, Werkzeuge und Zubehör übernehmen konnte. Ebenso, dass er einen Kollegen mit Faible für die Formensprache der Jahrhundertwende gewinnen konnte: den Ausnahmeschlagzeuger Matthias Macht.

Neben ihrer Weihnachtsbesessenheit (wir räuchern auch im Sommer) verbindet das handwerklich versierte Duo die nötige Gelassenheit, den Dingen ihre Zeit zu lassen. Das fängt mit der Internetrecherche nach authentischem Zubehör an, geht bei der Suche nach geeignetem Holz (mindestens neun Jahre getrocknet) weiter und hört beim Tüfteln (Wie befestige ich ohne sichtbare Verbindungen?) längst nicht auf. Ist der handgeschnitzte Korpus erst einmal fertig, wird das mit Leimwasser und Kreide grundierte Holz farbig gefasst. Schelllack drüber, fertig. Schreibt sich schnell, dauert aber ewig. Abnehmer indes finden sie immer, denn die »Dresdner Männelmacher« fertigen fast ausschließlich nach Auftrag. Dass ihre treuen Anhänger sich stets ein wenig gedulden müssen, scheint die Vorfreude auf den Wow-Moment nur noch zu verstärken. Jener Augenblick, wenn die Leuchterspinne das erste Mal ihren zauberhaften Glanz entfalten darf!
Mutti

Dresdner Männelmacher
www.lichtertürke.de