Winter is coming
Das nächste halbe Jahr wird die Härte für die Klubkultur
Als Mitte März die Türen aller Kultureinrichtungen schlossen, Musik, Theater, Kunst auf null gefahren wurden, da war das ein Schock – zumal niemandem klar war, wie lange dieser Zustand noch währen würde. Vor allem im nicht subventionierten Bereich stand schnell die Frage der bloßen Existenz. Hier und da halfen Unterstützungsprogramme, Spenden wurden gesammelt, der Mietenfonds wird sicher auch helfen (wenn er denn mal beschlossen wird) und Crowdfundingkampagnen gab es allüberall. Dann kamen der Sommer und die Sonne – und Open Air ging so einiges. Die Junge Garde spielte, was das Zeug hielt, hinter der Scheune gab es Shows und Kino, das Ostpol verlegte sich nach draußen, die GrooveStation begann einen Betrieb zwischen Hof und Kneipe, die Gartenbühne des Societaetstheaters hatte bis Mitte September geöffnet.
Doch mit dem Ende der Open-Air-Saison droht den Klubs nun das richtige Desaster. Denn während in Sachsen die Hygienekonzepte für Outdoor ab September recht großzügig waren, wird es – Stand jetzt – ein absoluter Drahtseilakt sein, drinnen mehr als nur Bierausschank zu »veranstalten«.
Punkt eins: die erlaubte Platzkapazität sinkt dramatisch. Das vermutlich erste Dresdner Indoor-Rockkonzert nach dem Lockdown fand am 19. September in der Scheune statt. Falkenberg und Band spielten zwar vor ausverkauftem Haus, was aber bedeutete: 134 sitzende statt 450 stehende Menschen. Ohne eine Förderung des Kulturamtes wäre für die Musiker nur ein Bruchteil der normalen Gage möglich gewesen. Doch solche Förderungen sind letztendlich die Ausnahme. Die GrooveStation darf zurzeit 74 Personen reinlassen und nutzt das auch. Soul Sound System, Woods of Birnam, Lemur oder Gossenboss mit Zett sind im Oktober gebucht, manche spielen zweimal an einem Tag. Auch hier gibt es Förderungen, aber letztlich kann man das nur mit Acts machen, die eine spezielle Verbindung zum jeweiligen Klub haben, denn das Geldverdienen spielt hier keine Rolle mehr. Noch schwieriger wird es für die kleineren Venues. Das Blue Note beginnt im Oktober, aber deutlich mehr als 20 Interessierte werden vorerst nicht in den Genuss von Livemusik kommen. Ähnlich kompliziert ist es für den Ostpol oder das Alte Wettbüro. – Wie soll man Abstand halten auf den paar Quadratmetern?
Punkt zwei: Fast alle Tourneen platzen. Kann man mit Bands oder Einzelkünstlerinnen und -künstlern, die in der Nähe oder im 150-Kilometer-Umfeld wohnen, noch etwas ausdealen, so scheitern momentan fast alle Tourneen. Zwar spielt der eine oder andere Klub, dazwischen heben aber viele die Hände. Wenn man von 20 Terminen aber 13 abgesagt bekommt und sich diese Absagen noch ungünstig verteilen, muss man nicht losfahren – zumal die verringerten Platzkapazitäten der Klubs, die noch spielen, auch die Gagen drücken. Für Musikerinnen und Musiker aus dem unteren und mittleren Gagenniveau ist das eine Katastrophe. Die Folge: Fast alle Konzerte, die im Herbst und Winter gespielt werden sollten, wurden zunächst in das Frühjahr verlegt. Nun aber kommt die nächste Verschiebewelle vom Frühjahr in den Herbst 2021. Teilweise werden die Touren doppelt angelegt: Plan A im April, Plan B im Oktober zum Beispiel, was für die Planung der Klubs eine extreme Unsicherheit mit sich bringt und ab September 2021 wohl den kulturellen Overkill.
Da zudem nach dem Sommer die geplante Sanierungsschließung der Scheune kommt, werden alle anderen Häuser wahrscheinlich sieben Tage die Woche spielen müssen, um den Muggen-Berg abzutragen.
Doch bis dahin sieht es zappenduster aus. Veranstaltern, Agenturen, Musikerinnen und Musikern, Vorverkaufsstellen, Ton- und Lichtmenschen, Band- oder Cateringcrews und und und droht das Aus, denn woher sollen solche Massen an Hilfsprogrammen kommen über einen so langen Zeitraum?
Dass es wenigstens den Tropfen auf den heißen Stein gibt, ist den Bookern und Betreibern der Klubs, die trotz allem etwas anbieten, zu verdanken. Und natürlich den Bands, die sich auch unter den schwierigen Umständen auf den Weg machen, um aufzutreten. So ist zum Beispiel von den ursprünglich zehn geplanten SAX-Konzerten von noch eines übriggeblieben: Konrad Kuechenmeister am 7. November in der Scheune. Zitat: Kuechenmeister: »Ich werde auf jeden Fall spielen. Es wird eine andere, ungewohnte Show sein. Aber es findet statt.« Neu hinzugekommen sind dafür zwei Abende in der GrooveStation, die schon mit Hygeinekonzept geplant wurden: DEAF am 13. November und Frollein Smilla am 28. November. Aber das sind Ausnahmen.
Das alles kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die schlimmste Drohung aus dem GOT-Universum nun auch für die Klubkultur gilt: Winter is coming. Und über Partys haben wir noch gar nicht gesprochen.
Uwe Stuhrberg