Wenn der D-Zug kommt …

Dynamo Dresden zeigt gegen Ingolstadt den Weg

Menschen vor dem und im Stadion. Die Einsamkeit der Reporter auf der Tribüne unter dem Dach hat ein Ende. Die »Schmerzens«-Schreie der vom Gegner niedergestreckten Spieler, das Gebrülle der Trainer – nicht mehr hörbar. (Nur die spitze Stimme von Heiko »Scholle« Scholz ist noch vernehmbar, aber die kommt auch gegen ein 32.000er-Publikum durch.) Endlich wieder Atmosphäre, wenn auch personell noch ausgedünnt. Natürlich gab es wieder das Gejammer und Gemecker um die Regeln, aber wenn es gilt, dass nichts größer ist als der Verein, dann muss der Support auch (und gerade) in schwierigen Zeiten da sein. Bei vielen selbsterklärten »Superfans« scheint aber das Ego noch viel größer als der Verein zu sein. Sei es drum. Ich denke aber auch, dass man mit etwas mehr als 7.000 erlaubten Fans sehr knapp verfahren ist, auch mit Abstand wäre bei 10,2 vielleicht mehr möglich gewesen. Aber ich bin schließlich kein Virologe, sondern nur ein Typ mit viel Bauchgefühl – auch optisch.

So, da ist sie nun die Liga 2. Ich trank den Morgenkaffee brav aus der Dynamo-Tasse, brachte dann mein Phone wegen einer Spider-App in die Reparatur und fuhr zum Stadion, wo mir das mobile Engerät jetzt natürlich mit dem Impfnachweis fehlte. Soviel zum Auftaktspiel-Durcheinander in meinem offensichtlich greisen Schädel. Ist das schon Demenz, nur die Spieltagsaufregung oder hackts einfach nur bei mir? Die launige Dame am Test-Pavillon hat mir dann via Popelstab und Zettelzertifikat bescheinigt, dass sich keine coronösen Dinge in meinem Body befinden. Nun aber: Jetzt geht’s lohos! Ach nee, eins noch: Beim Warmmachen hatten alle (wie später auch die Wechselspieler) FDJ-blaue Leibchen an.

Schnell noch Kaderzettel und »Kreisel« abgreifen. Mörschel und Will auf der Bank! Hui! Alexander Schmidt scheint die Audistädter wohl überraschen zu wollen. Vier Neue plus Kade als Neualter in der Startelf und weitere drei Neue auf der Bank, wo sich gleich vier Stürmer finden. By the way: Die Folge »Ein Tag Dynamo« über den Coach zeigte ziemlich aufschlussreich, wie Schmidt im Team mit seinen Kollegen die Dinge bespricht und entscheidet. Hier ist kein Co-Trainer Beiwerk oder Erfüllungsgehilfe eines allmächtigen Chefs. Taktik als Gemeinschaftswerk.

Die erste Halbzeit: Vom Löwen, dem jungen Kreuz und der Ramme

Die Teams betreten den Rasen, und da ist sie – die neue Dynamo-Einlaufmusik des Dresdner DJ-Großmeisters Eskei83. Das hat richtig gut reingehauen, leider war – wie so oft – auf der Pressetribüne die Akustik sehr schlecht. Es folgt ein Moment des Schwiegens für die Unwetter-Opfer, aber natürlich findet sich wieder irgendein verblödeter Honk, der etwas vollkommen Sinnfreies in die Stille blöken muss. Fick dich!

Die Sportgemeinschaft startet mit dem K im Rücken. Nach wenigen Sekunden erobert Christoph Daferner den Ball und erntet den ersten Beifallssturm. In der Start-Viertelstunde sichert sich Dresden das Spiel und die Räume. Königsdörffer, Daferner und Schröter rucken am Ingolstädter Strafraum an, sorgen dort für Unruhe, kommen aber nicht durch. Für die Gäste geht nach vorn nichts. Also wirklich: nichts. Knipping, Sollbauer, Löwe und Schröter fegen vor der Haustür jegliche Bemühung weg, die nicht bereits zuvor von Kade, Herrmann und Stark beerdigt wurde. Allein wie Chris Löwe auf seiner linken Seite nicht nur hintenrum mit Cleverness, Fairness und Ruhe für Ordnung sorgt, sondern auch immer wieder ins Tempo nach vorn geht, sorgt bei mir für Bewunderung. Noch in der 70. Minute wird er Kutschke nach einem Vollsprint ansagen, wem die Eckfahne gehört.

Überhaupt zeigt sich bei Dynamo eine beeindruckende Spielübersicht. Sieht man von ein paar Übereifrigkeiten bei Kade und Herrmann ab, weiß hier jeder, wo er hinlaufen soll, die Reihen verschieben sich so, dass immer freie Anspielmöglichkeiten da sind, die Mannschaft wirkt eingegroovt, der Gegner ist davon sichtlich beeindruckt. Der Unterschied: Während Schmidt in Dresden die Idee von Kauczinski aufgegriffen und taktisch weiterentwickelt hat, wurde in Ingolstadt Orals Erfolgs-Fußball in die Tonne gekloppt und durch etwas »Neues« ersetzt. Ich schaue in die Glaskugel und orakele: Der Typ mit dem Basecap sitzt beim Rückspiel nicht mehr auf der Bank der Oberbayern.

Huch, da war ja fast das Einszunull! Königsdörffer zieht verdeckt von der Sechzehnerkante ab, Buntic kommt gerade noch so ran, weil der Schuss nicht eben stramm war. Apropos Buntic. Der Keeper der Weißen spielt von Minute eins an auf Zeit, was ihm bei jeder Ballberührung ein Pfeifkonzert einbringt. Knapp eine halbe Stunde ist gespielt, da gibt es den ersten ernsthaften Toschussversuch der Gäste: Aus der Drehung will Eckert links unten einnetzen, verzieht aber. Allerdings wäre Broll zur Stelle gewesen, wenn der Ball auf sein Tor gekommen wäre. Nur zwei Minuten später schießt Bilbija aus 13 Metern drüber, weil Schröter einen Ball direkt in die Strafraummitte klärt. Sieht aus wie dumm gelaufen und bessere Offensivkräfte hätten da auch mehr draus gemacht. Gut also, solche Fehler gleich am Anfang zu machen, wenn man das im Training noch korrigieren kann.

Aber das zeigt auch: Bei aller Überlegenheit muss dann auch mal ein Tor her, denn auch das blindeste Huhn findet irgendwann ein Korn – ist ja nicht so, dass wir das noch nie erlebt hätten. Gesagt getan: Kade (an dessen 30 ich erst gewöhnen musste) schickt Borello, der vom linken Straumraumeck gekonnt um den Goalie herumschlenzt – leider an den Pfosten. Boah ey! Gibstdochnich! Jetzt ist Drang angesagt. Löwe marschiert, wird niedergezupft, Gelb für Hawkins. Schröter flankt auf Knipping, dessen Kopfball gerade noch so abgewehrt wird. Doch vier Minuten vor der Pause hilft den Mannen von der Donau nix mehr. Wieder Schröter, der spielt (und auch ein wenig so aussieht), als wäre er ein Klon des jüngeren Kreuzer – die Linie hoch und runter mit Scheitel und Bart. In der 41. Minute hat er aber mal richtg viel Wiese vor sich und dazu beste Sicht für eine perfekt getretene, leicht gebogene Flanke an den Fünfer. Und da kommt er, der D-Zug, das D für Daferner. Links und rechts hängen sie dran an ihm, aber ach: Hat nicht schon die Mutti immer gesagt, dass man nicht auf den Schienen spielen soll, wenn der Zug kommt? Die Verteidiger versuchen alles, aber Daferner ist die Dampflok, die Ramme mit dem unbedingten Willen. Aus kurzer Distanz versenkt er den Ball am Torwart vorbei im Netz. Ich könnte jetzt vom psychologisch günstigen Zeitpunkt faseln, hole mir aber lieber mal eine Pausen-Schorlem bevor die Kollegen alles wegsaufen.

Die zweite Halbzeit: Einer geht noch ...

Während des Warmmachens trägt Vlachodimos schon Arbeitskleidung, ein Zeichen, dass für Königsdörffer der Arbeitstag beendet ist. Er hat sich gemüht, aber 100 Prozent sind das noch lange nicht. In den ersten Minuten der zweiten Häfte lassen die Schwarzgelben den Ingolstädtern etwas Leine – und Ruckzuck haben die zwei Möglichkeiten. Die bessere ist ein Kutschke-Kopfball, den der Absender aus sechs Metern nicht aufs Tor bekommt. Aber: Eine Warnung zur rechten Zeit. Vor allem Vlachodimos geht auf Rechts immer wieder steil. Erst bricht er durch, findet aber keinen vor dem Kasten. Dann, in der 58., geht er mit einer Art gestolperten ChaCha durch Mann und Maus in das Fünf-Meter-Universum und zielt in die Kurze. Den Schuss hält Buntic, klärt aber in den Fuß von Daferner. Der könnte jetzt lupfen oder mit dem Ball seinen Namen über die Linie tanzen, aber nein, er drischt das Leder mit gefühlter Warpgeschwindigkeit in die Maschen, dass danach eine DFL-Kommission das Material auf Schäden prüfen muss. Ganz im Ernst: Um Christopf Daferner, 23 Jahre jung, werden uns noch viele Vereine beneiden (oder uns viel Geld bieten), denn der Bajuware ist genau der heute seltene Typ von Mittelstümer, der brachial sein kann, aber auch das Fußballspielen mit dem Kopf beherrscht.

Direkt nach dem Zweizunull ein Doppelwechsel: Herrmann und Borello, beide mit guter Vorstellung, gehen, Hosiner und Mörschel kommen. Auch so eine Schmidt’sche Angewohnheit, die Fünfer-Wechsel-Regel gut zu nutzen. Mörschel geht gleich in einen tollen Konter, speilt aber nicht auf den freien Vlachodimos, sondern dem Gegner in den Fuß. Hm, sah komisch aus. Derweil bekommt Broll nach exakt einer Stunde den ersten Ball auf sein Tor. Wecker war vorher gestellt, also locker weggefischt. Direkt im Anschluss erreicht auch Philipp Hosiner einen Flanke von Vlachodimos, die per Direktschuss am Pfosten landet. Schwarzgelb jetzt Domina, Weiß wirkt gequält, findet aber das Safewort nicht. Und jetzt kommt der Nackenschlag.

Wer sehen will, wie diese Dynamo-Mannschaft funktioniert, der muss sich die Entstehung des Dreizunulll ansehen. Ausgangpunkt ist Hosiner, ein Stümer,  weit in der eigenen Hälfte an der rechten Außenbahn. Geschickt sichert er den Ball, ohne sich groß zu bewegen. Dann geht es mit zwei Pässen in die andere Häfte, wo Mörschel nun drei gegen drei läuft. Alle brüllen »Spiel doch!«, Haareraufen, rechts und links laufen Gelbhemden mit. Aber der Mörschel läuft in die Mitte vor dem Strafraum, lässt Keller mit fast arroganter Lässigkeit aussteigen und trifft dann überlegt, platziert, nicht zu scharf unten rechts ins Tor. Das hält man doch im Kopf nicht aus! Was ein Wahnsinn! Das wars, der Deckel ist drauf. Will und Sohm bekommen noch eine Viertstunde für Kade und Daferner, Löwe versucht sich noch an einer Bogenlampe ins Eck. Das Publikum singt das Lied »Einer geht noch …« Abpfiff.

Fazit

Ein Spiel, das gezeigt hat, wie der Weg in die Saison sein kann. Der Trainer hat eine fintenreiche Taktik, die die Mannschaft schon jetzt gekonnt umsetzt. Allerdings war der Gegener in diesem Spiel schwach, der Lackmustest, wo das Team wirklich steht, kommt erst gegen den HSV. Aber das süße Gefühl des Sieges und des Torerfolgs wurde schon mal geschmeckt. Bessere Medizin gibt es nicht. Noch 37 Punkte.
Uwe Stuhrberg

SG Dynamo Dresden vs. FC Ingolstadt 04 3:0
24. Juli 2021, Anstoß: 13.30 Uhr
Tore: 1:0 Daferner (42.), 2:0 Daferner (56.), 3.0 Mörschel (67.)
Dynamo Dresden: Broll, Schröter, Sollbauer, Knipping, C. Löwe, Stark, Kade (77. Will), Herrmann (57. Mörschel), Königsdörffer (46. Vlachodimos), Daferner (77. Sohm), Borello (57. Hosiner)
Ohne Einsatz: Mitryushkin, Aidonis, Akoto, Stor
Schiedsrichter: Lasse Koslowski
Zuschauer: 7.102
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