Wenn das kein großes Kino war!
Review: Alice Cooper in der Jungen Garde
Zum Einstieg, ist das "Brutal Planet" gewesen? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Der erste Song, in der Regel der Aufwärmer für die Band und das Technikpersonal am Mischpult, geht häufig im Eröffnungsgetümmel unter. Endgültig schließen sollte sich der Energiekreislauf zwischen Himmel und Erde, Bühne und Publikum direkt im Anschluss bei "No More Mr. Nice Guy", einem der auflagenstärksten Alice-Cooper-Hits überhaupt. Das war der eigentlich Auftakt zu einer Show, die mit vergleichsweise bescheidenen Mitteln auskam und doch spektakulärer kaum sein konnte.
Passend zu den Geschichten, die seine Songs erzählen, bekam Alice Cooper aus einer überdimensionalen Spielzeugkiste verschiedene Utensilien gereicht. Bei "Under My Wheels", einer Hommage an das Autocruisen amerikanischer Teenager der fünfziger Jahre, ist es eine lederne Bikerweste mit farbigem Klubemblem auf der Rücken. Stilecht hinterlegt das Ganze von Gitarrenlinksaußen Ryan Roxie mit einer akrobatischen Hüpfeinlage nach dem Vorbild von Chuck Berry. Bei "Billion Dollar Babies" wurde einfach das Frontcover des gleichnamigen Albums, das einer Geldbörse aus Schlangenhautleder nachempfunden war, auf den Bühnenhintergrund projiziert. Dazu warf Alice Cooper Fakebanknoten, wie sie 1973 der vinylen Erstedition beigelegen hatten, in die Menge. Bei "Halo Of Flys" gab er den Zeremonienmeister mit Frack, Zylinderhut und Spazierstock. Leider blieb sein engagiertes Wirken als Dirigent ganz und gar nutzlos. Seine ansonsten absolut kompetente Begleitformation schwurbelte bei dem zugegeben verzwickten Gitarrengeflecht zu Beginn des epischen Stücks gnadenlos aneinander vorbei. Entschädigt wurde das Publikum mit einer Soloeinlage von Chuck Garric und Glen Sobel an Bass beziehungsweise Schlagzeug, wobei besonders letzterer auffiel. Vermutlich würde der Mann noch mit beiden Armen auf den Rücken gebunden mehr Betrieb machen an seinem Double-Bassdrum-Set als drei gewöhnliche Schlagzeuger.
Danach war Gitarristin Nita Strauss mit einem Solo an der Reihe. Wiederum danach wurde zwar nach wie vor handliches, aber doch deutlich opulenteres Gerät aufgeboten. Einem kuriosen Elektroinkubator, der im entscheidenden Moment Funken sprühte, entfleuchte bei "Feed My Frankenstein" das Ergebnis menschlichen Schöpfergrößenwahns in Gestalt eines riesenhaften Pappmache-Monsters. Und dann wurde es richtig martialisch. Zu einer längeren Songstrecke aus "Only Women Bleed", "Guilty", "The Ballade Of Dwight Fry", "Killer" und "Love It To Death" schlüpfte Alice Cooper in die Rolle eines prügelnden Ehemannes, der seine Frau umbringt, sich vor Gericht verantworten muss, in die Klapsmühle eingewiesen wird, von dort ausbüxt, bei seiner Flucht eine Krankenschwester meuchelt (Ehefrau und Krankenschwester wurden gespielt von der helfenden Hand aus der Spielzeugkiste) und deshalb als verurteilter Mörder zum Schafott geführt wird - wo einem verblüffend echt wirkenden Plastikkonterfeit der Kopf abgeschlagen wird, dass das Theaterblut nur so spritzt. Noch bevor man ins Grübeln kommen konnte, ob das die Grenzen des guten Geschmacks überschreitet, dachte man, so sind sie, die Vereinigten Staaten. Genauso furchtbar und genauso grandios, weil es ein verfassungsmäßig garantiertes Grundrecht eines jeden Bürgers ist, das Schreckliche als sensationelles Bühnenspektakel zu inszenieren.
Was stand noch auf dem Spielplan? "Lost In America" vom Wiedererweckungsalbum "The Last Temptation". Oder "Poison", eine Ermahnung in Sachen Drogenmissbrauch. Oder das eher unerwartete "Pain" von 1980 aus "Flush The Fashion", einem Quasi-Elektroalbum, das wirklich nicht so seinen Sternstunden zählt. "Luney Tunes" wäre auch noch ganz schön gewesen. Oder "Elected". Ein Politiker, wie er im Song beschrieben wird, ist vergangenen Herbst gerade als fünfundvierzigster US-Präsident ins Weiße Haus eingezogen. Aber vielleicht wäre das zu offensichtlich gewesen. Alice Cooper wird nicht müde zu betonen, dass er völlig unpolitisch sei. Was er natürlich nicht ist, genauso wenig wie es Woody Guthrie, Bob Dylan oder Lou Reed (mit und ohne Velvet Underground) sind oder waren.
"I'm Eighteen" gab es aber noch, und ebenso selbstverständlich "School's Out", inklusive eines Zitats aus "Another Brick In The Wall, Part II". Einen Kinderchor wie in "School's Out" hatte Alice-Cooper-Produzent Bob Ezrin sieben Jahre später in besagtem Pink-Floyd-Song als dramaturgisches Mittel eingesetzt. Und da stand dann eine Menschenmenge, die meisten schon über ihre Lebensmitte hinaus und grölte Textzeilen wie "School's out for summer/School's out forever/School's been blown to pieces" und "We don't need no education/We don't need no thought control/No dark sarcasm in the classroom/Teachers leave them kids alone" als späten Exorzismus des Schulfrusts von einst in die schwüle Augustsommernacht. Wenn das kein großes Kino war, was dan?
Die Vorband des Abends hieß Neonfly und war vor allem dafür gut, den Unterschied deutlich zu machen. Alice Cooper ist einer der Erfinder dessen, was Anfang der siebziger Jahre schlicht eine Rockmusikfacette von vielen war und heute als Heavy Metal eine eigene Subkultur bildet. Neonfly sind Nachahmer. Das Headbanging beherrschen sie schon perfekt, an Substanz fehlt es leider. Das Publikum benutzten sie schnöde als Staffage für ihre Twitter-Fotogalerie. Aber gut, eine Band weniger, die man sich merken muss.
Bernd Gürtler
Alice Cooper 2. August, Freilichtbühne Junge Garde