Warum nicht Badminton?
Dynamischer Nachschlag nach 72 Stunden Grummeln
Mehrfach saß ich am späten Sonnabend, dann am Sonntag und wieder am Montag vor dem Rechner, um der mir selbst auferlegten Pflicht zum Spielbericht nachzukommen. Doch jedesmal platzte mir der Kragen weil mir der Hals schwoll beim Betrachten der wenigen entscheidenden Szenen aus dem Auswärtsspiel in der Audistadt. Und ganz nüchtern betrachtet: Insgesamt gesehen, war kaum was los. Außer, es war was los ... Machen wir es an einigen nicht zufällig ausgewählten Namen fest.
Kevin Broll: Als er vom Torwart zum Tor ward
Was soll man sagen? Klar, bei fast allen Keepern geht auch mal ein Ball ins Aus. Und bei Kevin Broll muss man schon feststellen, dass seine Pässe auf die Außen meist genau und verwertbar ankommen – einmal vorausgesetzt, die Zielperson ist des Annehmens in der Lage. Umso rätselhafter bleibt dieser Moment in Minute vier, als der Dresdner Torwart zum Tor ward. Die entscheidende Frage: Warum spielt der Mann diese Gurke in den leeren Raum? Den Rückpass annehmen, gucken, abspielen. Wie wäre es damit gewesen? Mit gefühlt 100 Metern Platz und ohne Pressing gab es schließlich keinen einzigen Grund, an dieser Stelle und zu diesem Zeitpunkt das Spiel durch one touch zu beschleunigen.
Man muss dem Sportfreund Broll natürlich zugute halten, dass er im Rest des Nachmittags wirklich alles gehalten hat, was da auf sein Tor kam – nicht viel, aber einiges hat ihn auch gefordert. Zudem hat er gleich zweimal Haken schlagend – einmal davon doppelt – seine Gegner im und am eigenen Sechzehner genarrt, was zumindest den Verdacht nahelegt, er wolle sein fußballerisches Talent nach dem Anfangsklops unter Beweis stellen.
Max Kulke: Wenn aus dem Spiel- ein Kurzfilm wird
Leidtragender des Broll-Aussetzers war der Junge auf rechts. Denn der scharz-rote Bilbija fängt den brachial fehlgetretenen Pass auf Sebastian Mai ab, dem das Risiko, direkt auf den Ingolstädter draufzugehen, offenbar zu groß ist. So hießt es: Rückzug. Aber auch, als es in den Strafraum geht, bleibt zwischen Mai und Bilbija der Abstand viel zu groß. Die Lücke sieht Kutschke als erster, Kulke als zweiter – und so läuft der Max dem Stefan zunächst hinterher, dann in die Füße. Mit etwas mehr Reaktionsschnelligkeit und mehr Speed in den Beinen hätte der Youngster gegen den Sturm-Oldie vielleicht noch etwas richten können, so hat er aber nur das Nachsehen. Dass es keinen nennenswerten Protest gegen die rote Karte gab, schien zumindest merkwürdig. – War man noch nicht drin im Spiel, noch nicht auf Betriebstemperatur? Oder hat man sich an die Feldverweise schon gewöhnt? Nun klafft die Lücke links hinten gewaltig. Der während des „Restspiels“ dahin beorderte Königsdörffer machte nach anfänglichen Unsicherheiten keine so schlechte Figur, vor allem, wenn er – selbst mit einigem Abstand startend – den Ingolstädtern durch pure Geschwindigkeit im Rückwärtsgang die Bälle abnahm. Man darf gespannt sein, ob man das Experiment gegen Meppen wieerholt oder ob Kevin Ehlers über die Woche umgeschult wird. Möglicherweise wird Becker auch wieder fit. We will see.
Agyemang Diawusie: Mal zog man ihn, mal sank er hin
Nach einigen gescheiterten Versuchen des flinken Rechtsaußens in den vergangenen Partien, den Ball am Gegner vorbeizulegen, um ihn dann zu überlaufen, hat es diesmal geklappt. Dreimal, sollte ich mich nicht verzählt haben. Wenn er nur den Schlussakkord noch besser spielen würde! In der 13. Minute war er nahe dran, aber das Foul an ihm direkt an der Strafraumgrenze wird geflissentlich übersehen. Der Frust darüber erklärt vielleicht auch die Schwalbe kurz vor der Halbzeit an fast exakt derselben Stelle. Doch ausgleichende Gerechtigkeit wird es in diesem Spiel nicht geben.
Marvin Stefaniak: Fast. Fast. Fast.
Der Mann gerät so ganz langsam in Spiellaune. Ab und an so sehr, dass seine mitspielenden Sportkameraden nicht erahnen, auf welche Reise der nächste Pass geht. Da wird dann mal falsch abgebogen oder stehengeblieben. Im Gegensatz zu anderen Gelbhemden ist aber seine Ballsicherheit und Übersicht durchgehend zu sehen. Allerdings ist ein Marvin Stefaniak (wie auch Yannik Stark) in einem Unterzahlspiel zu sehr defensiv eingebunden, um nach vorn richtig gefährlich zu werden. Seine Ecken flogen diesmal zwar nicht mehr auf den ersten Pfosten, sondern an den Punkt, wurden aber allesamt herausgeköpft. Wie er aber in Minute 63 einen weiten Ball von Broll in einem Zug annimmt und abschließt … Hui, fast, leider drüber. Oder sein Freistoß kurz vor Schluss. Boah, fast. Leider hatte die Heim-Defensive den Braten hinter der Mauer gerochen. Und wie er dann noch in den finalen Kopfball geht und im Gesicht getroffen wird. Elfmeter? Nein. Fast.
Martin Thomsen: Schiedsrichten als Hobby
Martin Thomsen ist Niederrheinländer und zudem ein Doktor, ein akademischer Rat. Seine Hobbys sind Joggen, Badminton und Kochen. In diesem Spiel schien für ihn leider auch das Schiedsrichten wohl nur ein Hobby zu sein. Zumindest mutete es so an, schon nach kürzester Zeit. Ich möchte mich nicht jenen anschließen, die meinen, der Elfmeter gegen Kulke wäre Unrecht gewesen, aber die rote Karte zu ziehen, grenzt an eine Frechheit. Weder war das Foul hart, noch war Kutschke am Schuss. Der Hashtag #doppelbestrafung ploppte sofort wieder auf. Und sieht man sich die gängige Praxis der Referées zu dem Thema an, muss man sagen: klare Fehlentscheidung. Dem schlossen sich nach dem Spiel sowohl der gefoulte Spieler wie auch der als Hitzkopf bekannte Tomas Oral an.
Aber dabei blieb es nicht. Nach 13 Minuten bricht Diawusie in den Sechzehner ein und wird klar gelegt. But the pipe bliebt stumm. Auch der Linienrichter auf der rechten Seite (von uns aus gesehen) ist nicht auf der Höhe oder wo auch immer. Sein Gegenpart jedoch ist wachen Auges, denn er erkennt das Ingolstädter Abseitstor als ein solches an, noch bevor der Pfeifenmann etwas anzeigt.
Fast ganz am Ende gab es für Martin Thomsen die Gelegenheit, dem in der Schlussviertelstunde aufbegrehrenden Auswärtsteam einen klaren Elfemter zuzusprechen, als Stefaniak im Luftduell unsanft mit dem Arm im Gesicht getroffen wird. Dabei hat der Schiri nicht nur beste Sicht auf die Szene, nein, mit 1,92 Metern Körperlänge verfügt auch auch über einen hervorragenden Überblick – im Wortsinne. Keiner, wirklich keiner und keine verstehen jetzt die Fußballwelt, da das Trillern ausbleibt. (Es gab sogar mal einen Elfmeter für Dynamo nach einer exakt gleichen Situation: Dank eines FB-Users stellte es sich heraus, dass es der Pokalsieg gegen die Brausebullen war. Siehe im Video bei 1:28 - damals vollstreckte Kutschke noch für uns.)
Zumindest sprach der DFB Max Kulke vom Rot fast frei, indem er nur das eine Spiel Sperre aussprach, das eben bei einer solchen Karte Pflicht ist, vom Kicker bekam Thomsen die Note 4,5. Kaufen kann sich Dynamo Dresden davon natürlich nichts.
Ach wäre der Herr Thomsen doch an diesem Nachmittag Joggen gegangen, hätte Badminton gespielt oder etwas Feines gekocht.
Uwe Stuhrberg
FC Ingolstadt 04 vs. SG Dynamo Dresden
24. Oktober 2020, Anstoß: 14 Uhr
Tore: 1:0 Kutschke (5. Foulelfmeter)
Dynamo Dresden: Broll, J. Meier, Kulke (3. Feldverweis), Mai, Knipping, Stark (83. Weihrauch), Kade, Diawusie, Stefaniak(88. Vlachodimos), Königsdörffer, Hosiner (45. Daferner)
Ohne Einsatz: Wiegers, Großer, Ehlers, Will
Zuschauer: 0
Schiedsrichter: Martin Thomsen
www.dynamo-dresden.de