Viel Souveränität und etwas Panikmodus

Dynamo erlegt die Münchner Löwen in ihrer eigenen Höhle

Foto: SG Dynamo Dresden

Manchmal erwischt sich man in altgewohnten Gedankengängen, die trotz aller gegenteiliger Bemühungen doch in Vorteilen münden. Als es hieß, dass das Spiel in München mit 30 Minuten Verspätung beginnen soll wegen einiger Probleme am Einlass, war sofort im Kopf präsent: Was hamse denn nun wieder angestellt?! Nüscht. Siehste! Brav im Regen steht er da, der dynamische Anhang und lässt sich geduldig vollregnen, während die Münchner sich um ein Anti-Investoren-Banner kabbeln. Kann uns nicht passieren, da keine Investoren da.

Bevor wir jetzt noch mal im Nachgang anfangen zu frieren, fix zum Personal: Stefan Kutschke kehrte nach seiner Sperre auf die Bank zurück, wo er unter anderem neben dem srilankischen Neu-Nationalhelden Claudio Kammerknecht saß. Auf dem Rasen begann dafür das Defensiv-Trio Büning–Boeder–Heise. Für den Kurz-vor-knapp-Ausfall Vinko Sapina rückte Tony Menzel etwas nach hinten. Und im blauen Shirt war ein guter Bekannter dabei: Leroy Kwadwo, ein Halbjahres-Dynamo anno 2021.

Die erste Halbzeit: Kwadwo und Heise mit Pannen

Obwohl mit den ganz in Blau auflaufenden 1860ern keine Verwechslungsgefahr drohte, spielte die SGD an diesem Nachmittag klamottentechnisch nach dem Motto „Back in Black“. Na ja, vielleicht müssen ja alle Trikots marketingtechnisch und merchfreundlich ausgeführt werden. Dafür Tim Schreiber ganz im Froschgrün und einem ersten Abschlag direkt zum Gegner.

Was sofort zu sehen ist: Der Dauerregen hat einen tiefen Boden zur Folge, der wohl auch einen Lionel Messi zum Norbert Siegmann machen würde. Das werden eine mühevolle 90 Minuten. Aber von Beginn an, hat Schwarzgelb hier die Finger auf dem Controller. Mit Geduld und Auge von hinten raus, gern auch mal das lange Holz aus dem Regal geholt. Kopfbälle nach Lemmer-Flanken können aber weder Batista Meier noch Meißner auf das Rechteck bringen. Aber so grob ist das Navi schon mal eingestellt.

Etwas feiner wird es erstmals nach 13 Minuten. Da spielt Niklas Hauptmann einen superben Pass in die Füße von Christoph Daferner, der behende auf rechts in den Strafraum sprintet und dort versucht, den Torwart zu überheben. Nur leider riecht der den Braten und Daferner übersieht zudem zwei deutlich besser postierte Kollegen im Sechzehner. Schon schade, weil man ja auch nie weiß, was in Bayern so mitzunehmen ist. Vier Minuten später bringt sich die Heimelf zum ersten Mal fast in die Bredouille, als Deniz nach einer Dresdner Ecke zu Meißner köpft, der aber nicht ganz die Stirn hat, um einzuschädeln – auf der Linie rettet Vollath mit mehr Ach als Krach.

Es entfaltet sich ein fast gewohntes Bild: Dynamo hat es im Griff, bleibt aber vorn zu harmlos. München kann mit dieser Situation nicht richtig umgehen und leistet sich immer mal Fehler und Ballverluste, die aber keinen nennenswerten Schaden anrichten – vielleicht aber doch in der Psyche. Denn seit 120 Jahren wurde nicht mehr gewonnen an der Grünwalder Straße und auch diese Saison mit nur einem Sieg war eher was zum Abgöbeln. Und dann probieren sie es tatsächlich mal mit einem Strahl aus spitzem Winkel, aber Tim Schreiber lächelt das Ding mal eben weg.

Damit hier aber am Ende nicht gänzlich Langeweile aufkommt, grätscht Deniz mit Schmackes Daferner um, was den Beteiligten das Adrenalin in die die Synapsen jagt und eine Portion Trashtalk auf die Wiese bringt. Bevor jetzt aber ein runder Tisch aufgebaut wird, zeigt Schiri Nicolas Winter beiden Sportfreunden Gelb. Allerdings hätte er wenig später den Karton wieder zücken müssen, als Hauptmann rüde gelegt wurde. Ist ja immer so eine Sache mit der Linie der Referees. Aber Hauptmann ist schon lange nicht mehr nur das feingliedrige Genie, er steckt gut weg und teilt auch mal aus. Aber am schönsten ist es, wenn er unstoppable über das Grün Richtung Tor sprintet mit seiner unnachahmlichen Signatur-Ballführung. So auch nach einer halben Stunde wieder, wunderbar gesehen von Meier, der sich auch vom Trikotzieher nicht aufhalten lässt, dann rechts raus auf Meißner, aber wie zuvor Daferner bekommt auch er den Ball aus gleicher Position nicht ins Netz gedrückt, auch weil Kwadwo noch einen Zehennagel dran hatte. Und by the way: Am Fünfer stand unsere 33 mutterseelenallein vor der Kiste.

Aber jetzt weiter, immer weiter. Meier lässt bei der folgenden Ecke den Ball zentral vor den Schuhen von Menzel landen, aber der Jungspund ist überrascht wie ein Pinguin am Nordpol und drischt das Ding überhastet drüber. Aber keine Atempause, Geschichte wird gemacht! Sofort wird der Münchner Abschlag abgefangen und Meier bekommt den Ball links weit außen, fast an der Linie. Er lässt den ersten Blauen stehen und läuft und läuft und läuft – zieht eine Line entlang der 16-Meter-Markierung und spielt dann quer durch den Strafraum einen ganz soften Ball auf den langen Pfosten, wo Menzel nur noch den Fuß hinhalten muss, darf, soll. Ist doch Abseits, ruft alles in Blau. Aber Roman Potemkin sieht keine nach ihm benannten Dörfer, sondern dafür ganz genau, dass hier alles regelkonform war. Feines Auge und das Einszunull für die Goldfüße aus Elbflorenz. Ich kann mich übrigens nicht der häufig geäußerten Meinung anschließen, dass der Assist von Oliver Batista Meier ein verunglückter Torschuss war. Wenn man sich die Szene in Ruhe mehrfach ansieht – wie der Ball kommt, wie Menzel in Position läuft –, ist es eher wahrscheinlich, dass es genau so geplant war.

Dynamo pustet nun etwas durch, München muss sich sammeln, das Verwaltungsmodem piepst ein wenig. Es geht immer wieder hintentum über Schreiber, mal links, mal rechts raus. Casar sieht Gelb und Bünning zeigt eine Lehrbuchgrätsche, die auf nassem Rasen noch ein wenig dramatischer aussieht. Aber nach knapp 40 Minuten berappeln sich die Bayern, Schreiber muss wieder eine Wummse am Kurzen rauskratzen. Und als die Halbzeit nur noch eine Fünf-Minuten-Terrine entfernt ist, fällt sogar noch der Ausgleich. Es ist dann dieses eine Mal zu viel Klein-Klein mit Hintenrum. Statt den Ball einfach aus der Enge wegzudreschen, wollen es Schreiber, Bünning und Heise schick auf dem Bierdeckel lösen. Das geht diesmal vollkommen schief, weil Heise versehntlich eine Löwenferse anschießt, die zur Achillesferse wird: Der Ball fällt Deniz vor die Füße und dieser schließt gedankenschnell ins leere Tor ab. Panne, Pech und Pleite – in welcher Reihenfolge auch immer. Coach Stamm zeigt sich sichtlich bedient. Und die Versuche von Meißner und Meier, noch vor dem Pausentee nachzulegen, gehen leider nicht auf.

Die zweite Halbzeit: Zwischen Trallalla und Panikmodus

Kein Männertausch zum Wiederbeginn. Sechs Minuten lang ist wirklich nichts los. Und dann gibt es da so eine an sich vollkommen harmlose Situation am Mittelkreis, aus der Wolfram in die falsche Richtung köpft, zu Kwadwo, der wohl meint, zurück kann ich auch. Doch Robin Meißner hatte das im Urin, kämpft rennend Body-against-Body mit Schifferl um das Leder und hat knapp 16 Meter vor dem Tor die entscheidende Fußlänge mehr parat und versenkt zum Zweizueins für die SGD zur großen Freude der durchnässten Dynamo-Fans, die das alles aus nächster Nähe betrachten durften.

Die Sechziger senken die Köpfe. So ein Mist und dann noch der Regen, der nicht aufhören will. Wie schön wäre jetzt eine Brotzeit, eine Haxe, ein Leberkas, ein Hendl oder wenigstens eine Brezn. Mit Bier. Aber nein. Rennst du hier diesen Dresdnern hinterher und kassierst sinnfreie Tore. Aber wenigstens Goalie Vollath ist noch voll da, sonst hätte er nicht Tony Menzels Granate aus der 57. Minute entschärft. München wechselt dreifach, Dresden bringt Jonas Sterner für Batista Meier. Noch eine knappe halbe Stunde zu gehen, und bei 60 geht nichts, nicht mal ein18hundert.

Die 70. Minute naht, da leisten sich die Hausherren den nächsten Fauxpas. Nun versuchen auch sie auf engsten Raum, ja sogar im eigenen Strafraum, das Kurzpassspiel. Das kann man ja auch mal probieren, aber doch nicht, wenn ein gewissen Herr Hauptmann in der Nähe steht, bekannt auch als der beste Balleroberer und Stiebitzer dieser Hemisphere. Der guckt sich das nämlich kurz, also nur sehr kurz an, geht dann dazwischen und steht – holla, die Waldfee – urplötzlich allein vor Vollath. Er könnte jetzt einschieben, aber der Kapitän lässt es lieber noch einmal menzeln und legt dem nebenstehenden Tony die Kugel vor die Füße, der jetzt zum dritten Tor einkullert. Gute Laune, leicht gemacht! Deckel drauf, Klappe zu, Affe tot. Die blauen Fans beginnen mit dem Abzug, zu hören sind sie schon eine Weile nicht mehr. Noch 20 Minuten zu gehen.

Aber dann: Man! Glaubt! Es! Nicht! Ist denn hier Kindergeburtstag? Und wer hat den Geschenketisch aufgebaut? Als Bernd, ähm Patrick Hobsch durchgesegelt kommt, fängt Tim Schreiber an, durch seinen Strafraum zu irren. Das ist weder zielgerichtet, noch zielführend. Statt das Tor zu hüten, hechtet er zur Grundlinie und wieder zurück, immer dem Ball hinterher statt entgegen. Am Ende der fußballerischen Nahrungskette steht Guttau, den Hobsch hübsch bedient, und das leere Tor ist nun nicht mehr zu verfehlen (außer für Mario Gomez vielleicht). Dreizwei nur noch für die Unsrigen, und fast alle Tore durch totales Rumgegurke. Dass Verlaat um ein Haar noch ein Eigentor köpft, passt ins Bild. Noch zehn Minuten zu gehen.

Freistoß zentral vor dem Strafraum der Schwarzgelben. Casar hat überdeutlich geschubst. Es wird eine Mauer gebaut, einer druntergelegt, man fuchtelt und positioniert sich, es wird gerufen und korrigiert. Am Ende schießt Guttau vorbei. Knapp, Schreiber wäre nicht rangekommen, aber vorbei reicht ja für uns. Stefan Kutschke tauscht den Platz mit dem etwas abgetauchten Daferner, München wechselt doppelt. Die letzten Patronen kommen in den Gurt. Und das Spiel bekommt noch mal Schlagzahl. Erst versagen Guttau frei vor Schreiber Füße und Nerven, auch weil Lemmer noch den Störfaktor gibt. Dann versucht sich Kutschke mit einem Weitschuss. Und was für einer! Aus dem Mittelkreis schickt er eine Bogenlampe gegen den weit vor dem Tor weilenden Vollath, der aus dem Vollsprint in letzter Milisekunde den Einschlag verhindern kann. Und alle, die immer sagen, dass Kutschke nur so Rumrammeln kann: Seht Euch die Zeitlupe an, die feine Technik des Fußes, die Flugbahn. Schade.

Die Nachspielzeit beginnt, vier Minuten. Claudio Kammerknecht und Sasch Risch kommen für Hauptmann und Meißner. Stamm will den Beton und bekommt Watte. Denn diese vier Zusatzminuten zeigen eine (fast) zusammenbrechende Dresdner Mannschaft. Jetzt spielt nur noch München, während Dynamo im eignen Sechzehner den Panikbutton drückt. Erst klatscht ein Ball an den Pfosten, dann singt Tony Menzel zweimal (!) „Walk The Line“ und rettet den Sieg doppelt auf der letzten Rille auf dem Kreidestrich. Dann trillert die Pfeife zum Endegelände.

Was noch zu sagen wäre

Neunzig Minuten überlegen und überlegt gespielt, vier Minuten Chaos. Plus zwei Torgeschenke. Man geht mit drei Punkten (Yeah!) und etwas Bauchgrummeln (Puh!) aus dieser Partie. Denn so richtig erklärbar ist der kleine Breakdown am Ende nicht. Vielleicht ist es dann auch zu viel, wenn man in fünf Minuten dreifach wechselt, und so das Gefüge etwas ins Wanken gerät. Ich kann hier nur vermuten. Dass muss man gegen Hansa zwingend vermeiden, denn die Kogge wird hier Kratzenspuckenbeißen, denn die Nordlichter stehen – wie auch die Münchner Löwen – mit nur drei Punkten da. Dass Dynamo hingegen nach der Schachtpleite vom Sonntag von der Tabellenspitze grüßt, sollte dafür eine kleine Motivation on top sein.
Uwe Stuhrberg

TSV 1860 München vs. SG Dynamo Dresden 2:3
14. September 2024, Anstoß 14 Uhr
Tore: 0:1 Menzel (30.), 1:1 Deniz (40.), 1:4 Meißner (51.), 1:3 Menzel (58.), 2:3 Guttau (71.)
Dynamo Dresden: Schreiber, Boeder, Bünning, Heise, Lemmer, Casar, Batista Meier (62. Sterner), Hauptmann (90. Risch), Menzel, Meißner (90. Kammerknecht, Daferner (84. Kutschke)
Ohne Einsatz: Mesenhöler, Duah, Lehmann, Marx, Zickler
Schiedsrichter: Nicolas Winter
Fans: 15.000
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