Versenkt
An der Waterkant gewinnt Dynamo gegen Hansa mit dem Lieblingsergebnis
"An der Osteeeeküste, am ostdeutschen Straaaand, gehn die Punkte nach Dresden, in Rostock bleibt Sand." Okay, das ist jetzt wirklich ein wenig billig, aber was soll man gegen sein Kopfkino anstellen, wenn noch am Tag danach die ergebnistechnischen Glückshormone Formel 1 im Schädel fahren? Man könnte das Ganze auch herunterbrechen auf: 3:1, war doch fast immer so – allein zwischen 2006 und 2015 gab es auswärts dreimal diesen Endstand für die SGD im Ostseestadion.
In der Gegenwart geht an einem kühl-vernieselten Novembertag Schwarzgelb mit derselben Grundausrichtung ins Spiel wie gegen die Löwen vor einer Woche. Allerdings gibt es die bereits befürchteten Ausfälle: Sebastian Mai und Marvin Stefaniak fehlen, erkältet der eine, angeschlagen der andere. Dafür kommen Kevin Ehlers und Paul Will in das eröffnende Personal. Den Capitano-Stoff trägt Yannick Stark am Oberarm.
Das Stadion an diesem Nachittag – natürlich leer. Wer denkt da nicht an die geniale Choreo mit dem pfeiferauchenden Schiffersmann und dem Spruch "Seht rüber zu den Matrosen …" Ein großer Moment mit einer singulär qualmenden Pfeife, der leider durch den folgenden sinnlosen und übertriebenen Pyroeinsatz zerstört wurde.
Die erste Halbzeit: Drei aus drei
Zehn in Weinrot, einer in Grün, und letzterer sorgt schon nach knapp 180 Sekunden für einen Schreckmoment: Kevin Broll legt sich den Ball etwas weit vor, während zwei Hanseaten auf ihn zustürzen – in höchster Not bekommt der Dresdner Goalie die Situation geklärt. Auf der anderen Seite spielt Weihrauch – heute wieder der Mann für die ruhenden Bälle – eine ordentliche Ecke, die Tim Knipping mit Wucht über die Latte schädelt. Kurz darauf zeigt Marco Hartmann auf seine unvergleichliche Art, wie man dem Gegenspieler den Ball einfach so vom Fuß löffelt.
Was von Anfang an zu sehen ist: Patrick Weihrauch zeigt an, dass er die Konkurrenz durch den späten Stefaniak-Transfer sichtbar angenommen hat. Er wirbelt, schließt die Lücken nach vorn, spielt No-Look-Pässe, hat das wachsame und situative Auge. Für einen Moment der Putzigkeit sorgt hingegen Königsdörffer, als er nach 13 MInuten einen falschen Eiinwurf fabriziert, ein weiterer wird später noch hinzukommen. Eine Trainingseinheit dafür bitte zum Thema "Ballverluste, die die Welt nicht braucht". Und auch die Rubrik "Flanken" darf für die 35 gern noch einmal auf der Übungsliste stehen – mehrfach landen die seinen im Irgendwo.
Aber Zeit zum In-sich-Reinschmunzeln bleibt nicht, denn auf einmal steht es 0:1 für die Richtigen. Der mit Kopfschutz behelmte Roßbach glaubt am eigenen Strafraum eben noch, das ganze Feld vor sich zu haben, da rauscht Hosiner auf ihn zu. Wegdreschen oder Rückpass? Der Rostocker Neuzugang entscheidet sich für Variante zwei und übersieht dabei Gottseidank Weihrauch, der genau das perfekt antizipiert hat, kurz vor der Grundlinie vor Torwart Kolke dran ist und dann noch das Auge für den mittig heranstürmenden Daferner hat. Der Dresdner Schwabe hält mit seinen 189 Zentimetern und 89 Kilo den nordischen Mitläufer vom Ball weg und haut das Runde mit Schmackes ins Netz. Auf der Kogge reißt das Segel.
Hansa will nun fix die Antwort geben, findet aber nur Fragen. Denn Dynamo denkt gar nicht daran, das Spiel komplett zu übernehmen und schanzt so auf dem Platz der Heimelf die gestalterische Verantwortung zu. Das überfordert wiederum die Blauen, die sich das irgendwie ganz anders vorgestellt hatten. (Dass sie nach dem Spiel fabulieren, es wäre ein Spiel auf ein Tor gewesen, ist ebenso obskur wie die 1860er-Statements nach ihrer letztwöchentlichen Niederlage.) Und während Ehlers-Hartmann-Knipping hinten alles auf- und wegräumen, stockt der Motor nach vorn auch bei der SGD. Stark und Will spielen öfter ungenau, Kömigsdörffer fremdelt mit seiner Rolle nach wie vor und Dafosiner reiben sich mit Anlaufen und Defensive auf. In der 28. versemmelt Königsdörffer eine weitere Flanke nach einem feinen Freispiel, auf der anderen Seite tankt sich Hansa doch mal in den Broll-Raum, doch das Ego ist größer als die Übersicht für die Nebenmänner.
Nach genau einer halben Stunde pfeift der traditionell ganz in Schwarz gewandete Schiedsrichter Manuel Gräfe einen Freistoß etwa 25 Meter vor dem Heimkasten. Und es sei kurz angemerkt: Bei diesem Spiel zeigt sich der Leistungsunterschied eines Klasse-Referées zu den Kollegen in den Spielen zuvor. Cool, aber nie arrogant, leitet er die Partie mit toller Übersicht und klarem Karteneinsatz. So wird es nie hitzig und es gibt kaum Proteste bei Entscheidungen. Ach ja: der Freistoß. Gräfe zeigt nicht an, dass er anpfeift, Rostock übersieht das und so hebt Weihrauch das Leder fix und elegant an den Fünfer. Gleichzeitig löst sich Hartmann mit der Grazie einer Ballerina aus dem Spielerpulk, nimmt in einem Zug mit der Brust an, legt sich den Ball auf den rechten Fuß und vollzieht durch die Füße von Kolke und hechelndem Gegenspieler ins linke Eck. 0:2, der Kogge bricht der Mast.
Wieder versucht Rostock den Weg zum Dresdner Tor zu finden, aber mal hält Broll aus Nahdistanz, dann wieder sind dynamische Füße und Beine dazwischen. Dafür gibt es fünf Minuten vor der Pause Fußball in Vollendung – mit dem wohl schönsten SGD-Spielzug der bisherigen Saison: Schachmatt in acht Zügen. Fast schon barcamäßig passt sich Dresden über das Grün, an der Mittellinie kommt ein vorentscheidender Hackendoppelpass Königsdörffer–Weihrauch–Königsdörffer, dann auf Will, der zu Hosiner und der Österreicher sieht, wie Königsdörffer genau die letzte Verteidigungslinie überläuft. Wenige Zentimeter vor Abseits erreicht der Jungstürmer die Bogenlampe und – nach kurzem Wackler – vollendet er überlegt an Kolke vorbei. 0:3, die Kogge leckt.
Etwas Essig in den Dresdner Wein schütten die Norddeutschen aber dann doch noch vor der Pause. Bei einem einfachen langen Ball steht Ehlers an der Strafraumgrenze erst etwas falsch neben Breier, rutscht dann noch aus, so dass der Rostocker frei vor Broll zum 1:3 trifft. Das Leck der Kogge scheint notdürftig repariert. Zudem blutet Hartmann am Kopf und geht mit einem blauen Turban in die Kabine.
Die zweite Halbzeit: No pasaran!
Durchatmen, als die Teams nach geschlürftem Pausentee zurückkehren: Hartmann bleibt dabei, ein Pflaster hat den Verband ersetzt. Gemeinsam mit seinen Neben- und Vorderleuten hat er ein Banner entfaltet und über dem Tor aufgehängt: "No pasaran!" Und damit ist die Geschichte der zweiten Halbzeit erzählt. Ein in jeder Hinsicht überragender Marco Hartmann führt die Elf durch den Rostocker Ansturm, der aber nie Herzklopfen beim Zusehen verursacht, weil er bei zunehmender Verzweiflung immer weniger zielführend wirkt. Einmal muss Broll fliegen, das war es dann aber auch. Allerdings hätte Schwarzgelb auch einige Kontersituationen besser ausspielen müssen, Sohm gleich zweimal. Aber wollen wir wirklich auf so hohem Niveau meckern? Okay, ein bisschen. Aber nur ganz kurz. Denn am Ende heißt es: Kogge versenkt. Zu Hause gab es dafür nachts einen im Wortsinne leuchtenden Empfang.
Uwe Stuhrberg
F.C. Hansa Rostock vs. SG Dynamo Dresden
21. November 2020, Anstoß: 14 Uhr
Tore: 0:1 Daferner (14.), 0:2 Hartmann (30.), 0:3 Königsdörffer (41.), 1:3 Breier (43.)
Dynamo Dresden: Broll, Ehlers, Hartmann, Knipping, Meier, Stark, Will, Weihrauch (88. Kade), Königsdörffer, Hosiner (73. Becker), Daferner (79. Sohm)
Ohne Einsatz: Wiegers, Vlachodimos, Kulke, Diawusie
Zuschauer: 0
Schiedsrichter: Manuel Gräfe
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