Und Gott sprach: Brause werde zu Pulver

Dynamo geht auf Bullenjagd und erlegt die Leipziger Herde

Ich will ehrlich sein: Als ich die Aufstellung der Startelf sah, wurde mir etwas anders. Testroet, Teixeira und Lumpi auf der Bank, dafür Starostzik, Konrad und Kutschke auf dem Grün. Ein etwas defensiveres Experiment von Trainer Uwe Neuhaus, das am Anfang nur bedingt funktioniert. Aber wen interessiert das noch nach einem solchen Spiel?

Halbzeit eins: Irgendwie so, na ja, nicht so richtig
Am Anfang war ein strammer Schuss von Marvin Stefaniak; nach einem abgewehrten Freistoß kommt der Ball zum Schützen zurück, doch dessen Strahl verfehlt knapp das Ziel. Und als man nach einer Viertelstunde noch versuchte, die Lage einzuschätzen, gab es einen auf die Mütze: Bei einer Flanke in den Fünfmeterraum fühlte sich niemand für Sabitzer zuständig, der frei köpfen konnte, wobei Marvin Schwäbe das Ding noch selbst in sein Tor boxt. Man sollte es keinen Torwartfehler nennen, aber irgendwie stand er schon zwei Schritte zu weit draußen.

Dynamo liefert nun zunächst eine eher nüchterne Vorstellung ab, nur Stefaniak, Hartmann und - vor allem - Stefan Kutschke standen mächtig unter Dampf. Der Ex-Bulle und Noch-Nürnberger rackerte wie ein Wilder, langte auch mal zu, aber es traten auch seine Defizite zutage. Dem Strafraumstürmer fällt es oft schwer, Bälle festzumachen oder Teil des Spielflusses zu sein statt wie gewohnt am Ende der Aktion Kopf oder Fuß hinzuhalten. Mehrere Konteransätze liefen zudem ins Leere oder wurden unkonzentriert beendet. Leipzig hingegen bekam jetzt mehr Spielkontrolle, ohne dabei wirklich gefährlich zu wirken.

Als man gerade so dachte, mit einem Tor Rückstand in die Halbzeit zu gehen, wäre ja nicht sooooo schlimm, kam es mal wieder anders, weil Konrad bei einer Flanke den Schweini machte: Hand, Elfmeter, Kaiser, drin. Wer jetzt noch glaubte, das wird schon noch, sagt womöglich nicht die Wahrheit. Die Spieler allerdings, das erzählt Uwe Neuhaus nach dem Match, waren in der Halbzeitpause überzeugt davon.

Halbzeit zwei: Purer Wille und der 12. Mann
Man mochte meinen, Dynamo würde jetzt offensiv wechseln, doch es kam nach der Pause Nils Teixeira für den eher unauffälligen Hendrik Starostzik. Und der Trainer sollte recht behalten. Denn nur zwei Minuten nach dem Wiederanpfiff gab es wieder Strafstoß - nur diesmal für Schwarzgelb: Schmitz hatte im Strafraum den in seinem Rücken heranrauschenden Stefaniak übersehen und checkte diesen vor lauter Schreck in Eishockey-Manier zu Boden. Sofort schnappte sich Stefan Kutschke den Ball und ließ keinen Zweifel daran, wer das Ding schießen wird. 1:2! Und wenn das Stadion schon vorher sehr laut war, brannte die Hütte jetzt stimmungstechnisch lichterloh.

Ohne Unterlass peitschte der 12. Mann seine Elf nach vorn, und die Emotionen übertrugen sich auch auf den Platz. Mehr und mehr ließ sich die Brausetruppe hinten reindrängen, für Konrad kam Testroet, der Ausgleich sollte jetzt erstürmt werden. Haareraufen als Kutschke fast frei vorm Tor den Ball nicht richtig trifft, doch dann enthemmter Jubel, als er es nur wenige Momente später in Minute 78 richtig macht. Capitano Hartmann spielt einen mustergültigen Pass in die Schnittstelle an der Strafraumgrenze, wo Sankt Stefan gekonnt den Ball annimmt und das Leder sehenswert und mit Schmackes versenkt.

Jetzt rasten alle aus, selbst die Pressetribüne steht Kopf. Und zugleich der Blick auf die Uhr: Halt aus, hallo und noch zwölf Minuten bis Buffalo. Doch nicht der berühmte Steuermann John Maynard aus Theodor Fontanes Gedicht rettet das Remis, sondern der auch diesmal nicht immer souverän wirkende Marvin Schwäbe: Denn neun Minuten vor dem Ende der 90 Minuten köpft der zunehmend entnervt wirkende Yussuf Poulsen mittig unten den Dresdner Querbalken, doch der Dresdner Keeper bekommt die Pranke dran und lenkt den Ball drüber. Für die letzen drei Minuten kommt schleßlich noch Akaki Gogia auf den Platz, weshalb Doppeltorschütze Kutschke eher Schichtschluss hat.

Die Verlängerung: Vogelwild
Wie so oft in der Extratime wird es bei schwindenden Kräften ziemlich vogelwild. Der Kopf ist leer, die Konzentration lässt nach. Lange Bälle, Strafraumgewühl hüben wie drüben, doch keiner landet den Lucky Punch. Aber es ist zu sehen, dass Dynamo das Ding hier reißen will. Allein wie sich Marco Hartmann die letzten zehn Minuten über den Rasen quält, von Krämpfen geplagt und doch sich in jeden Zweikampf stürzend, den er erreichen kann, dass prägt das Bild eines Teams, dass durch Willen geeint wird. Und dann ist Schluss.

Das Elfmeterschießen: Fünf gwinnt
Vor dem Strafstoßdrama noch einmal der Kreis, das Sich-Anfeuern. Patrick Wiegers flüstert Schwäbe Aufmunterndes ins Ohr. Uwe Neuhaus muss keine Schützen auswählen. Es stehen sofort mehrere Spieler bereit, die unbedingt wollten.

Und dann: Bäm! Bäm! Bäm! Bäm! Bäm! Alle Dresdner verwandeln und bei Leipzig verliert der Kaiser seine Kleider. Als Aias Aosman den letzten Elfer versenkt, hatte man kurz den Eindruck, dass gesamte Stadion würde abheben. Selbst beim Pokalsieg über Schalke war die Euphorie nicht derart ausufernd. Leidenschaft besiegt Papierform, aus Brause wurde Pulver. Dresden hat Ufffta, Leipzig hat nix.

Bleibt noch eine Bitte an den Fußballgott: Bitte schenke uns in der nächsten Runde wieder ein Heimspiel, kommen mag dann, wer will.
Uwe Stuhrberg

Dynamo Dresden vs. RB Leipzig 20. August 2016, Anstoß: 15.30 Uhr
Tore: 0:1 Sabitzer (15.), 0:2 Kaiser (45., Elfmeter), 1:2 Kutschke (48., Elfmeter), 2:2 Kutschke (78.)
Elfneterschießen: 2:3 Kalmar, 3:3 Testroet, 3:4 Orban, 4:4 Stefaniak, 4:5 Ilsanker, 5:5 Teixeira, Kaiser vergibt, 6:5 Gogia, 6:6 Halstenberg, 7:6 Aosman
Dynamo Dresden: Schwäbe, F. Müller, Starostzik (45. Teixeira), Ballas, Kreuzer, Konrad, Hartmann (C), J. Müller, Aosman, Kutschke, Stefaniak
Zuschauer: 29.222
www.dynamo-dresden.de