Umgeschubst

Die bittere Dynamo-Heimpleite gegen den FSV Zwickau

Man kann dieses Spiel mit einem bildlichen Vergleich zusammenfassen: Duelliert sich ein Degenfechter mit einem Boxer. Der Florettkünstler denkt, er müsse dank seines Könnens, den Faustkämpfer nur auf Abstand halten und ihn dann niederstrecken. Er piekst ihn sogar einmal, doch mit zwei harten Haken knockt der bullige Hand-Werker den Stechling aus, auch, weil sich herausstellt, dass dieser die Sache mit dem Fechten doch nicht so beherrscht wie zuvor geglaubt. Und so endet ein für alle extrem anstrengender Fußballabend mit einer Lehrstunde in Sachen dritte Liga. Dabei war die Vorfreude doch so groß: Flutlichtgame gegen den Gegner aus dem westsächischen Corona-Hotspot. Leider fast ohne Publikum. Aber zum EInmarsch rufen die 999 schon mal „Auf Dynamo, auf Dynamo, hey, hey“. Und es stellt sich die Frage: Warum hat die Anzeigetafel kein Foto von Paul Will?

Die erste Halbzeit: Blitzstart und Knockout

Auf dem Rasen waren die Veränderungen weniger durchgreifend, als man sie in einer englischen Wochen hätte vermuten sollen: Vlachodimos für Königsdörffer und Becker kehrte nach seiner Verletzung für Kulke zurück. Beide sollten sehr schnell eine Rolle spielen. Denn mit explosiven Anfangssekunden ging Dynamo in die Partie – Ballklau Becker, rechts raus auf Diawusie, flach in die Mitte zu Vlachodimos, sofort via One-Touch auf Hosiner, der im Fünfer nur noch einschieben muss. Krachbummpeng – Einszunull! Der FSV wird seziert wie ein Frosch im Bio-Unterricht.

Jedoch: Noch keine fünf Minuten sind gespielt, da fällt der Ausgleich. Und da muss die Frage gestattet sein: Was erlauben Becker? Eine flache Ecke wird auf den ersten Pfosten getreten, wo Schikora pfiffig mit dem Außenrist in die Kurze einnetzt. Aber wo und wie bittesehr steht dann da der Gegenspieler? Selbst mangelnde Spielpraxis darf bei so einem Standard nicht zu dieser Art Gegentor führen. Nun ist klar: Ein Tor reicht heute nicht zum Sieg.

Aber weil eine Hiobsbotschaft nicht reicht, kommt in Minute 12 die nächste. Gerade hat Löwe FSV-Sturmtank König fein abgekocht, da wird er an der Mittellinie von Reinhardt ohne fußballerische Not und ohne situativen Sinn Fuß voraus abgeräumt. Die Schmerzenschreie gehen einem noch oben auf der Pressetribüne durch Mark und Bein weil jeder weiß, dass der 15er nicht zu den Fußballern gehört, die auf dem Feld einen Oscar verdienen wollen. Schnell kommt das Wechselzeichen. Und auch wenn der Sünder – immerhin ein früherer CFC-Mitspieler von Löwe – bedröppelt dreinschaut, müsste er für die Aktion achtkantig vom Platz fliegen, sieht aber nur Gelb. Meier kommt nun auf Links.

Jetzt ist er da, der Bruch im Spiel. König hier und Weihrauch da mit unentschlossenen Aktionen. Innerhalb von 60 Sekunden sehen Frick und Vlachodimos Gelb. Diawusie und Weihrauch mit einem zunächst verheißungsvollen Konter, doch mehr als eine Ecke springt dabei nicht heraus – und die sind an diesem Abend alle nicht gut. Überhaupt verliert das Spiel jetzt Struktur und Schönheit, es regieren Zufall, Härte und Ungenaugkeiten. Eine endlose Aneinandereihung von Fehlpässen, Ballverlusten und Abfälschungen lassen in der 28. Minute König vor dem Dresdner Tor auftauchen, aber der Routinier semmelt meterweit über den Kasten. 120 Sekunden später machen es die Autostädter besser: Weil der eingewechselte Meier in der Feldmitte überspielt wird, kann Starke ohne Gegenwehr auf der linken Außenbahn durchbrechen, passt Käptn Mai durch die Hosenträger und findet in der Strafraummitte Jensen, der Broll aus 15 Metern überlegt und scharf überwindet.

Jetzt ist Dresden von der Rolle, das ist irgendwie zuviel des Schlechten nach dem verheißungsvollen Beginn. Und einige scheinen mit der Gangart in diesem Spiel nicht zurechtzukommen. Der rustikalen Arbeitsmoral der Zwickauer will man mit Feinkost begegnen, was aber nur funktioniert, wenn man sich seiner Mittel sicher ist. Zudem hätte sich die Heimelf nicht beschweren dürfen, wenn sie noch einen Elfer kassiert hätte – Broll faustet ohne Ballberührung (ausgerechnet) gegen Reinhardt nur den Spieler weg. Aber dessen schlechtes Gewissen ist wohl noch so groß, dass er auch nicht ein kleines bisschen protestieren mag.

Trotzdem will Schwarzgelb den Ausgleich noch vor der Pause, das ist in den letzten Minuten vor dem Seitenwechsel spürbar. Diawusie kommt durch, aber Hosiner verhaspelt zentral den Ball, Weihrauch schnibbelt einen Freistoß drüber, dann noch einmal Hosiner auf Diawusie … Aber die neverending Story vom letzten Move, der nicht sitzt, geht weiter. So dominiert das extrem körperliche Zwickauer Spiel – und Dynamo scheint sich davon erdrücken zu lassen.

Die zweite Halbzeit: Kein Luck, kein Punch

Für den Gelbverwarnten Vlachodimos kommt Stefaniak aus der Kabine und so zur Wiederkehr auf den heimischen Rasen. Und den besseren Start hat Dynamo. Ein weiter Broll-Abschlag kommt zu Weihrauch, der aber – wie schon gegen den FCM – nichts draus macht. Dann eine feine Kombi vom diesmal resolut EinsgegenMehrere gehenden 10er, die sich über Will und Becker zu Stefaniak entwickelt, der per Kopf verzieht.

Jetzt wird es eine Zeit lang dann doch ein Fußballspiel. Zwickau köpft nach Ecke an den Pfosten. Dann erhascht Hosiner einen Zwickauer Fehlball und kann allein aufs Tor marschieren, jedoch fehlt es ihm an Speed. Er könnte zum mitlaufenden Stefaniak spielen, der ihn sichtlich überholen kann, doch der Österreicher wird einfach abgelaufen wie ein olles Milchproduktdatum, denn er legt sich das Leder zu weit vor in den eigenen Lauf. Einer erfahrener Akteur wie er muss das besser machen!

Die Konter der Gäste streuen dagegen immer das Gefühl der Angst ins dynamische Taktikgebälk. Sobald der Ball erobert ist, weiß hier jeder, wo er hinlaufen muss, werden Querpässe fast blind gespielt, steht man mit zwei, drei Zügen vor dem Dresdner Tor. So kann Dynamo nie ganz aufmachen, weil es mit Meier und Becker nichht ausreichend Gegenwehr auf den Flügeln gibt. Mai hingegen kommt bei Ballbesitz immer öfter über die rechte Seite, was Stark als Absicherung hinten reinzwingt – so fehlt er beim Spielaufbau.

Mit schwindender Zeit nehmen Nervosität und Planlosigkeit zu. Daferner kommt für Becker. Was soll der Coach auch machen? Und auch, wenn es einige Male wie guter Fußball aussieht, so steht der FSV vielbeinig und kantig hinten drin. Vom Mittelfeld bis zum Gästestrafraum gewinnt Dynamo quasi keinen Kopfball – und trotzdem probiert man es mit einem hohen Ball nach dem anderen. Die Wirkung ist Null. Dabei hatte man bereits mit dem 1:0 genau die Fornel gefunden, wie man es machen sollte: flach, schnell und ganau. Aber die Formel ist irgendwie gone with the wind. Immerhin zeigt Stefaniak Ballsicherheit, wenn auch seine Ecken ernüchternd sind. Aber noch ist der Marvin ein Versprechen für die kommenden Wochen.

DIe Schlussviertelstunde zeigt dann weiteres Bemühen, aber die Angst vor dem dritten Tor ist großer als die Courage, all in zu gehen. Durchaus verheißungsvolle Kontersituationen werden ohne Übersicht und hypernervös verdaddelt. Einfachste Ballverluste, mangelndes Kampfgebahren und mutlose Zweikämpfe – dazu immer wieder nerven- und kraftraubende Fehlpässe. Zwickau hingegen feiert jetzt jeden weggedroschenen Ball. Die Schlussminute bringt diesen Abend auf den Punkt: Freistoß in bester Position, etwas links vor dem 16-Meter-Areal. Stefaniak diesmal nicht, Mai übernimmt. Mit saftigem Druck kracht das Runde an den Pfosten, nur Zentimeter fehlen zum Punkt. Keeper Brinkies wäre chancenlos gewesen. Abpfiff. Danach bespricht Broll noch einiges mit Stefaniak, fast pantomimisch werden Szenen debattiert. Worum wird es gegangen sein? And by the way: Ich hätte auch der Fare-Aktionswoche, dem Abendmotto und dem Auftakt zur "Bildungsflanke" einen besseren Abend gewünscht.

Fazit: Ein weiteres Spiel, in dem die Sportgemeinschaft nicht überzeugen konnte, wenn überhaupt, dann nur in den ersten Minuten. Sie wurde umgeschubst wie bei einer Auseinandersetzung auf dem Schulhof. Dass die wohl schwere Verletzung von Chris Löwe einigen zu schaffen gemacht hat, ist verständlich. Aber die zweite Halbzeit hätte man wenigstens für ihn gewinnen müssen. Nun geht es nach Ingolstadt. Was wird da wohl werden?
Uwe Stuhrberg

SG Dynamo Dresden vs. FSV Zwickau

20. Oktober 2020, Anstoß: 19 Uhr
Tore: 1:0 Hosiner (2.), 1:1 Schikora (4.), 1:2 Jensen (30.)
Dynamo Dresden: Broll, Becker (68. Daferner), Mai, Knipping, C. Löwe (13. Meier), Stark, Weihrauch, Will, Diawusie, Vlachodimos (45. Stefaniak), Hosiner
Ohne Einsatz: Wiegers, Ehlers, Kade, Kulke, Königsdörffer
Zuschauer: 999
Schiedsrichter: Alexander Sather
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