Überragend und konkurrenzlos einzigartig!

Review: Balbina war in der Scheune

Bei Populärmusikartisten, die es geschafft haben oder dabei sind, in selbige Hemisphären vorzustoßen, ist das Fotografieren für Medienvertreter gewöhnlich streng reglementiert. Kein Mensch weiß warum, im Publikum findet sich immer jemand, der mit dem Smartphone draufhält und oft noch nicht mal vor dem Einsatz eines Blitzlichts zurückschreckt. Ebenso bedenkenlos werden die Bilder und Videofilmchen anschließend ins Weltnetz gestellt. Aber egal, Fotografen, die von Berufs wegen vor Ort sind, dürfen zumeist nur bei wenigen Songs zu Beginn des Konzerts ihre Arbeit verrichten. Diesmal lautete die Ansage, aber bitte erst nach dem dritten Song die Kamera zücken! Sehr seltsam. Doch in dem Moment, als Balbina die Bühne betrat, sollte sich im Handumdrehen zeigen, wofür die Einschränkung gut war. Ihr Mitte Februar veröffentlichtes zweites Album "Fragen über Fragen" enthält an prominenter Stelle einen Song, der "Unterm Strich" heißt und mit Textzeilen wie "Ich bin ein Puzzleteil aus der falschen Packung, ich habe eine krumme Haltung" oder "Ecke an allen Ecken an und finde keinen, der sagt, ich soll so bleiben" das unbestritten autobiographisch gefärbte Porträt eines Außenseiters zeichnet. So jemand braucht ein wenig Zeit, um sich mit der Welt draußen anzufreunden, und da sollte eben kein voyeuristisches Kameraauge zuschauen.

Tatsächlich verriet ihre Gestik zu Beginn etwas das Einstudierte. Wie im schnöden Schlager gang und gäbe, wurde das Gefühlige betont. Lediglich die Wortgewalt der Songtexte hielt einen ab, auf falsche Gedanken zu kommen. Mit dem dritten Song jedoch war der Bann gebrochen und Balbina ging vollständig auf in ihrer Musik. Die beim jüngsten Album subtil auf die einzelnen Songs abgestimmten Arrangements blieben dem Tonträger vorbehalten. Von der Bühne wehte die pure Intensität. Unglaublich, diese Figur, gekleidet in einen langen schwarzen Rock, ein weißes Oberteil und die pechschwarzen Haare streng zum Zopf geflochten, das ist sie, voll und ganz und ohne jede Einschränkung.

Geboten wurde das komplette "Fragen über Fragen"-Material, unterbrochen von einem semiakustischen Teil mit Songs vom Albumdebüt "Über das Grübeln". Beim vorletzten Song "Das Kaputtgehen", wo die Sängerin beichtet, dass sie vorzugsweise das zerstört, das ihr lieb und teuer ist, gab es kein Halten mehr. Balbina kehrte ihr Innerstes nach außen, schonungslos gegen sich selbst wie weiland John Lennon mit "Mother" oder kürzlich Sallie Ford bei ihrem Album "Soul Sick". Am Ende wurde sie fast von den eigenen Emotionen überwältigt.

Ein kritischer Moment ergab sich zum allerletzten Konzertfinale, als sie eine Songzeile aus "Stille", die da lautet "Ich bin unwichtiger als unwichtig" durch dem Nachsatz ergänzte, "Danke Publikum, dass ihr mir das Gefühl gebt, nicht unwichtig zu sein." Vorsicht, liebe Künstlerin, dieses Publikum kann dich fallen lassen wie eine heiße Kartoffel, sobald es ihm gefällt. Es reicht schon, wenn der Medienzirkus die nächste coole Sau durchs Dorf treibt. Ganz zu schweigen, wenn die Künstlerin sich erdreisten sollte, etwas anzubieten, das dem geneigten Publikum missfällt. Die Populärmusikgeschichte ist dicht gesäumt von gescheiterten Künstlerexistenzen, die hofften, ihr Publikum würde sie durch Höhen und Tiefen tragen. Wie im banalen Alltag gilt, der Mensch findet nur Glück und Erfüllung, wenn er sich selbst liebt wie es kein anderer kann.

Wobei man sich als Beobachter schon verdutzt fragt, woher bei Balbina eigentlich dieser tief sitzende Selbstzweifel kommt. Auch auf die Gefahr hin, sich zu wiederholen, aber sie ist überragend und konkurrenzlos einzigartig! Nicht nur was den auf "Fragen über Fragen" mit Hilfe von Kammermusikelementen und Orchestereinsatz entwickelten Musikkosmos angeht, sondern gerade im Hinblick auf ihre Songtexte.

Eine lustige Fußnote ist, dass die Künstlerin polnische Wurzeln hat. Balbina Monika Jagielska, wie sie bürgerlich heißt, zog mit zweieinhalb mit ihren Eltern von Warschau nach Westberlin. Möglicherweise bringt solche ein Umstand den einen oder anderen Migrationsgegner und Flüchtlingshasser zum Umdenken. Der Blick mehr oder weniger von außen ist es, der uns hier unsere angeborene deutsche Muttersprache aus einer ungewöhnlichen Perspektive zeigt.

Das Vorprogramm bestritt Okan Frei mit einer Synthese aus Elektrobeats, Gitarre und Gesang, der mehr gerappt war. Bereits vor zwei Jahren gemeinsam mit Balbina auf Tour, war er auch schon in Dresden aufgeschlagen und traf auf eine beachtliche Fangemeinde.
Bernd Gürtler

Balbina
29. März, Scheune