Two-Face Dynamo
Auch in Bochum scheitert Dresden vor allem an sich selbst
Die Vorzeichen der Partie im Westfälischen waren eigentlich nicht schlecht. Die Nackenschläge von Stuttgart und Braunschweig schienen abgehakt, die unglückliche Eigentorniederlage in Fürth wurde zudem abgefedert durch das überschwängliche Zeichen der reisenden Fangemeinschaft nach dem Spiel. Allerorten war zu hören: Hey, wir zahlen es ab jetzt zurück. Leider klappte das nur 45 Minuten.
Erste Halbzeit: Suttgart reloaded. Part 1.
Ein zeitiges Tor, wer wünscht sich das nicht? Vor allem gegen ein Team, das schon in Minute 7 einen Elfer schinden will? Es ist nicht nachgewiesen, ob Marco Stiepermann an der ortsansässigen Schauspielschule Artrium mal ein Praktikum absolviert hat, aber wenn ja, dann war seine Anwendung „nicht ausreichend“. Der Volksmund sagt auch „Strafe folgt auf dem Fuß“, und so halten sich die Schwarzgelben nicht mit dem Lamento auf, Akaki Gogia bedient Niklas Hauptmann, der von der Strafraumgrenze einfach mal den Ball ins Tor hämmert. Das der Fernsehreporter trotz mehrfacher Zeitlupen behauptet, es sei Marvin Stefaniak gewesen, muss man nicht verstehen.
Na geht doch gut los, mochte man meinen. Zumal nur drei Minuten später wiederum Gogia nach einem explosiven Sturmlauf den Ball übersichtig nach rechts zu Stefan Kutschke legt, dem es aber offensichtlich zu langweilig ist, schon wieder so ein Tor wie gegen Düsseldorf zu machen, weshalb er den Schuss haltbar macht, die Landfrau würden einwecken sagen.
Schon in diese gute Phase mischen sich jedoch defensive Unzulänglichkeiten, etwa als Stefaniak einen Ball fast zu kurz auf seinen Goalie köpft, der das Runde mit Mühe und Schnelligkeit doch noch wegfängt. Oder als kurz danach Bastians vollkommen frei vor dem Dresdner Tor danebenköpft.
Überhaupt der Marvin S. Was ist los mit dem Jungen? Seine wenigen Freistoßversuche – in diesem wie in den letzten Spielen – sind ein einziges Trauerspiel, seine Ecken (er tritt ja kaum noch welche) bringen keine Gefahr, nur die Seitenwechsel klappen und ein paar gute Pässe. Auch als Kapitän ist er auf dem Platz kein Leader, Antreiber, Taktgeber. Er spielt eben mit. Dass diese Formkrise nur mit dem bevorstehenden Wechsel zu tun hat, kann und will ich nicht glauben. Es ist ein Rätsel.
Dann hat Florian Ballas eine Schusschance, im Gegenzug kontert schon wieder Stiepermann, scheitert aber ähnlich wie eben noch Kutschke. Der wiederum kann direkt im Anschluss eine vorübergehende geistige Umnachtung der Bochumer nicht nutzen, als Keeper und Verteidiger Konfusion pur zeigen.
Aber nach 25 Minuten fällt endlich das zweite Tor. Akaki Gogia schwenkt von der Außenbahn nach innen und zieht aus etwa 20 Metern ab. Der Bochumer Torwart hat wohl eben noch seine Whatsapp-Nachrichten gecheckt oder was auf Instagram gepostet, jedoch keinesfalls damit gerechnet, dass hier ein Ball kommt. Die Patschehändchen noch dran, muss er dann doch ins Netz gucken.
Und immer wieder Gogia – wie aufgedreht der Mann in dieser Halbzeit eins ist! Nur drei Minuten nach seinem Tor lässt er mit einer Ballmitnahme über den Gegenspieler hinweg die Zuschauerzungen schnalzen, bedient dann bestens Stefaniak der von der linken Straufraumgrenze einen missratenen Pass spielt, der selbst Perücken die Haare sträuben lässt. Kurz danach spielt der Dynamo-Zehner dann mit Kutschke Katz und Maus mit der Bochumer Abwehr, doch als Stefaniak die Schussgelegenheit hat, spielt er quer – wieder in die Füße Verteidigung. Kurz vor der Pause macht es dann auch Philip Heise nicht viel besser, was Kutschke angefressen vor sich hinschimpfen lässt. Es sollte eigentlich 4:0 für Dynamo stehen. Steht es aber nicht.
Zweite Halbzeit: Stuttgart reloaded. Part 2. Nur schlimmer.
Die Story dieser zweiten Halbzeit ist die Geschichte eines Absturzes. Und der beginnt bereits vier Minuten nach Wiederanpfiff, als Mlapa nur knapp scheitert. Sekunden später nimmt Gogia – vielleicht noch im Heldenmodus – denn Ball vor dem eigenen Strafraum zu lässig an, verliert ihn dabei, von außen kann Ex-Dynamo Losilla Richtung Eisfeld speilen, der das erste Bochumer Tor erzielt. Kann passieren, möchte man meinen, aber doch nicht zweimal. Denn 42 Sekunden danach geht Kreuzer parallel zur Sechzehner-Linie mit dem Ball spazieren, verliert aber auf ganz ähliche Art wie eben Gogia das Leder an Stiepermann, der nur noch paar Meter alufen muss und unhaltbar an Schwäbe vorbeischießt. Das darf nicht passieren, möchte man meinen, aber es passiert sogar zum dritten Mal: Wieder gibt Kreuzer den Ball her, diesmal an der Seitenlinie, doch das dritte Tor kann der Dynamo-Torwart zu diesem Zeitpunkt noch verhindern. Eine hundertprozerntige Möglichkeit durch einen Wurtz-Kopfball fliegt knapp vorbei.
Nun ist die Luft bei Dynamo raus, die Köpfe unten, Selbstverständliches funktioniert nicht mehr. Es gibt wieder einen Stefaniak-Freistoß in die Mauer und einen Nachschuss, der ein Fall für das Bochumer Planetarium wäre.
Dann, nach einer Stunde, rappelt sich Dynamo noch mal auf. Erst drischt Kutschke eine Flanke sehenswert direkt in die Arme von Torhüter Riemann, dann spielt sich der Stürmer mit Stefaniak schön in den Strafraum, wo es dann aber wieder ungenau wird.
Nach genau 70 Minuten schließlich wird dann durch Bochum finalisiert. Ein Freistoß, der gefühlt eine halbe Stunde unterwegs war, wird nicht geklärt, so legt Wurtz in die Mitte zu Losilla, der die Zeit hat, zu überlegen, welcher denn nun sein besserer Fuß ist, kurz grüßt er noch alle Umstehenden „Hallo, ich bin der Anthony, ich habe auch mal bei euch gespielt“, dann legt er den Ball an Schwäbe vorbei ins Tor.
Nun kommt Aias Aosman für Lumpi, danach Erich Berko für Gogia. Es passiert aber zunächst wenig, viel Unruhe, viele Fouls. Hauptmann eiwa wird zehn Minuten vor Schluss rotwürdig gefällt, es gibt aber nicht einmal Freistoß. Für ihn kommt Alvarez und Kutschke sieht seine fünfte Gelbe Karte. Dann, kurze Hoffnung, hat Aosman doch noch den Ausgleich auf dem Schuh, aber wie so oft platziert er den Ball nicht richtig. Dass dann kurz vorm Abpfiff noch das vierte Bochumer Tor fällt, mag fast folgerichtig sein. Wieder segelt ein langer Ball an die Strafraumkante, wieder legt Wurtz quer, weil Fabian Müller Zuschauer bleibt, und da Konrad seinen Gegenspieler Görkem Saglan entwischen lässt, hat der freie Bahn und macht den Deckel drauf.
Die Fans der Batman-Saga kennen sicher Two-Face, jenen Harvey Dent, der eine schöne ansehnliche Gesichtshälfte hat, während die andere Seite seines Antlitzes entstellt und hässlich ist. Und irgendwie war Dynamo Dresden einmal mehr von einem „Two-Face“-Virus befallen. Wie die Heilung aussieht? Die leigt wohl im mentalen Bereich. Konnten in der Saison mehrfach Spiele gedreht werden, kann die Mannschaft momentan nicht mit Rückschlägen umgehen. Zudem schwächeln mit Stefaniak, Heise, Kreuzer und Gogia Spieler in solchen Situationen, die es eigentlich besser können und wissen sollten.
Jetzt geht es noch dreimal gegen abstiegsbedrohte Kellerkinder, die von Verzweiflung getrieben sein werden. Da braucht es mehr als einen Plan A, sondern mehr situative Kreativität. Ob Dynamo dazu jetzt noch in der Lage ist, bleibt abzuwarten.
Uwe Stuhrberg
VfL Bochum vs. SG Dynamo Dresden 29. April 2017, Anstoß: 18.30 Uhr
Tore: 0:1 Hauptmann (8.), 0:2 Gogia (25.), 1:2 Eisfeld (50.), 2:2 Stiepermann (51.), 3:2 Losilla (70.), 4:2 Saglam (88.)
Dynamo Dresden: Schwäbe, Kreuzer, Ballas, J. Müller, Heise, Konrad, Lumpi (72. Aisman), Hauptmann (82. Alvarez), Stefaniak, Gogia (78. Berko), Kutschke
Ohne Einsatz: Wiegers, Teixeira, Starostzik, Hilßner
Schiedsrichter: Lasse Koslowski
Zuschauer: 17.264
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