The Lions sleep tonight …
Die Löwen wurden Dynamo zum Fraß vorgeworfen
Das muss man schon mal einen Tag sacken lassen: Die SG Dynamo Dresden gewinnt – zweimal in Folge. Sollte man am kommenden Sonnabend die bemitleidenswerten Halloren auch in Sack und Asche hauen, wäre es schon eine Serie. Und wie das in Elbe City so ist, schon hallt es „Aufstieg! Aufstieg!“ Klar, scheiß doch auf Platz 1 und 2, wir sind schließlich Relegations-Weltmeister. Und dann brollt es auch noch wieder seit dieser Woche. Aus dem Tal der Tränen zur Europacup-Euphorie dauert es hier eben manchmal nur wenige Tage.
Aber zuvor stand dieser nasskalte Abend in der Grünwalder Straße, das Oval belegt mit dem Niederlagenfluch Bayern II/ Türkgücü/1860. Aber letztendlich ist das nur Quacksalber-Gewäsch, denn je öfter man irgendwo Punkte lässt, um so mehr steigt die Wahrscheinlichkeit, dass man welche holt. Es gibt bestimmt einen Begriff in der Statistik-Wissenschaft dafür. Ein anderer Begriff ist „Lernen“. Und das galt in München auch für die Aufstellung: Stefan Kutschke kam endlich mal wieder zentral vorn rein, denn ohne ihn ist war der Luftkampf am gegnerischen Strafraum in den letzten zwei Spielen sichtlich verloren. Michael Akoto ersetzte den Gelbgesperrten Paul Will, dazu rollten Käptn Knipping, Christian Joe Conteh und Niklas Hauptmann in die Startelf, während Kammerknecht, Meier und Gogia die Bank drückten. Was auffällt: Der nun schon längere Verzicht auf Kevin Ehlers. Der einst als Top-Defense-Talent gefeierte 39er spielt keine Rolle mehr beim inzwischen krückenfreien Markus Anfang.
Die erste Halbzeit: Kannste (so ziemlich) knicken
Die Bayern stoßen an und gehen sofort in den Überfallmodus. Dresden spielt, als hätte man niemals damit gerechnet. Schon in der ersten Minute muss Stefan Drljaca eine Gefahr verheißende Flanke wegfangen. Wenig später kommt der erste Freistoß der Sechziger – remember Oldenburg. Aber so toll wie sich die Heimelf diesen Trickspielzug ausgedacht und bestimmt 50-mal geübt hat, so brachial geht das Ganze daneben. Im Wortsinn. Aber wenn man etwas nicht kann, soll man ja um Hilfe bitten. Und so gibt eben Max Kulke den Löwen Little Helper: Aus nur wenigen Metern Entfernung misslingt ihm ein Rückpass zu Akoto gehörig, der Ball kommt in die Füße von Albion Vrenezi, der in vollem Lauf Richtung Strafraum rennt. Es ist Vier gegen Zwei, und doch kann der Blauweiße sehenswert rechts unten einschießen. Weder Akoto noch Melichenko wollen den gelbsicheren Trikotzupfer riskieren und sind so an der Heimführung beteiligt. Wie nennt man das gleich? Ach ja: körperloses Spiel. Und noch ein Wort zu Kulke, der ja vor Park und Meier den Vorzug hat: So gut und wuchtig er im direkten Mann-gegen-Mann ist, so sehr fehlt ihm häufig die Spielübersicht und die taktische Umsetzung seiner Aufgaben.
Ergo: Da haben wir den Salat, wieder läuft es in Hälfte eins gegen Dynamo, und zunächst sieht es so aus, als würde sich daran nichts ändern. Es spielt fast nur der TSV, die SGD sortiert sich noch. Nach einer knappen Viertelstunde beginnt dann das Gelb-Festival: Knipping sieht die erste von insgesamt zehn Kartons, während Rieder nur zwei Minuten später für eine noch rüdere Attacke gegen Ahmet Arslan nur einen Pfiff kassiert. Überhaupt: Wie der Dresdner Sechser in der ersten Hälfte mehrfach weggeräumt wird, ist kaum anzusehen.
Es dauert 15 Minuten, bis sich Dresden dem Heim-Sechzehner nähern, die Betonung liegt auf nähern. In Minute 20 der erste Schuss auf den Münchner Kasten, aber direkt in die Arme von Hiller. Der SGD-Block sieht nun den Moment gekommen, etwas Feuer ins Spiel zu bringen und zündet alles an, was mitgebracht wurde. Man könnte fast meinen, dass es helfen würde, denn nun wird das Geschehen auf dem Rasen mehr und mehr dynamischer und hitziger. Borkowski zupft sich zu Gelb, Schäffler auf der Bank ermeckert sich die Karte. Und wie Knipping nach seinem Drüber-Kopfball nach Kulke-Ecke gegen den Pfosten tritt zeigt schon, dass nun Schluss ist mit dem Larifari. Und auch Kulke will per Freistoß seinen Patzer wettmachen, schießt aber einen Meter sehenswert vorbei. Fast im Gegenzug verfehlen auch die Isarstädter knapp aus der Distanz, als Boyamba einen Faustball von Drljaca direkt returnt.
Inzwischen geht beim TSV nichts mehr, die Gefahr durch Dynamo wächst aber auch nur sukzessive. Eine Conteh-Hauptmann-Aktion wird zur Ecke, aber der Schiri entschiedet Abstoß; knapper ist das Vorbeirutschen von Borkowski an einer Arslan-Flanke. So ist es ein Hängen und Würgen bis zum Halbzeitpfiff, das aber Dresden mehr und mehr im Vorteil sieht – aber München rettet den knappesten aller Vorsprünge in die Kabine.
Die zweite Halbzeit: No look zum Sieg
Der inzwischen gefeuerte Michael Köllner erkennt das anwachsende Dilemma für seine Elf und bringt von der Bank Lex und Verlaat. Und fast hat es den Anschein, dass das Momentum wieder in Richtung München kippt, als Morgalla keine zwei Minuten nach Wiederbeginn eine Ecke unten links aufs Tor köpft, doch Drljaca zeigt einen Mega-Reflex, dass einem fast leidtun muss, wenn er jetzt (wahrscheinlich) wieder auf die Bank muss.
Es folgt ein Standard-Festival der Sechziger, an dessen Finale Drljaca einen Nahdistanz-Kopfball von Verlaat festhält. Erst in der 53. kommt der Umschwung, eingeleitet durch ein Hauptmann-Solo über den halben Platz, der aber zu brotloser Kunst mutiert. Aber es ist ein Zeichen, das nur drei Minuten später den Ausgleich befeuert. Ein laaaanger Ball fliegt in die Heimhälfte, aber sowohl Morgalla als auch Rieder wollen vor Conteh klären, rauschen dabei aber ineinander – ohne Feindberührung. Das Spiel geht weiter, Rieder bleibt liegen, Arslan bekommt via Borkowski den Ball. Er guckt, der Gegner fuchtelt und zeigt nach draußen – genug Zeit für einen feinen Chip auf den Schädel des einlaufenden Kutschke, der frei vor dem Torwart einnickt. Einszueins!
Zwar protestieren einige Münchner und zeigen unfaires Spiel an, aber es gilt die Regel: 1. Nur der Schiedsrichter unterbricht das Spiel. 2. Beide Blauweiße haben sich das selbst eingebrockt. 3. Rieder war nicht verletzt, konnte weiterspielen. 4. Es lag keine Kopfverletzung vor. 5. Und ob Arslan die Situation aus einiger Entfernung und bei der Beschäftigung mit dem Ball überhaupt wahrgenommen hat bleibt fraglich. Alles in allem: Die Löwen haben gepennt oder, wie es in dem schönen Lied heißt "The Lion sleeps tonight".
Nun wird es ein wildes Spiel, Dynamo will jetzt den Sieg, München befürchtet die Niederlage. Gelbe Karten häufen sich, die sinnloseste holt sich aber Conteh für das Wegwerfen des Balls nach einem Pfiff. Jakob Lemmer kommt für ihn auf den Platz. Steinhardt kann einen Dresdner Ballverlust nicht nutzen, Hiller lässt einen strammen Kulke-Schuss zur Ecke prallen.
So geht es bis zur 76. Minute, die den schönsten Spielzug der ganzen Partie bringt. In einer flotten Kombination über links aus dem eigenen Strafraum heraus spielt Borkowski einen punktgenauen Chip-Pass in den Lauf von Arslan, der gut abschirmt und dann mittig Hauptmann bedient. Jetzt sollte man sich mal den Laufweg des Dennis Borkowski ansehen – aus dem Mittelfeld von außen in den Strafraum sprintend, erreicht er einen No-Look-Traumpass von Hauptmann durch die Abwehr, hat nur noch Hiller vor sich, den er überlegt schnittig überwindet. Einszuzwei. Und was für ein schönes Tor! Keine Ahnung, wie viele Hollas die Waldfee dafür ruft. Zur Belohnung darf Hauptmann gleich raus, der mit Kulke den Platz verlässt für Meier und Kammerknecht. Man darf vermuten, dass es im Normalfall geplant war, Schäffler für den auf der letzten Rille laufenden Kutschke zu bringen, doch die Gelbe Karte für den Ex-Sechziger ist dem Trainer womöglich zu viel Risiko.
In den letzten zehn Minuten versuchen es noch einmal Borkowski und Lemmer mit Schussen, Bär auf der anderen Seite scheitert per Kopf an Drljaca. Im zunehmenden Schauerschneeregen bekommt aber keiner mehr etwas gebacken, um Zeit zu schinden, dürfen Ehlers und Kade noch für Sekunden mithelfen. Der Schlusspunkt ist eine ergrätschte Gelbe für Melichenko. Dann sind die drei Punkte im Sack.
Das Fazit
Dynamo muss dringlichst das Erste-Halbzeit-Syndrom in den Griff bekommen. Tabellenletzter in der ersten, Tabellenerster in der zweiten Halbzeit klingt nach Treppenwitz. Immerhin sind jetzt die 30 Punkte erreicht, was nicht mehr so nach Abstiegszone riecht. Wozu die Mannschaft in der Lage, ist hat das zweite Tor gezeigt: Durchsetzungskraft, Ballbehauptung, Spielwitz, Schnelligkeit, Abschluss. Nun sollte aus der Ausnahme die Regel werden. Halle zu unterschätzen, wäre dabei grob fahrlässig, denn man weiß nie, was ein neuer Trainer so aus dem Ärmel zaubert.
Uwe Stuhrberg
TSV 1860 München vs. SG Dynamo Dresden
30. Januar 2023, Anstoß: 19 Uhr
Tore: 1:0 Vrenezi (5.), 1:1 Kutschke (56.), 1:2 Borkowski (76.)
Dynamo Dresden: Drljaca, Melichenko, Lewald, Knipping, Kulke (77. Meier), Akoto, Hauptmann (77. Kammerknecht), Borkowski, Arslan (90. Ehlers), Conteh (76. Lemmer), Kutschke (90. Kade)
Ohne Einsatz: Müller, Gogia, Vlachodimos, Schäffler
Fans: 15.000
Schiedsrichter: Tobias Reichel
www.dynamo-dresden.de