The Jazz Explosion

Die Jazztage Dresden 2010 zeigen das Genre als überbordendes Füllhorn

Dem Jazz hängt bei vielen noch immer das die Plakette einer musikalischen Grenzerfahrung an. Dabei  ist er längst festes Bestandteil der populären Alltagskultur, schlägt neue Wurzeln geschlagen in Pop, HipHop oder Rock – nur steht dann da nicht überall Jazz drauf. Wie groß der Fächer ist, der dem Musikliebhaber aufgeschlagen wird, zeigen auch in diesem Jahr die Jazztage Dresden, die vom 5. bis 14. November stattfinden. Und nicht nur über Genregrenzen hinweg werden Brücken geschlagen, auch die Bandbreite der Veranstaltungorte lässt wieder erahnen, wie umfassend das Veranstalterteam um Kilian Forster den Jazzgedanken spinnt. Das zeigt sich schon am Eröffnungstag, wenn am 5. November Michael Wollny im Societætstheater, Dennis Rowland im Königshof und Cuba Nova in der Tante Ju zu Gast sein werden. ###MORE###

Michael Wollny etwa ist ein Komponist und Pianist, der das europäische Neue, das aus dem amerikanisch geprägten  Jazz entstanden ist, repräsentiert. Er improvisiert, er versichert sich seiner musikalischen Wurzeln mit einem klaren Akzent auf der ehrwürdigen westeuropäischen Musikgeschichte. Johann Sebastian Bach, Franz Schubert, die deutsche Romantik, der französische Komponist Olivier Messiaen haben ihn mindestens ebenso beeinflusst wie Musik von der anderen Seite des Atlantik. Bei Michael Wollny sind sich die beiden Traditions-Stränge nicht im Weg, sie verbinden sich miteinander und bereichern sich gegenseitig.

Dennis Rowland, Gast beim Swing Band Ball im Königshof, steht ganz und gar in der Tradition der großen Swing-Ära. Der 1950 in Detroit geborene Rowland war Mitglied des weltberühmten Count Basie Orchestras – von 1977 bis zum Tod Basies 1984 – und gewann mit dem legendären Live-Album der Basie Band »On the Road/Montreux ’79« den Grammy. Der charismatische Sänger mit der vollen Stimme stand zusammen mit Jazzgrößen wie Ella Fitzgerald, Mickey Roker, Freddie Green, John Patitucci, John Hendricks und Eddie Harris auf der Bühne. Seit Jahren ist er als Mitglied der legendären Frank Foster »Loud Monority« Big Band und mit Joe Sample in den USA auf Tour. Nach Dresden kommt er jedoch mit dem East West European Jazz Orchester, das je zur Hälfte aus Musikern des Ruhrgebietes und der Dortmunder Partnerstädte Rostov und Novi Sad sowie ausgewählten Gast-Solisten und –Dozenten besteht.

Cuba Nova schließlich ist eine auch hier längst bekannte siebenköpfige Band um die charismatische kubanische Sängerin Olvido Ruiz Castellanos. Ihr Debüt-Album »Agua« ist eine feurige Mischung aus groovenden Latino-Fusion-Nummern, funkigen Songs und entspanntem R’n’B. Und immer im Mittelpunkt die Mehr-Oktaven-Stimme von Olvido. Ihr zur Seite stehen der Saxofonist Regis Molina, der bereits mit den Stars des Buena Vista Social Clubs zusammengearbeitet hat, und die drei Ausnahmerhythmiker Tim Hahn, Alexis Herrera Estevez und Elio Rodriguez Luis von der Crossover-Band Klazz Brothers & Cuba Percussion (»Classic Meets Cuba«). Und das war »nur« der Eröffnungsabend.

So wird es etwa unter dem Titel »Big Band Explosion« vier Konzerte geben, die ersten drei finden im Heinrich-Schütz-Konservatorium statt. Hier treten am 6. November Studio Dan auf, ein 18-köpfiges Ensemble aus Österreich, das sich die Grenzüberschreitung auf die Fahnen geschrieben hat – ein Abend, der zwischen Überraschung und Unerwartete, stehen dürfte. Am 7. November (19 Uhr) dann das Andromeda Mega Express Orchestra, dessen 20 Mitglieder die unendlichen Weiten aus dem Clash von Poop, Jazz und Neuer Musik erforschen – fantastisch! Vier Stunden zuvor ist die Milan Svoboda Prague Big Band zu erleben, die der Pianist Svoboda vor 35 Jahren gründete. Die tschechischen Musiker überzeugen durch technisches Können und bis in die Soli hinein swingende Spielfreude, die unisono satten Sound produziert. Das vierte Konzert der Reihe findet am 11. November im Societætstheater statt und präsentiert mit Con’trust ein Who is Who der Dresdner Jazzszene: 15 Herren mit der Pianistin Julia Hülsmann als Spezial-Gast spielen orchestralen Jazz und lassen dabei das »Herkömmliche« mal eben hinter sich.

Natürlich haben die Jazztage auch wieder große Namen auf dem Zettel. Ganz oben steht darauf Al Di Meola, der am 8. November im Schauspielhaus konzertieren wird. Mit seinem Akustik-Ensemble New World Sinfonia – das Al Di Meola selbst als die beste Band seiner Karriere bezeichnet – verbindet er warme mediterrane Klänge mit populärem Jazz, Latin und Elementen des Tango. Den hat er schließlich bei keinem Geringeren als Astor Piazzolla studiert, einem engen Freund und Lehrer. In den Kulturpalast zieht am 10. November sicher Jamie Cullum das Publikum, der seine Songs live nicht nur als braver Tastenspieler performt. Er behandelt sein Instrument eher wie eine Liebschaft, zärtlich, streitbar und versöhnlich. Romantisch bis heavy inszeniert er seine Shows, die ihn wahlweise als großen Virtuosen, Entertainer oder durchgeknallten Derwisch zeigen. Anspruch und Unterhaltung gehen bei Jamie Cullum eine geglückte Ehe ein. Es gelingt ihm mühelos, Jazz und Pop unter einem äußerst gut sitzenden Hut zu vereinen. Und in den richtigen Händen bedeutet sogar die Vereinbarkeit von Rihanna- und Cole Porter-Songs kein Ding der Unmöglichkeit.
Jo Hannstadt

Jazztage Dresden2010 5. bis 14. November
www.jazztage-dresden.de