Syrien im Focus und Kino ohne Barrieren
Ein Interview zum Filmfest Dresden
Alle Jahre wieder lockt im Frühjahr das Filmfest Dresden Filmemacher aus nahezu der ganzen Welt in die sächsische Landeshauptstadt und Kurzfilmenthusiasten in rund ein Dutzend Festival-Spielstätten. Neben zwei Wettbewerben, deren Filme auf die Gunst der Jurys hoffen, gibt es auch 2017 ein umfangreiches Rahmenprogramm. Christina Wittich sprach für SAX mit Alexandra Schmidt, Programmverantwortliche und eine von drei Filmfestleiterinnen.
SAX: Das Filmfest findet in diesem Jahr zum 29. Mal statt. Kann man sich in so einer langen Zeit noch steigern, oder bleibt man irgendwann auf einem Niveau?
Alexandra Schmidt: Insgesamt wächst das Festival von Jahr zu Jahr. Wir haben diesmal 200 Veranstaltungen mit mehr als 300 Filmen, das sind 63 Filme im nationalen und internationalen Wettbewerb sowie rund 250 in den Sonderprogrammen und dem Open Air. Auch die Zahl der Fachbesucher steigt stetig an, was für das wachsende Renommee des Festivals im In- und Ausland spricht. Die Einreichungen sind allerdings nicht mehr geworden. Zum Glück, muss man sagen, weil wir jedes Jahr über 2000 Filme sichten müssen.
SAX: Was ist anders im Vergleich zu den Vorjahren?
Alexandra Schmidt: Wir schauen inzwischen stärker, wo wir die Filme herbekommen, welche Filme wir zeigen wollen, wer die interessanten Künstler oder Länder sind. Da versuchen wir, gezielter an die Filme ranzukommen, gerade, weil es immer mehr Festivals gibt und ein eigenständiges Profil sehr wichtig ist.
SAX: Um welche Länder bemüht ihr euch?
Alexandra Schmidt: In Europa gibt es sehr produktionsstarke Länder – Deutschland, Großbritannien, Frankreich – da gibt es eine große Bandbreite. Auch aus den USA und Kanada haben wir viele, qualitativ sehr hochwertige Filme. Aber zum Beispiel aus Afrika, Südamerika oder auch Asien ist es oft weitaus schwieriger, etwas zu bekommen, weil dort die Distributionswege ganz anders laufen. Da funktioniert viel über persönliche Netzwerke, über Renommee.
SAX: Wie hat sich die Kurzfilmkultur qualitativ entwickelt?
Alexandra Schmidt: Gerade im internationalen Wettbewerb kann man sagen, dass es in diesem Jahr sehr viele politische Filme gibt, die aktuelle Themen aufgreifen. Darunter sind mehrere Filme, die sich mit der Flüchtlingskrise auseinandersetzen oder überhaupt mit der Krisenhaftigkeit unserer Gesellschaft. Auch die Grenzen zwischen den Genres zerfließen immer stärker, zum Beispiel zwischen Spielfilm und Dokumentarfilm.
SAX: Im vergangenen Jahr war der Animationsfilm sehr stark vertreten. War das eine Ausnahme oder eine klare Tendenz?
Alexandra Schmidt: Das ist eine klare Tendenz. Die Animation hat einen großen Stellenwert in Dresden. Das ist auch ein Alleinstellungsmerkmal des Dresdner Filmfestes. Es gibt nur sehr wenige Festivals, die die Animation gleichberechtigt neben den Spielfilm oder den Dokumentarfilm stellen.
SAX: Im Wettbewerb dominieren das Politische und Krisenhafte. Das Rahmenprogramm bietet dazu in diesem Jahr eine Vertiefung mit Syrien im Fokus. Wieso erst in diesem Jahr, nicht schon im vergangenen Jahr, als die Flüchtlingskrise ihren Höhepunkt fand?
Alexandra Schmidt: In der Kunst braucht es manchmal Zeit, um zu einer fundierten Reflexion gesellschaftlicher Ereignisse zu finden. Das trifft auch auf das Kuratieren von Filmprogrammen zu. Manchmal ist es besser, eine Weile zu warten. In den Vorbereitungen auf das diesjährige Festival haben wir Menschen kennengelernt, die zum Teil noch in Syrien leben. Dadurch konnten wir gute Netzwerke aktivieren, und es hat sich gezeigt, dass das ein interessantes Thema sein könnte, das weit über die Flüchtlingskrise hinausweist. Uns war wichtig, dass wir nicht nur Bilder wiederholen, die wir schon aus den Medien kennen. Wir wollten auf die Kultur von Syrien schauen, schauen, was gibt es dort für eine Filmkultur, was sind die Traditionen?
SAX: Wie ist das Syrien-Programm aufgebaut?
Alexandra Schmidt: Es gibt drei Fokus-Syrien-Programme mit 13 Filmen. Wir beginnen in den 1970er Jahren mit den wichtigsten Filmemachern Omar Amiralay, Mohammed Malas und Ossama Mohammed, die sich aufgemacht hatten, das syrische Kino neu aufzustellen. Alle drei hatten im Ausland studiert, in Moskau und Paris, und haben sehr kritisches Kino gemacht. Man kann anhand dieser Filme sehr viel darüber lernen, wie in einer Diktatur mit Künstlern umgegangen wird. Bei diesen Autoren war es zum Teil so, dass sie ihre Filme offiziell, auch regimekritisch, drehen durften. Danach wurden sie im eigenen Land aber zensiert und durften nur im Ausland gezeigt werden.
SAX: Im vergangenen Jahr habt ihr Filme aus den Archiven der bulgarischen Staatssicherheit gezeigt. Künstler mussten sich und ihre Kunst dort erklären. Setzt ihr diesen Ansatz nun in gewisser Weise mit dem Syrien-Fokus fort?
Alexandra Schmidt: Das ist immer ein wichtiges Thema. Den »Fokus Syrien« ergänzen wir durch die Retrospektive »In Syrien auf Montage«, in der wir die Beziehungen zwischen Syrien und der DDR betrachten. Es ist eine starke Tradition beim Filmfest Dresden, dass wir uns mit dem Filmerbe der DDR auseinandersetzen. In Bezug auf Syrien gab es interessante Stränge, die wir filmhistorisch näher betrachten wollten.
SAX: Was für Filme sind damals entstanden?
Alexandra Schmidt: Anfang der 1970er Jahre war zum Beispiel Winfried Junge in Syrien. Junge ist heute vor allem für seine Langzeitdokumentation »Die Kinder von Golzow« bekannt. In Syrien hat er die erste offizielle Koproduktion der DEFA mit der syrischen nationalen Filmorganisation gedreht. Aus diesem Aufenthalt in Syrien sind zwei Filme entstanden, die einen Einblick in ein Land geben zu einer Zeit, die für uns heute sehr weit weg erscheint. Zugleich gibt die Retrospektive einen Einblick in politische und wirtschaftliche Interessenlagen, die Jahrzehnte zurückreichen und den Horizont öffnen für die vielgestaltigen Beziehungen zwischen Deutschland und Syrien. Es ist ja nicht so, dass die Flüchtlinge mit Ausbruch des Bürgerkriegs 2011 einfach da waren. Es gibt eine Geschichte zwischen unseren Ländern.
SAX: Erwartet ihr bei einem so starken Fokus auf Syrien und den Bürgerkrieg auch Einwände besorgter Bürger – ähnlich den Reaktionen in Bezug auf die Busse auf dem Neumarkt?
Alexandra Schmidt: Ich kann mir nicht vorstellen, warum. Wir zeigen Filme, wir wollen einen Austausch zwischen den Filmemachern und dem Publikum hier. Dieser Austausch ist in Dresden sehr wichtig, und ich denke, es gibt auch ein großes Interesse, mehr zu erfahren. Ich wüsste nicht, was daran in irgendeiner Form problematisch wäre, und natürlich ist jeder herzlich eingeladen, mitzudiskutieren.
SAX: Euer Programm ist inklusiv gestaltet. Wie sieht das aus?
Alexandra Schmidt: Das Filmfest Dresden soll ein Filmfest für alle sein. Unter anderem gehört dazu, das Filmprogramm für Menschen mit Einschränkungen zu öffnen. Es geht nicht nur um die Barrierefreiheit der Spielstätten, sondern auch um die der Filme selbst. Allerdings sind viele unserer Spielstätten schon vom Zugang her nicht barrierefrei, deswegen wollen wir in diesem Jahr klein anfangen. Wir präsentieren insgesamt vier Filmprogramme mit erweiterten Untertiteln für Gehörlose und mit Audiodeskription für Menschen mit Sehbehinderungen. Filmgespräche innerhalb dieser Programme werden in Gebärdensprache übersetzt. Wir begleiten das Ganze außerdem mit zwei Themenprogrammen, die sich rund um das Leben mit Einschränkungen drehen. Diese Filme richten sich nicht dezidiert an Menschen mit Behinderungen, sondern sollen uns alle den Kopf aufschließen und den Blickwinkel erweitern.
SAX: Was gab den Anstoß dazu?
Alexandra Schmidt: Vor zwei Jahren hatten wir eine Kooperation mit dem »look & roll«-Festival in Basel, das auf Film und Behinderung spezialisiert ist und mit dem wir erste Erfahrungen zum Thema Barrierefreiheit gesammelt haben. Ich denke, man kann sich als Kulturveranstalter vor der damit verbundenen Verantwortung nicht einfach wegducken. Darum haben wir auch einen Beirat gegründet von Dresdnerinnen und Dresdnern, die uns unterstützen. Wir selbst haben keine Behinderungen und wollen nicht einfach irgendetwas tun, von dem wir denken, dass es gut wäre, sondern wir wollen die Leute selbst ins Team holen und lernen.
SAX: Apropos Inklusion – hat eure Aufstellung als fast rein weibliches Team in irgendeiner Art Einfluss auf die Programmgestaltung?
Alexandra Schmidt: Das denke ich nicht. Unsere Programmkommission ist ja gemischt. Wir hätten gern noch mehr Männer im Büro-Team. Einer hat es inzwischen schon geschafft. Vielleicht trauen sich viele nicht mehr, den Anfang zu machen, weil wir jetzt so viele Frauen sind. Aber es liegt sicherlich auch an der Lage in der freien Kulturszene. Da sind die monetären als auch die Karriereanreize einfach spärlich gesät. Da geht es vor allem darum, mit geringen Mitteln ein gutes Programm auf die Beine zu stellen.
Filmfest Dresden – International Short Film Festival
4. bis 9. April 2017
www.filmfest-dresden.de