St. Patrick’s Day

Gegen den Schacht findet die SGD zum Fußball zurück

Was bin ich froh, kein Tagespresse-Autor zu sein; so muss ich nicht gleich nach Abpfiff jedes Spiel einordnen, benoten, bekritteln oder hochloben. Nein, ich kann alles noch einmal überschlafen, überdenken und am Tag danach, da lasse ich das Ganze noch einmal vor meinem inneren Auge vorbeiziehen. Das ist mal grausam, mal herrlich, mal fließen die Worte, mal krampft es in den Fingern wie vorher auf dem Rasen. Heute aber ist natürlich ein ganz wunderbarer Tag.

Also mal alles auf Anfang. Was viele am Sonntag hofften, trat nicht ein: Marco Hartmann kam nicht in die Startelf, obwohl er auf der Pressekonferenz war, Klingenburg erkrankte, und der „Kreisel“ ein Harti-Poster auflegte. Coach Kauczinski wollte das winning team der zweiten Halbzeit von Regensburg nicht changen. Ebenfalls auf dem unbeliebten Langsitzmöbel fanden sich die genesenen Ebert und Atik – beide sollten dort auch 90 Minuten verbleiben.

Für Verschworenheit allüberall sorgte dafür der Spielerkreis vor dem Anpfiff, in den auch die komplette Bank einbezogen wurde. Geht ja gut los. Irgendwie. Was vergessen? Ach ja: Es geht gegen den Schacht.

Die erste Halbzeit: Eins hier, eins da

Mit dem Beginn gab es im K Banner satt. Mein Fave war: „Wir glauben eher an die Unschuld von Hopps Mutter als an die Gerechtigkeit des DFB!“ Danke dafür, dass hier endlich mal Mudda Hopp aus dem Diss genommen wurde (sein Vater, der Nazi, hätte es eher verdient). Aber viel Zeit, darüber nachzudenken, gab es nicht, wel man von Beginn an mit Kopfschütteln zu tun hatte. Nach 15 Sekunden der erste Pass ins Nirwana, nach 30 Sekunden das erste Foul, nach knapp zwei Minuten der nächste Freistoß. Und weil Brian Hamalainen – wie ja auch sonst fast immer – sein Kopfballduell nicht gewinnt, kann Mihojevic gegen den linken Pfosten köpfen. Angstschweiß rinnt.

Können Veilchen eigentlich Dampf machen? Klingt biologisch komisch, aber scheint so. Von Dynamik bei Dynamo keine Spur, Aue drängt auf das Tor und da fällt es auch schon. Wie in einem riesigen Flipperautomaten flattert der Ball in den heimischen Strafraum und wieder raus und wieder rein und wieder raus – bis Rasmussen eine 30-Meter-Kopfballrakete ansetzt, die zwischen gleich drei Schwarzgelben druchsaust. Nur einer hat hier aufgepasst, und das ist Jan Hochscheidt. Der Fuchs hat den Braten gebrochen, erläuft sich die Kugel und netzt überlegt ein. Abseits, Gottseidank, die Fahne oben, nicht auszudenken, wenn … Aber dann: neeeeiiiiiiiin! Schiri Manuel Gräfe fasst sich ans Ohr, wartet eine kleine Ewigkeit – und gibt das Tor. Wie man später am TV-Gerät sehen muss, eine knappe, aber richtige Entscheidung, wie überhaupt Gräfe in diesem Spiel Werbung für seine Zunft machen konnte. Konnte man ja in letzter Zeit nicht so oft sagen.

So, da haben wir also das Gegentor, das für den Hallo-wach-Effekt offensichtlich benötigt wird, nur, dass diesmal mehr Zeit ist als in Regensburg. Und das scheint der Sportgemeinschaft auch bewusst zu sein. Nur vier Minuten nach dem Lila-Treffer hat Makienok den sicheren Ausgleich auf dem Stiefel, nachdem Donyoh eine Zauberflanke auf den großen Blondschopf spielt, doch dieser schlittert den Ball in den entgegenschlitternden Männel.

Jetzt ist es ein echter Fight. Wahlqvist versucht sich an einem Eigentor, schießt aber drüber. Drüben läuft immer wieder Donyoh tief, aber die Geschichte der letzten Pässe hat in Dresden schon viele Kapitel. Aber Dynamo hat nun den Knopf für den Kampfmodus gefunden. Innerhalb von drei Minuten gibt es dreimal Gelb (Donyoh, Rasmussen, Petrak). Siebenter gegen Letzter? Nicht zu sehen. Das Publikum ist laut als würde es 4:0 stehen.

Nach einer knappen halben Stunde zeigt sich: Größe und Geschwindigkeit sind nicht immer Freunde: Makienok könnte allein auf Männel zulaufen, nur fix genug ist er dabei nicht. Abgelaufen.
Aber Burnic und Hušbauer drücken von hinten mehr und mehr, Petrak, Ballas und Nikolaou haben es vor Broll im Griff. Bei Aue kommt über Außen, wo unsere Schwachstellen spielen, zu wenig. Allein wie Nikolaou in der 39. Minute Hochscheidt abkocht, wäre standing ovations wert gewesen. Auch Makeniok, Schmidt und Donoyh finden sich immer besser, wenn auch die taktischen Pfade nicht immer klar zu sein scheinen, etwa wenn sich die 9 und die 13 gegenseitig fast umrennen im Trachten nach dem Ball.

Dann kommt die Schnapszahlminute 44 und es gibt etwas zum Anstoßen. Burnic, eigentlich nur unweit vom eigenen Sechzehner holt einen Pass aus dem linken Fußgelenk auf Links, wo Donyoh allen davonläuft, Platz hat und am Auer Strafraum kurz nach innen schaut – dann spielt er den finalen Pass, fast blind. Zentral kommt Schmidt angerauscht und – nein, hämmert den Ball nicht ins Tor – spielt ihn in vollem Speed mit Verve und Genauigkeit am Uran-Goalie vorbei. Das EinszuEins ist fast eine Kopie des Ausgleichs in Regensburg. Aber hier sind noch 45 MInuten. Nein, 47. Denn noch zwei fette Möglichkeiten gibt es in nur 120 Sekunden für den kompletten Gamechange, doch Makienok scheitert zunächst erneut an Männel, dann an der Latte. Hallelujah!

Die zweite Halbzeit: Schmidts Zauberkästchen

Man hätte meinen können, dass Markus Kauczinski nach der Pause einen der Gelbbelasteten runternimmt, aber es bleibt Linus Wahlqvist in der Kabine. Nachvollziehbar, denn nach vorn kam auf Rechts von hinten nix Nennenswertes. Niklas Kreuzer ist nun da und zeigt gleich mal an, dass mit ihm zu rechnen ist. Aus dem rechten Halbfeld zirkelt er eine feine Bananenflanke vor das Männeltour, nur mit Mühe kann Makienok das Runde vom Fuß gespitzelt werden. Aber der hochgewachsene Nordmann beherrscht auch die feine Klinge: Einen punktgenauen Pass von Hušbauer verwertet er mit der Hacke am Gegenspieler vorbei, doch der Erzgebirgler zwischen den Pfosten ist einmal mehr auf der Hut.

Dann ist es Burnic, der über 50 Meter das Grün durchpflügt aber leider kurz vor dem Ziel hinfällt. Aber es ist ein weiteres Signal. Hier wollen jetzt alle alles: Spieler, Bank, Fans. An jeder Stelle des Rasens wird um jeden Zentimeter gerungen, die SGD gewinnt mehr und mehr die Oberhand, Aue schwächelt offensiv, defensiv kommen die Einschläge immer näher. Schneller Einwurf von Hušbauer auf Schmidt, der schüttelt den Verfolger einfach ab und sieht Donyoh Polarkreis18-mäßig allein allein auf Links vor dem Tor – der Pass sitzt, aber der Ghanaer hat nicht Ruhe. Statt kurz anzunehmen und überlegt abzuschließen, zieht er direkt ab – die Männelpatsche verhindert das Tor in höchster Not.

Kurz bevor die Stunde rum ist, dann der Moment des Spiels. Kurzer Einwurf von Donyoh auf Hamalainen, der das Runde zentral auf Schmidt hebt, doch der steht mit dem Rücken zum Tor – und öffnet seinen Zauberkasten. Denn es folgt nun reine Schönheit in Bewegung: kurze Annahme, tropfen lassen und dann volley über den eigenen Kopf ins Tor. Das Ganze Fallrückzieher zu nennen, ist fast zu schlicht für diesen fußballerischen Akt. Der TV-Moderator wird später von Ibra und Fischer fabulieren, wir denken an Gret Palucca und Mary Wigman. ZweizuEins. Der K ruft „Fußballgott“. Sören steht nur da und denkt „Das Gonther wohl nicht wahr sein!“, ein Männlein sitzt im Tore und zeigt pure Verzweiflung. Alles steht, alles brüllt, alles umarmt sich, „Fick dich, Corona!“

Aue wechselt in 15 Minuten dreimal, kommt aber kaum noch nach vorn. Dynamo steht immer sicherer und Kreuzer ist ein echter Gewinn in dieser Halbzeit. Makienok köpft jetzt überall, die ganze Elf grätscht, blockt oder drischt den Ball einfach hinten raus. Es kommt auch beim Zusehen keine wirkliche Angst auf, trotz des knappen Spielstandes. Alles, was man sieht, sagt: Heute sind wir dran! Hier ist Schicht m Schacht!

Nach 83 Minuten kommt Chris Löwe für den angeknockten Hamalainen. Broll muss noch einnmal zupacken – und wie er auf den Knien den Ball anbrüllt zeigt, wo sein Adrenalinpegel steht. Auf der anderen Seite muss Rizzuto mit Gelb-Rot runter, nachdem er eine Wrestling-Einlage mit Kreuzer etwas unbeherrscht beendet.

In der Nachspielzeit dann doch noch Hartmann. Für die Präsenz, für das Gefühl. Abpfiff. Tosen.
Über die wirkliche Rolle der Bedeutung dieses Spiels wird man erst in ein paar Wochen sprechen können, für die geschundene Fußballseele der Stadt ist es schon jetzt unfassbar wichtiger Balsam.
Uwe Stuhrberg

SG Dynamo Dresden vs. Erzgebirge Aue
8. März 2020, Anstoß: 13.30 Uhr
Ergebnis: 2:1

Tore: 0:1 Hochscheidt (6.), 1:1 Schmidt (44.), 2:1 Schmidt (59.)
Dynamo Dresden: Broll, Wahlqvist (46. Kreuzer), Ballas, Nikolaou, Hamalainen (83. C. Löwe), Petrak, Hušbauer, Burnic, Donyoh (90. Hartmann), Makeniok, Schmidt
Ohne Einsatz: Atik, Ebert, Horvath, Kulke, Jeremejeff
Schiedsrichter: Manuel Gräfe
Zuschauer: 30.753
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