Sommertheater mit Olympiageist
Die Theaterspielzeit nach dem Kulturkotau begann mählich – und ploppt nun auf wie ein Lauffeuer
Just 208 übelst lange Nächte dauert die jüngste Kulturauszeit für Theaterfreunde, -protagonisten und -bewohner. So lange, dass man sich nun – dank jener „größten Naturkatastrophe des Jahrhunderts“ (so die oft wiederholte Regierungslesart im Landtag) – liebend einer unendlichen Ära allabendlicher Kultur widmen würde. So geriet der Start am 29. Mai 2021 durchaus zum quasihistorischen Startschuss, nachdem anno 2020 der 13. März und der 1. November in die Annalen eingehen werden – denn da versiegte jeweils die hiesige Theatergeschichte für ein Weilchen. Einmal recht kurz, einmal echt lang. Diese Dürre verendete dank Winnetou im frischen Abendrot des „lieben, schönen Lößnitzgrundes“, einst vom Radebeuler Freigeist und Edelhumanisten Karl May bepriesen.
Als der Häuptling von Rathen elbabwärts heim in sein Radebeul geritten kam und behufs Heimatverteidigung pädagogisch wie humanistisch wertvoll und mit Hilfe einiger sächsischer Freunde, die ihm Karl May respektive Olaf Hörbe als Helden an die Seite stellte, per guten Kampf böse weiße Männer im Wilden Westen ärgerte, war Schluss mit Finsternis: Mit der 2015er Fassung von „Winnetou I“ von der Felsenbühne in Regie vom frisch verlängerten Landesbühnen-Intendanten Manuel Schöbel gab es immerhin zehn große Shows samt Action, viel Platz zum Reiten und einem Kunstfelsen für Fallübungen nun auch in den Lößnitzgrund. Diese Premiere, so unser Wunsch Mitte Mai, könne der Beginn einer neuen langen Blutsfreundschaft zwischen Publikum und Theater werden.
Wobei die Landesbühnen Sachsen als freistaatliche Reisebühne wie gewohnt gern überall spielen (und auch schon wieder erstaunlich rege im eigenen Haus) und daher wieder das vollklimatisierte Sarrasani-Theaterzelt ans linkselbige Ufer zwecks Rathener Theatersommer bis 29. August (!) entführen. Dort präsentiert Regisseur Schöbel dem Publikum auch seine nächste Inszenierung mit geplanter Premiere am 3. Juli: „Annie Get Your Gun“ – ein Broadway-Musical mit Musik und Liedtexten von Irving Berlin – just 75 Jahre frisch und in zwei Staffeln zu je fünf Vorstellungen bis Ende August zu erleben. Für die Lieben unter den Kleinen gibt es dazu einen frischen „Peter Pan“, auch in Regie und Fassung von Schöbel. Die Schauspielbrigade serviert in Regie von Oberspielleiter Peter Kube ab 30. Juli per „Kiss me, Kate“ ein ähnliche Hommage an ferne Zeiten und Welten. Nicht zu vergessen: Das Gedenken an Libuse: am Schloss Moritzburg wird ab 3. Juli mit satten 20 Shows bis 25. Juli „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ geboten – die Rathener Inszenierung wurde 2020 nach siebeneinhalb Jahren Pause wieder „hochgeholt“ und hat den bis dato leeren Touristenort sichtbar belebt.
Langfristige Planung versus Seuchendynamik
Genauso heldenhaft wie im Frühsommer 2020 startete auch der Dresdner Comedy & Theater Club – und das sogar noch einen Tag eher als die Landesbühnen am 28. Mai. Es serviert – dank Verzicht vom Theater Junge Generation – auf der Sommerbühne im Dresdner Zoo mutigerweise gleich fünf Premieren – die erste schon am 3. Juno „Wenn Puppen feiern, kann es nur im Chaos enden“ mit Roy Reinker. Es folgen ähnlich programmatische Kracher wie „Hurra, wir leben noch!" mit Pampatutti (18. Juni) und „WunderBar!“ als Best of Ellen Schaller (26. Juni). Und dies sogar mit Gastro und allen Zootieren als exklusives Vorprogramm sowie inklusive Regenvariante für Gewitternotfälle.
Auch das Dresdner Societaetstheater zieht es weit vor der üblichen Reife in den hauseigenen Barockapfelgarten – und das durchaus spektakulär: Bereits am 2. Juni erfolgte die Premiere von Sibylle Bergs „Hund, Frau, Mann“ in Regie von Renat Safiullin. Vom 9. bis 13. Juni gastierte das schweizer Festival „Import/Export“ mit verschiedenen Werken, darunter der „Schildkrötenritt“ sowie „Sportler des Herzens“. Dann endlich – am 24. & 25. Juno (je 20 Uhr) – soll eine neue Ära der Stadtkultur (vgl. April-SAX) beginnen: Das Soci bringt Philipp Hochmairs & Die Elektrohand Gottes zum Start einer neuen Kooperation in die Theaterruine St. Pauli: „Jedermann reloaded“ – sehr frei nach Hugo von Hofmannsthal und unter anderem mit Tobias Herzz Hallbauer an Gitarre wie Sampler und Jörg Schittkowski an Bass, Flügel, Schalmei sowie Theremin – verspricht ein Höhepunkt des Theaterjahrs zu werden. Damit nicht genug: Denn gleichzeitig inszeniert Tom Quaas noch „Funny Fears“ mit Tim Schreiber auf besagter Gartenbühne hinterm Haus im Barockviertel.
In den Heldenreigen stimmt auch die Serkowitzer Volksoper ein – zwei Monate früher als im Seuchensommer 2020. Schon ab 16. Juno ist die Uraufführung von „In vulvo veritas – ein Umsturz nach Aristophanes“ in der Sommerwirtschaft Saloppe. Thema ist eine virulente Grundgesetzänderung weit vor allen Christussis: „Alle Macht geht von den Frauen aus“ ist der neue Artikel 1. Neben Aristophanes und seiner „Weibervolksversammlung“ sowie „Lysistrate“ kommt Musik von Paul Lincke und Gioacchino Rossini in zwölf Vorstellungen bis 14. Juli zum gendergerächten Tragen. Danach gibt es als Zugabe noch einen schönen Ausflug gen Bad Muskau ins erste sächsische Welterbe, wo die Dresdner Veranstaltungsagentur Tristan Production im Fürst-Pückler-Park an der Parkbrauerei die Sommerbühne an der Parkbrauerei ein Wochenende musikalisch bespielt. Dort gibt es diese Wahrheit noch zwei Mal – am 16. & 17. Juli (je 20 Uhr).
Boulevard in der Garde, Comödie am Schloss Übigau
Das Boulevardtheater Dresden nutzt wieder die Junge Garde im Großen Garten und bietet ab 23. Juli mit „Die Fete endet nie“ insgesamt neun Sommershows. Dazu gehören auch „Die Legende vom heißen Sommer“ (9.September) und „Herr Landwirt, Ihre Gurke wächst!“ (13./14. August) wird gegeben. Eigens für kleinere Formate wird diesen Sommer auch das benachbarte Parktheater als „immergrünes und sommerfrisches Amphitheater“ zu erheiternden Gastspielen genutzt – vor allem für Comedy und Musikprogramme. Wie in der Jungen Garde in bewährter Kooperation mit der Agentour und natürlich Aust Kulturmanagement, dem Pächter beider Bühnen.
Das private Theater gegenüber, die Comödie Dresden, hatte hingegen schon 2019 seine neue Sommerresidenz im Elbschloss Übigau entdeckt. Dort wird echt geklotzt, die neue Produktion heißt „Alice im Wunderland“ und feierte schon am 11. Juno Premiere. Auch das Vorjahresgrusical „The Addams Family“ ist wieder im Spielplan – beides wird abwechselnd en bloc im ganzen Sommer mit enormen Fleiß angeboten, den sich zumindest in der Landeshauptstadt nur Selbständige leisten.
Ebenso flussromatisch: Das neuartige Elbwiesentheater an der Augustusbrücke beim Narrenhäusl, bei dem sich HP Trauschke als Regisseur, Ausstatter und Spieler mit Musik von Frieder Zimmermann an Thomas Bernhards „Das Nebeneinander zweier Unsinne“ wagt. Er will dies für Spenden allabendlich um 19 Uhr (außer montags) bis 20. Juno tun und erinnert bei der Einladung an Sitzdecken und die üblichen Regeln.
Operette im Saal, TJG draußen, Seebühnen lustig
Das Dresdner Doppeltheater für Jung und Alt im Kraftwerk Mitte startete seitens des TJG bereits Pfingstmontag mählich. Wie 2020 geht es ab Mitte Juno auf die Freiluftbühne hinters Haus – seitens der Schauspielbrigade läuft ab 19. Juni (und bis 24. Juli) wieder „Das doppelte Lottchen“, frei nach Erich Kästner, empfohlen ab Einschulalter. Die Puppentheaterinszenierung „Das Neinhorn“ nach Marc-Uwe Kling wird hingegen wie geplant im Sonnenhäusel im Großen Garten am 16. Juno (16 Uhr) Premiere feiern – um dann noch 26 Mal bis zum 23. Juli für alle Leute ab Vier dort einzugaloppieren.
Die große reife Schwester namens Staatsoperette Dresden bleibt hingegen dieses Jahr einfach drin im Saal, spielt bis 29. Juli und hat sogar zwei Premieren in petto: Das Musical „Die Fantasticks“ in Regie von Intendantin Kathrin Kondaurow von Tom Jones erlebt immerhin noch zwölf Vorstellungen. Darauf folgt mit „So verliebt in die Liebe“ (Premiere: 18. Juno) noch eine Operettenrevue mit Musik von Franz Lehár und Oscar Straus, die acht Mal im Angebot steht – interessant hierbei der terminlich gestaffelte Vorverkauf, der wohl jedem eine echte Chance bietet. Wiederaufgenommen werden zudem „Die Zauberflöte“ sowie der Konzertabend „Wäre es doch immer so!“
Die Lage in den umliegenden Landkreisen war bis Ende Mai noch viel fragiler als in Dresden. Doch auch dort die große Entspannung mit dem Sommerwetter: Das Mittelsächsische Theater Freiberg startete mit Kálmáns „Die Csárdasfürstin“ an der Seebühne Kriebstein und bietet ambitiobierte 24 Operetten bis 8. August. Die Schauspielsparte strebt hingegen gen Welterbe und bietet auf dem Gelände des ehemaligen Silberbergwerkes „Alte Elisabeth“ in Freiberg von 16. Juli bis 22. August Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“.
Die Neue Bühne Senftenberg bespielt nach der Pause 2020 wieder ihr herrliches Amphitheater am See in Großkoschen. Der in Dresden bestens bekannte Erik Brünner spielt in Regie des Senftenbergers Dirk Girschik und in Klavierbegleitung von Narine Mardoya „Mein Jahr ohne Udo Jürgens“. Ab 24. Juni folgt mit „Ärztin wider Willen“ die große Sommerstückpremiere – erdacht und inszeniert von Tilo Esche. Es läuft dann in zwei Viererstaffeln bis 22. August.
Bautzen und Zittau britisch, Görlitz argentinisch, Jonsdorf italienisch
Das Deutsch-Sorbische Volkstheater bietet ab 24. Juni nun endlich den 25. Bautzner Theatersommer im Hof der Ortenburg mit der Uraufführung vom Vorjahr: „Sherlock Holmes. Die Beatles-Bänder“ – erzählt und inszeniert von Intendant Lutz Hillmann nach Motiven der Erzählungen von Arthur Conan Doyle. Außerdem feiert die Puppensparte des Deutsch-Sorbischen Volkstheaters nun doch ihren 60. Geburtstag und lädt dazu – verteilt über mehrere Termine – alle sechs Ensembles des Landes zum 8. Sächsischen Puppentheatertreffen ein. Spartenchef Stephan Siegfried präsentiert zum leibhaftigen Auftakt am 25. Juni mit „Verfitzt und zugenäht – das Stück zum Buch“ eine Comedyshow als Nummernprogramm mit vielen Puppen aus Bautzner Inszenierungen aller sechs Dekaden, bevor danach das Buch zum Stück feierlich erscheint. Besonders ambitioniert: die Puppensparte will den Theatergarten am Großen Haus den ganzen Sommer über bespielen.
In Görlitz fällt das ViaThea zwar zum zweiten Mal hintereinander aus, dafür gibt es am 2. und 3. Juli als „Plan B“ eine „pandemietaugliche Veranstaltungsvariante“ an drei Orten – je drei Darbietungen in 90 Minutenblöcken sollen dort warten. Das Görlitzer Gerhart-Hauptmann-Theater serviert seit 11. Juno im Stadthallengarten „Evita“ als ausgewachsenes Musical – immerhin 20 Vorstellungen sind bis Ende Juli geplant.
Noch mutiger ist man im Zittauer Klosterhof: Dort will man schon am 4. Juno die „Beute“-Premiere von Joe Orton (in deutscher Version von René Pollesch) feiern, am Abend darauf folgt „NippleJesus“ von Nick Hornby – mit Marc Schützenhofer in der Hauptrolle. Und auch das seit Weihnachten fertig produzierte Märchen „Die Schöne und das Biest“ in Regie der überraschend vorfristig scheidenden Intendantin Dorotty Szalma kam doch noch auf die Bühne und erlebt mindestens drei Vorstellungen (25./26. Juni).
Auf der Waldbühne Jonsdorf wird dieses Jahr ab 9. Juli mit dem fürs Vorjahr geplanten Knaller „Die rechte und die linke Hand des Teufels“ geboten. In Summe gibt es 19 Spektakel in Regie von Axel Stöcker bis 15. August, der bereits am 4. & 5. Juno im herrlichen Zittauer Kosterhof mit einer Doppelpremiere begann – und damit an den vergangenen Sommer erinnerte. Denn auch da war man hier schnell bis mutig und servierte sofort ein dichtes Programm – meist szenische Lesungen in aller Kürze entstanden. Mit Joe Ortons „Beute“ ward es einmal frivol-makaber, einmal mit Nick Hornbys „NippleJesus“ abgeklärt zeitgenössisch – beides klug in die durchaus spannendste Freiluftkulisse Sachsens gebracht.
Auch die Theaterruine St. Pauli – die hauseigene Brigade ist als Amateurtheater vom Trainingsverbot arg betroffen – plant eine Öffnung: derzeit für den 20. Juno, wenn Spielbrett mit „Shakespeares Kaufmann“ gastiert. Den Euphemismus „Neustart“ vermeiden wir allerdings in Gedenken der arteigenen Vielfalt sächsischer Sommerkultur bis 2019 geflissentlich. So viel sei aber schon verraten: Das Dresdner Sommertheater von Peter Förster im Bärenzwinger findet wie gewohnt seine Bastion im Bärenzwinger, widmet sich Molieres Frauen und startet am 17. Juli für mindestens 45 Vorstellungen in siebeneinhalb Wochen.
Der Juli-SAX wird diesen ganzen schönen Sommerwahnsinn ergänzen, der nun plötzlich wie wild aufploppt und durchaus unerwartet einen neuen olympischen Geist erfacht – hoffentlich auch beim Publikum.
Andreas Herrmann