Schaum im Raum

Die Künstlerin Stephanie Lüning flutet mit ihrem Werk die Öffentlichkeit

Foto: Guy Corbishley

Der süße Brei lässt grüßen. Schaum, soweit das Auge reicht. In dicken Strömen quillt das schwammige Element zwischen unablässig drehenden Rotorblättern hervor, vereint sich zu einem gewaltigen Teppich und wabert breitgefächert die Rondelltreppen eines Amphitheaters herunter.

Als die Kamera auf dem Youtube-Video herumschwenkt, gerät Stephanie Lüning in Blickfeld. Raspelkurzes Haar, Overal, Gummihandschuhe. Hochkonzentriert agiert die Dresdner Künstlerin zwischen einem nassen Gewirr von Schläuchen, Bottichen mit Farbflüssigkeit und drei Schaumkanonen. Im Laufe einer Stunde werden die Rotoren ein Schaumfeld von 80 Metern Länge und 40 Metern Breite ausspucken. Feinporig wie Zuckerwatte, kunterbunt wie Liebesperlen. Ein surreales Szenario, irgendwo zwischen Prinzessin Lilifee, Ghostbusters und 90er-Jahre-Schaumparty. Das Ganze nimmt Fahrt auf, als der Wind in die cremige Masse fährt, sie aufwirbelt, zu bunten Wölkchen formt und gen Himmel aufsteigen lässt.

»Es gibt kaum Künstler, die große Orte mit wenig Aufwand bespielen können«, erläutert Stephanie Lüning ihr Arbeit und stapelt dabei tief. Bespielen? Grandiose Verzauberung ist es, was die 44-Jährige mit scheinbar banalen Orten und Objekten anstellt, wenn ihr Spumante-Spektakel Alltägliches für einen zeitlich begrenzten Rahmen in Glamour hüllt und fade Nebenschauplätze zu glanzvollen Hotspots avancieren.

»Der öffentliche Raum ist mein Atelier«, bemerkt Stephanie Lüning beim Blättern in ihrem Werkskatalog. Verrückte Bilder tummeln sich dort zuhauf: ausgeschäumte Brunnen, Telefonzellen, Parkdecks und komplette Galerieräume. Lünings Terminkalender ist pickepackevoll. Vorgestern Paris, gestern Belgien, morgen Irland …

Dabei hatte die aus Schwerin stammende Lichtreklame-Gestalterin mit der Kunst erstmal gar nix am Hut, als sie sich an der Dresdner HfBK zur Theatermalerin ausbilden lässt. Das Erschaffen größtformatiger Bühnenbilder erzeugt in Stephanie Lüning nicht nur eine tiefe Vertrautheit zu riesigen Dimensionen, es kommt ihr vor allem im anschließenden Kunststudium zugute. Anlässlich ihrer Diplomarbeit 2012 wird die Wahldresdnerin das erste Mal öffentlich mit Schaum arbeiten und den Hof der Dresdner Kunstakademie mit Fluffigkeit adeln.

Das Video ihrer Diplomarbeit bringt Stephanie Lüning 2015 den Kölner Kunstpreis ein. Dieser wiederum öffnete der Mutter eines Sohne die Tore zur Welt. Das selbige weit offenstehen, belegen Engagements in Norwegen, Hongkong und Melbourne.

Das Prozedere kostet Stephanie Lüning und ihr neunköpfiges Team vier bis sechs Stunden minutiös durchgetaktete Aufbauzeit. Der Wareneinsatz indes ist denkbar gering: eine Badewanne voll Wasser, etwas Lebensmittelfarbe und ein paar Spritzer biologisch abbaubares Geschirrspülmittel. Diesen Öko-Sud jagt die selbsternannte Farb-DJane durch ihr Gardena-Mischpult, welches die Wasserströme raffiniert kreuzt und wildeste Farbkombis erzeugt. Ab dann allerdings gibt die Künstlerin die Kontrolle über ihr Werk ab, mischt das Chaos die sorgsam vorbereitete Ordnung auf. »Mich interessiert mehr der Prozess als das Bild«, formuliert Stephanie Lüning ihren künstlerischen Ansatz, welcher das Formen des Kunstwerks komplett dem Zufall überlässt und sich darüber dem großen Thema des Lebens zuwendet: Veränderung. Folgerichtig fasziniert Stephanie Lüning am Schaum der permanente Wandel des Aggregatzustands – von flüssig, zu schaumig, zu wieder flüssig, bis hin zum trockenen Farbfleck.

Ein weiterer Mitspieler ist der Wind, der die Schaummassen anhebt, verwirbelt und vor sich hertreibt. Der schönste Mitgestalter aber ist die Verzückung der Zuschauer, welche ohne Rücksicht auf Schuhe und Gewand Tänzchen im Schaumbad vollführen. So geschehen letztes Jahr in einer Londoner Fußgängerzone.

Wo auch immer Stephanie Lüning ihr Spiel mit dem kunterbunten Kontrollverlust der Aggregatzustände spielt, erreicht sie leichtfüßg die Herzen der Menschen zwischen sechs und sechsundachtzig – selbst diejenigen, welche noch nie ein Museum von innen sahen und moderne Kunst kritisch beäugen.
Mutti

www.stephanieluening.com