Privatrechtlich soll alles besser werden!?
Am 29. Januar entscheiden die Dresdner über die Rechtsform der städtischen Krankenhäuser. Aber wer weiß schon genau, was für wen wie gut ist?
Wer am 14. Dezember vor dem Neustädter Krankenhaus einen adventlichen Lampionumzug vermutete, der irrte. Die Lichterkette von rund 300 Demons-tranten umspannte symbolisch eine »GmbH-freie Zone«. »Gesundheit statt Profit« forderten Plakate. »Ein privatrechtliches Unternehmen macht seine Gewinne nur über Leistungskürzungen, Stellenabbau und Tarifflucht«, rief der Personalratsvorsitzende Steffen Cox. Gekommen waren nicht nur Angestellte und ver.di-Gewerkschafter. Zwei Azubis befürchten, dass sie nach ihrer Aus-bildung im Falle einer Privatisierung der beiden Dresdner Krankenhäuser nicht in den Dienst übernommen werden. Ein ehemaliger Düsseldorfer, der jetzt als Rentner in Dresden lebt, hat in NRW schon eine Krankenhausprivatisierung erlebt und reihte sich deshalb in die Lichterkette ein. ###MORE###
Die Angst geht vor allem bei den Mitarbeitern um, seit die Stadtverwaltung dem Stadtrat im Oktober eine Vorlage präsentierte, die die Umwandlung der bisherigen städtischen Eigenbetriebe Friedrichstadt und Neustadt in eine Krankenhaus-GmbH zum Ziel hat. In Wellen tauchte dieses Vorhaben seit 1994 immer mal wieder auf, meist begleitet von teuren Gutachten wie im Jahr 2000 und zuletzt 2007, als es darum ging, sich auf die so genannte Gesund-heitsreform und die bundesweite Einführung der Fallpauschalen einzustellen.
Spätestens seit der Agenda 2010 der SPD zuckt ja jeder Bundesbürger beim Schlagwort »Reform« zusammen und weiß, da kommt nix Gutes. Klar, die Ko-sten im Krankheitswesen laufen davon. Für die Krankenhäuser, die rund ein Drittel der Kassenkosten schlucken, bedeutete die Reform aber Budget-deckelungen und den perversen Wettlauf um die lukrativsten Gebrechen der Ware Patient. So und mit straffen Rationalisierungsmaßnahmen lässt sich dennoch nach wie vor viel Geld mit Krankenhäusern verdienen. »Private Ge-sundheitszentren werden entstehen, deren viel versprechende Renditen In-vestoren auf den zukünftigen Wachstumsmarkt Gesundheit locken werden«, heißt es beispielsweise in einer Studie der großen Steuer- und Wirtschaftsbe-ratungsgesellschaft Ernst & Young zum deutschen Gesundheitsmarkt. 2007 versuchten sich diese Berater für 60.000 Euro auch an einem Dresdner Gu-tachten.
108.000 Ja-Stimmen können eine Privatisierung verhindern
Bis dahin schrieben die beiden Dresdner Krankenhäuser auch noch schwarze Zahlen und führten als Eigenbetriebe jährlich eine Million Euro an den Stadt-haushalt ab. Im OB-Wahljahr 2008 hatte der Stadtrat noch einmal mehrheitlich für die Beibehaltung der Rechtsform kommunaler Eigenbetriebe gestimmt. Schon 2007 aber starteten die Linken-Stadträte Tilo Kießling, André Schollbach und Jens Matthis vorsorglich ein Bürgerbegehren, das erst jetzt seine Wirkung entfaltet. Im November 2011 erklärte der Stadtrat das Begehren und seine 37.000 gesammelten Unterschriften für zulässig. Nun sollen am 29. Januar 2012 die Dresdner in einem Bürgerentscheid über die Frage abstimmen, die den Stadtrat spaltet: »Sind Sie dafür, dass die Krankenhäuser Dresden-Friedrichstadt und Dresden-Neustadt Eigenbetriebe der Stadt Dresden bleiben?« 108.000 Ja-Stimmen braucht das »Bündnis für Krankenhäuser«, um eine Privatisierung zu verhindern. Nach einer DNN-Umfrage von Ende Oktober sehen das 59 Prozent der Dresdner ähnlich, und nur ein Viertel der Befragten folgte den GmbH-Argumenten. Sehr wahrscheinlich haben die Folgen des Verkaufs der städtischen WOBA-Wohnungen zu diesem Stimmungsbild beigetragen.
Was ist geschehen, dass die Rechtsformänderung der Krankenhäuser über-haupt wieder auf die Agenda kam? »Eine GmbH ist nicht per se besser als ein Eigenbetrieb«, äußerte vor vier Jahren noch der zuständige Ordnungs-bürgermeister Detlef Sittel. Der Hinweis darauf, dass die große Mehrzahl der kommunalen Krankenhäuser in Deutschland als GmbH existiert und dass es in Sachsen außer in Dresden nur noch im vogtländischen Rodewisch einen solchen Eigenbetrieb gibt, begründet allein noch keine qualitative Argumenta-tion. Wie kommt es aber, dass neben den üblichen Privatisierungsverdächtigen von CDU, FDP und Bürgerfraktion auch die Grünen für die GmbH stimmen und am 29. anuar ein Nein empfehlen?
Verlustfreier Betrieb ab 2015?
Zunächst einmal sind die beiden Krankenhäuser mit dem neuen Abrech-nungssystem tatsächlich in die Verlustzone geraten. Neustadt wegen des hö-heren Aufwandes etwa in der Geriatrie noch mehr als Friedrichstadt. Im Vorjahr betrug das Minus 3,7 Millionen Euro, für dieses Jahr wird ein etwas geringeres Defizit erwartet, das im nächsten Jahr auf 4,8 Millionen steigen könnte. »1,7 Prozent des Budgets, lächerlich im Vergleich zu anderen Eigenbetrieben«, kommentiert der Linke Jens Matthis. Die Sportstätten und Bäder brauchen jährlich 21 Millionen Transfusionen von der Stadt, die Verkehrsbetriebe 34, die Kindertagesstätten gar 114 Millionen Euro. Die Grünen konstatieren in ihrem Aufruf zum Bürgerentscheid in Verbindung mit dem Investitionsbedarf dennoch eine »drastische Verschlechterung der Lage«. Ein bei den Luther-Unternehmeranwälten von der Stadt in Auftrag gegebenes Abwägungs-gutachten spricht gleich eingangs von »großen Herausforderungen«.
Während auf der Industriestraße für die Eigenbetriebe demonstriert wurde, beschlossen die Stadtgrünen, dass ein weiteres Beharren auf der Eigenbe-triebsform die notwendige Neuaufstellung der Krankenhäuser sabotieren würde. Die Landtagsabgeordnete Eva Jähnigen, die als ehemalige grüne Stadträtin die Fraktion in dieser Frage maßgeblich berät, erklärt den vermeintlichen Sinneswandel. Sie wirft Finanzbürgermeister Hartmut Vorjohann (CDU) und seinem Kollegen Sittel vor, sie hätten seit 2008 eine auch als Eigenbetrieb mögliche Reform der städtischen Krankenhäuser verschleppt, um früher oder später deren Verkauf rechtfertigen zu können. Vom »bewussten Ausbluten« ist die Rede. Zu einer Fusion oder Holding beider Häuser ist es nicht gekommen, nötig, um einen ausgewogenen Fall-Mix zu erzielen, die Vorteile der Vollversorgung zur Geltung zu bringen und im Wettbewerb mit dem Universi-tätsklinikum und den drei privaten Krankenhäusern Dresdens mithalten zu können. Jetzt erst soll endlich ein Zukunftssicherungskonzept angegangen werden. Auch die Lenkungsgruppe aus Leitungsmitgliedern, Personalräten und Stadträten war gescheitert.
Nun herrscht plötzlich Eile. Die Fusion und die Umwandlung in die private Rechtsform einer gemeinnützigen GmbH sollen einen verlustfreien Betrieb ab 2015 ermöglichen, wobei die Stadt hundertprozentige Gesellschafterin und damit alleiniger Träger bleiben soll. So steht es in einer schon Ende Juli ge-troffenen Übereinkunft der Bündnisgrünen im Stadtrat mit dem »bürgerlichen Block«. So empfiehlt es auch das Luther-Gutachten. Der kommunalrechtliche Einfluss bliebe so erhalten. Als Vorteile gegenüber dem Eigenbetrieb gibt das Gutachten größere Autonomie und Flexibilität bei unternehmerischen Ent-scheidungen und damit eine Art Waffengleichheit mit den großen privaten Gesundheitskonzernen, die leichtere Fremdkapitalaufnahme und die Entlastung der Stadt von möglicher Vermögenshaftung an. Ganz ungeniert ist aber auch von der Möglichkeit der Tarifflucht oder des Haustarifvertrages und vom berüchtigten Outsourcing von Aufgaben die Rede, mit dem ebenfalls Perso-nalkosten gespart werden können. Sie machen etwa zwei Drittel der Kosten aus.
Eigenbetrieb als letztes Bollwerk gegen den totalen Durchgriff der Ökonomie
Große Teile der Belegschaft, das Bündnis für Krankenhäuser, SPD und Linke aber befürchten, dass eine GmbH-Gründung nur die Türen für einen baldigen Verkauf öffnen soll. Denn den Mythos vom schuldenfreien Dresden kann Fi-nanzbürgermeister Vorjohann nur noch mit Versteckspielen aufrecht erhalten. Die Grünen dementieren das vehement. Stadtsprecher Michael Schmelich wirft den Eigenbetriebs-Befürwortern »Polemik« und »falsche Darstellung« vor. Auch CDU-Fraktionssprecher Stefan Zinkler will von Verkaufsambitionen nie etwas gehört haben. »Wir wollen städtische Krankenhäuser in Dresden«, bekräftigt er.
Doch die Belegschaft, bei auffallender Zurückhaltung der Ärzte, und die Initia-toren des Bürgerbegehrens misstrauen solchen Beteuerungen zutiefst. Ihnen genügen schon die in einer städtischen GmbH zu erwartenden Einbußen. Die Bindung an den öffentlichen Tarif des Kommunalen Arbeitgeberverbandes entfiele, eine Insolvenz wäre nicht mehr ausgeschlossen. Mehr Wirtschaft-lichkeit bedeutete im Klartext Entlassungen und damit eine weitere Ver-schlechterung der Dienstleistungen am Patienten. Schon jetzt klagen vor allem die Pflegekräfte über permanente Überlastung. Der Flyer der Krankenhaus-Initiative führt zum Beweis das statistische Bundesamt an: Bei Eigenbetriebs-Krankenhäusern versorgt eine Pflegekraft im Durchschnitt 94 Fälle, bei privaten oder privatrechtlichen Formen sind es um die 150.
Die Bündnisgrünen nehmen diese Befürchtungen ernst und wollen Bedingungen stellen, wenn es kurz vor Weihnachten bei Verhandlungen mit den Kon-servativen um die Konditionen des künftigen Gesellschaftervertrags geht. Sie wollen eine Fortgeltung des Tarifvertrages für den Öffentlichen Dienst, den Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen, Mitbestimmung und eine Über-brückungsfinanzierung für die Neuordnung aus dem Stadthaushalt.
»Diesen Versprechungen ist nicht zu trauen«, sagt Sozialarbeiterin Birgit Wallenburger, die für die Gewerkschaft ver.di im Neustädter Krankenhaus tätig ist. Die Vorlage zum Zukunftssicherungskonzept plant schon einmal sechs Prozent Einkommensreduzierung ein. Die Gegner einer Privatisierung sehen den Eigenbetrieb als letztes Bollwerk gegen den totalen Durchgriff der Ökonomie auch im Krankheitswesen an. Ob mit dieser Verweigerung den Folgen bundespolitischer Vorgaben und den roten Zahlen beizukommen ist, erörtern sie nicht. Auf einem Forum im Haus an der Kreuzkirche berichtete allerdings Dr. Thomas Böhm vom Klinikum Stuttgart, dass es auch anders gehen kann. Die Schwaben verteidigten erfolgreich den Eigenbetrieb, übrigens auch gegen Grünen-Pläne, erlagen den »Einstiegsdrogen« nicht und sind bis 2018 erst einmal gesichert.
Immer wieder regt sich Widerstand gegen die mit Privatisierungen verbundene verschärfte Ausbeutung des Personals und deren Auswirkungen auf die Patientenversorgung. An der Berliner Charité streikt seit mehr als einem Vier-teljahr das in die Gesellschaft CFM ausgegliederte nichtmedizinische Personal. Hygienische Mindestanforderungen können nicht mehr gewährleistet werden, die Stundenlöhne sind auf unter fünf Euro gedrückt worden. Im Frühjahr sorgte ein Brief von 688 Helios-Ärzten für Aufsehen. »An die Stelle medizinisch motivierter Entscheidungen tritt zunehmend ein Kampf um die Einhaltung betriebswirtschaftlicher Vorgaben«, heißt es darin. Das Buch »Der verkaufte Patient« der Publizistin Renate Hartwig ist ein Bestseller.
Nun sollen die armen Dresdner entscheiden, ob sie die städtischen Kranken-häuser lieber wieder in der Gewinnzone sähen oder sich eher mit den Mitar-beitern solidarisieren wollen, die letztlich auch die Bedingungen eines Kran-kenhausaufenthalts sichern. Kann man sie nicht etwas Leichteres fragen?
Michael Bartsch