Musik mit Pausen
Die Dresdner Tage der zeitgenössischen Musik sind wieder da
Pause. Einfach nur Pause. Ein treffliches Motto für jedes Musikfest. Denn was wäre Musik, was wäre ein Konzert ohne Pause(n)? Die Zuhörerschaft zeigte sich schlimmstenfalls rasch überfordert, würde sie ohne Unterlass mit Tönen beschüttet. Pausen sind wichtig, um etwas nachklingen zu lassen, um das Gehörte zu verinnerlichen, um unterschiedliche Klänge abstandsvoll voneinander zu trennen.
Aber haben wir im Moment nicht schon mehr als genug Abstand, sind der Stille anhaltender Pausen überdrüssig, sehnen uns nach Nähe und endlich auch wieder handfest tönender Aktion? Eine kleine Weile vielleicht gar nach ununterbrochener Beschallung, um vom Versäumten etwas aufzuholen? In genau diese Widersprüchlichkeit führt das diesjährige Motto von »TONLAGEN –Dresdner Tage der zeitgenössischen Musik«. Es heißt schlicht »Pause« und greift nach einer solchen auch den ursprünglichen Titel dieses 1987 vom Komponisten Udo Zimmermann gegründeten Neue-Musik-Festes wieder mit auf. Vor allem jedoch wird die auf alle Daseinsbereiche einwirkende (Zwangs-)Pause thematisiert, die das Musikleben seit gut einem Jahr in besonderer Weise zum Verstummen gebracht hat.
Aber das Neue lässt sich nicht aufhalten, nicht mal von Mutationen der Mutationen. Und ebensowenig von Politikern, die sich – und ihr Wahlvolk – allzu gern auf die probaten Konventionen eines möglichst deutschen Kernrepertoires beschränkt wissen wollten. Das Europäische Zentrum der Künste Hellerau als Nachfolgeeinrichtung des Dresdner Zentrums für zeitgenössische Musik bleibt sich jedoch treu und will seine aufklärender Horizonterweiterung verpflichtete Aufbruchstimmung fortsetzen, auch unter pandemischen Umständen. Dazu haben sich die Veranstalter einerseits ein neues Zeitkonzept einfallen lassen und das Tonlagen-Festival in mehrere Programmpunkte aufgeteilt, die jetzt im April sowie später im November und dann noch mal Anfang nächsten Jahres stattfinden sollen. Andererseits hat das Team um Moritz Lobeck, den künstlerischen Leiter der Tonlagen, konsequent auf die Wurzeln dieses Musikfests gesetzt, um dessen Anspruch wachzuhalten und fortzuentwickeln. Insbesondere kommen regionale Interpreten und Institutionen zu Gehör, darüber hinaus wird mit Einrichtungen kooperiert, die den Blick beziehungsweise den Klang »von außen« ermöglichen werden.
Als feste Partner von Hellerau gelten die Sächsische Akademie der Künste nebst Klangkörpern wie AuditivVokal Dresden, Elblandphilharmonie, El Perro Andaluz (unter anderem in Zusammenarbeit mit inhaftierten Künstlerinnen und Künstlern der Justizvollzugsanstalt Dresden) sowie dem ensemble courage und der Sächsischen Staatskapelle, die ihrem vor zwanzig Jahren verstorbenen Chefdirigenten Giuseppe Sinopoli ein Komponistenporträt widmen will. Zwecks Aufarbeitung eigener und gemeinsamer Geschichte intensiviert man in Hellerau die Zusammenarbeit mit der Sächsischen Landesbibliothek und dem Dresdner Stadtarchiv. Neben diesen lokalen Bezügen findet aber auch Einfluss und Austausch mit auswärtigen Einrichtungen seinen Platz im Programm. Intensive Grenzüberschreitungen zu aktuellem Musiktheater sollen etwa die Münchner Biennale sowie das ZKM Karlsruhe vermitteln, in solche Projekte mit einbezogen sind aber auch die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden sowie die renommierte Fachzeitschrift »Theater der Zeit«.
Als ebenso umtriebiger wie kenntnisreicher und bestens vernetzter Dramaturg hat Moritz Lobeck sein Augenmerk auf experimentelle Musikfilme aus DDR-Zeiten gerichtet und Komponisten wie Paul-Heinz Dittrich, René Hirschfeld sowie Helmut Öhring für musikalische Uraufführungen gewinnen können. Hintergründe werden in Symposien zu »Musik Theater Positionen« sowie zu »Diversität, Kategorien und Gerechtigkeit in der (zeitgenössischen) Musik« präsentiert, ausführliche Rückblicke auf die 35 Jahre seit Gründung des Dresdner Zentrums für zeitgenössische Musik vermittelt eine Ausstellung mit Arbeiten des Fotografen Matthias Creutziger.
Von Hellerau aus wollen und sollen die Tonlagen aber auch in andere Bereiche der Stadt einwirken, so etwa mit einem Prohlis-Projekt von Frieder Zimmermann, das der dort aufgewachsene Komponist als integrative Aktion für 20 (!) E-Gitarren und Verstärker arrangiert hat. Eine spannende Debatte verspricht auch die der Vision von »bedingungsloser Solidarität im Musikbetrieb«.
Neben einem Porträtkonzert von Mirela Ivicevic wird das Schaffen der vielbeachteten Komponistin Chaya Czernowin vorgestellt und durch das Leipziger Contemporary Insights Ensemble sollen Werke jüngerer Komponistinnen und Komponisten aus Dresden, Leipzig und Weimar aufgeführt werden. Zudem ist geplant, die ursprünglich für das vergangene Jahr vorgesehene Uraufführung einer von Brigitta Muntendorf für das renommierte GrauSchumacher Piano-Duo geschaffenen Trilogie namens »Theatre of Echo« in einer Mehrkanal-Audio-Video-Installation zu zeigen und damit eine neue Hybrid-Box vor dem Festspielhaus Hellerau einzuweihen. Auch von Carsten Nicolai kommt eine Uraufführung nach Dresden, die pandemiebedingt 2020 nicht realisiert werden konnte.
Doch nicht nur auf aktuelle Zeitgeschichte soll eingegangen werden, auch ein 200 Jahre zurückliegendes Ereignis wird thematisiert. Dehlia Hannah reagiert damit auf einen Vulkanausbruch in Indonesien, der seinerzeit die Welt in Dunkelheit und Wetterextreme gestürzt hat. Und als Reverenz an Paul Celan und dessen »Todesfuge« erfolgt die verspätete Uraufführung eines dazu entstandenen Werkes, das der kürzlich verstorbene Komponist Paul-Heinz Dittrich hinterließ. Auch andere »Altmeister« wie Reiner Bredemeyer, Friedrich Goldmann, Georg Katzer und Steffen Schleiermacher kommen akustisch zu Wort, wobei sich Neueinsteiger der Tonlagen durchaus auf vielfarbigen Erkenntnisgewinn freuen dürfen, in dem auch der Jazz – etwa im Dienstagssalon mit der Pianistin Johanna Summer und dem »Pianopoeten« Malakoff Kowalski – nicht zu kurz kommen wird.
Nach einem Sound-Projekt als Ausflug in die Western-Welt werden Anfang Mai »Mini-Opern« von Studierenden der Dresdner Kunsthochschulen das vollgeladene Programm des ersten Tonlagen-Teils abrunden. Danach ist wieder »Pause« angesagt. Bis in den Herbst. Hoffen wir, dass es sich diesmal nur um eine geplante Kunstpause handeln wird.
Michael Ernst
Tonlagen. 30. Dresdner Tage der zeitgenössischen Musik
11. April bis 2. Mai, Festspielhaus Hellerau.
www.hellerau.org/tonlagen