Mit der Hacke ins Glück

Dynamo Dresden dreht gegen Osnabrück auf und das Spiel

„Cool, Polizeipferde!“, ruft der Knirps neben mir in der Straßenbahn.    Und siehe da: Tatsächlich stehen da am Rande der Cocker-Wiese zwei schöne Huftiere mit Uniformen im Sattel. Es soll ja Studien geben, dass diese Art der Anwesenheit von Staatsdienern die beruhigendste für alle anderen in der Umgebung sein soll. Und etwas Beruhigung war wohl nach Bayreuth das, was man dringlichst benötigte. Auf einem anderen Blatt steht, was die Ereignisse vom letzten Auswärtsspielt eigentlich bewirken sollten? Seit dem Beginn dieser Saison scheint es deutschlandweit einen neuen Randale- und Pyrowettstreit zu geben. Wollte man da einfach mal wieder mithalten? Fühlte man sich auf der sicheren Seite? Denn man muss sich schon fragen, warum man nach Monaten noch immer nicht weiß, wer für den Kabinen- und Mannschaftsbussturm am Abstiegstag verantwortlich war. Welche Art von Sicherheitssystem war da eigentlich installiert? Hat da die Secu nur zugeschaut oder war keine da? Und wenn nicht, warum nicht?

Aktuell jedoch, stand das Osnabrück-Spiel auf der To-do-Liste. Und dass es mit dem VfL immer mal besonders, wissen ja alle. Das sollte sich auch an diesem Sonntag nicht ändern. Dabei war die Erwartungshaltung so lala. Nach drei Siegen unter dem Motto „Aus Scheiße Gold machen“ gab es zuletzt zwei Punkteteilungen, was natürlich Quatsch ist, da die drei möglichen Punkte schließlich nicht geteilt werden. Man verliert eigentlich zwei Zähler. Die Leistungen der Schwarzgelben waren dabei aber derart unsolide, dass es seit dem Sieg gegen den Schacht nichts Nennenswerten zu berichten gab – ich bin ja hier ein Geschichtenerzähler und kein Sportreporter. Ohne Stoff, keine Story. Aber hoffen darf man immer.

Dass Coach Markus Anfang ein wenig an der Rotationsschraube drehen würde, war zur erwarten, dass aber Max Kulke für Kevin Ehlers aufläuft, darf man als Ausrufungszeichen und Vertrauensbeweis sehen. Und so standen immerhin zwei Dresdner auf der Wiese, denn Stefan Kutschke ist ja auch noch da, der wieder mit Manuel Schäffler rochierte, zudem durfte Patrick Weihrauch für Dennis Borkowski ran.

Die erste Halbzeit: Auf der Suche nach dem letzten Ball

Es geht los. Die Lilalen haben den Ball, die Schwarzgelben den K im Rücken. Schon in den ersten 120 Sekunden hat man alles gesehen, was einem so in den letzten Wochen den Nerv geraubt hat: Der letzte Ball passt einfach nicht. Hatte ich gerade Wochen geschrieben? Es gibt Situationen, die einen Anflug von Verheißung haben, aber gefahrlos für den Gegner bleiben, weil am Strafraum Übersicht und Entscheidungsfreudigkeit fehlen. Auch in der Folge rollt der Ball oft dahin, wo niemand steht, wohin niemand läuft, wird daneben oder drüber geschossen (Akaki Gogia gefühlt 28-mal) oder ein Defensiver hält ein Körperteil dazwischen. Zur Erinnerung: Ein Fußballtor ist im Profibereich 7,32 Meter breit und 2,44 Meter hoch. Ich sag‘s ja nur …

Keine Frage: Die Dynamischen wollen was, sie ackern, haben den Ball, Gogia, Arslan oder Meier reißen außen Meter um Meter ab, doch die Produktivität ist ein ums andere Mal ernüchternd. Dazu kommt, dass es auch immer wieder im Zentrum versucht wird, dann aber die Freien an den Außenlinien vergessen werden. On top unterbinden die Osnabrücker immer wieder mit Fouls aufkommenden Spielfluss. Am Ende steht es nach gelben Karten 1:4 (alle in Halbzeit zwei), hier hätte Referee Wolfgang Haslberger eher eingreifen müssen.

Es dauert bis zur 22. Minute, dass ein Anflug von Aufregung ins Publikum fährt, da Kutschke eine – endlich mal gute – Hereingabe von Gogia in aller Knäppe verpasst. Dann liegt Michael Akoto im eigenen Strafraum, da gab es auf den Knöchel. Minuten später wieder, diesmal müssen die Medis ran. Es sieht so aus, als ginge es für ihn nicht weiter, Ehlers macht sich warm. Doch die 22 kommt zurück. Mit Folgen in jeder Beziehung.

Was auffällt: Während sich die SGD von hinten heraus schwerfällig nach vorn bewegt, kommt der VfL mehrfach mit drei, vier Ballkontakten über das Feld. Nach einer halben Stunde geht es von der Eckfahne einszweidrei vor den Dresdner Kasten, wo Simakala nach einem Bodymove frei zum Schuss kommt, aber gottseidank zu dusslig für die Führung ist. Die Führung der heimischen Chefetage ist dann plötzlich ein Bannerthema im Gästeblock: „Ihr habt 90 Minuten Zeit, Euren Geschäftsführer zu entlassen“ kann man da lesen. Das bleibt im K und auch sonstwo unbeantwortet. Überhaupt fokussiert sich die lautstarke Unterstützung einhellig in Richtung Teamsupport. Eigentlich sollte das keiner Erwähnung bedürfen.

Ein Hauch von Gefahr für Dynamo kommt mit einem langen Ball, und man meint fast, dass es gleich zum Eins-gegen-Eins mit Stefan Drljaca kommt, aber Tim Knipping ist schnell und smart, drängt seinen Widerpart genau im richtigen Moment ab. Aber das Ding mit dem Langholz scheint den Niedersachsen zu gefallen, also gleich noch einmal. Diesmal ist Akoto sich zur Stelle, läuft Simakala ab und köpft elegant zum Torwart. Also nicht so richtig. Also irgendwie gar nicht. Also irgendwie rutscht der Keeper aus, kommt nicht ran. Das wird doch nicht … Und drin. Gibsdochnich! So ein fein getimter Kopfball im falschen Tor. Bei „Zeiglers wunderbare Welt des Fußballs“ sicher ein Kandidat für das „Kacktor des Monats“. Sofort stürmt Schäffler aus der Wechselspieler-Area zu seinem bedröppelt dreinschauenden Kollegen und klapst ihm tröstend auf die Schulter. „Wird schon“, will das sagen. Aber das hilft erstmal nicht. Denn nur drei Minuten später fällt das 0:2. Ein weiter Freistoß zeigt gleich zwei Osnasen vollkommen frei vor dem Dresdner Tor, von denen Tesche rechts unten einköpft. Arslan steht dabei zu weit weg, seinen Hüpfer kann man nicht ernsthaft eine Kopfballabwehr nennen. Fuuuuuuck! Haareraufen. Erste Pfiffe.

In den letzten Minuten vor der Pause ruckt die SGD noch einmal an, wenigstens ein Tor vor dem Pfiff wäre schon gut. Meier schlängelt sich über den kompletten Platz, spielt Doppelpass mit Arslan, aber fällt dann zwischen Gewurstel und Gewusel. Hatten wir schon mal über die Sache mit dem letzten Ball gesprochen? Und noch einmal Meier, der an der Torauslinie den Ball angelt, aber sein Pass ins Zentrum wird zur ersten Ecke geklärt. Die fliegt auf den Kurzen, Gogia ballert den Rebound daneben und schießt dann noch mal deutlich über den Balken. Ach ja: Hatten wir schon mal über die Sache mit dem letzten Ball gesprochen? Pause.

Die zweite Halbzeit: Vom Kacktor zum Hackentor

Markus Anfang, sowieso kein Freund zeitiger Wechsel, vertraut seiner Startelf und lässt auch Akoto auf dem Platz. Dafür versucht sich diesmal Arslan mit einem Eigentorversuch, ballert aber drüber. Drüber semmelt auch Gogia, schon wieder, dabei hatte Meier gerade ein weiteres Mal Meter geschuftet, um eine gute Situation aufzumachen. Aber Gogia ist noch immer on fire und geht steil mit dem Schiri, nachdem er keinen Elfer bekommt. Zudem muss er das Trikot wechseln, was er auf dem Rasen nicht darf. Wieder schimpft er. Gelb.

Aber irgendwas ist passiert in der Kabine. War Captain Kirk da und hat „Energie“ gerufen? In der 53. Minute dann Powerplay: Will flankt von links weit auf den Langen, von wo Kutschke in die Mitte köpft – nur Zentimeter rollt der Ball an der Torlinie entlang, aber die Anwesenheitsliste am Fünfer zeigt für Dynamo eine Null. Weiter geht’s. Gleich danach zeigt sich endlich mal Weihrauch mit gewohnter Qualität und einer Hereingabe von der anderen Seite, die nun am anderen Langen Arslan findet, der das Leder mit dem Außenrist über die Linie stupst. Anschluss! Der Torschütze schnappt sich den Ball und zeigt an „Weiter, weiter, immer weiter“. Für eine Copyright-Klage hat Olli Kahn momentan sowieso keine Zeit.

Also wenn Osnabrück zwei Tore in nur drei Minuten schafft, dann können wir das doch auch. Oder? Leider nein. Denn bis zum Ausgleich dauert es „enttäuschende“ vier Minuten. Irgendwie hat der 1:2 alle Bremsen gelöst, auf dem Platz und auf den Rängen. Rennen, kämpfen, schreien, singen. Wieder ein guter Pass auf Kutschke, der sich am Fünfmetereck dreht und das Ding an die Latte zimmert. Schnappatmung! Der Abpraller landet bei Meier, der wieder Kutschke sucht – und nun wird es hübsch auf engstem Raum: Kutschke mit dem Kopf zu Arslan, der lupft den Ball in den Fuß von Will, der keine Gnade kennt und das Runde zum 2:2 ins Netz dropkickt. Hui, was ist denn hier los! Dynamo kann doch noch Fußball!

Es wird wild – auf beiden Seiten. Fouls, Zufälle, Abpraller. Die Gäste verpassen aus der Distanz knapp das Tor, Arslan verfehlt eine Meier-Flanke nur knapp mit dem Schädel. Dann ist Kutschke frei durch, aber an der Seite wedelt jemand mit einer Fahne. Weihrauch bringt ein Arslan-Anspiel nicht aufs Tor. Die Misere mit dem letzten Ball ist noch nicht vom Tisch. Und als es so scheint, die Partie würde sich eine Ruhepause gönnen, passiert es: Akoto (es müsste eigentlich „ausgerechnet Akoto“ heißen) sieht massenweise freien Raum vorn rechts, läuft da hinein und bekommt auch den Pass. Im Sechzehner wiederum ist die bröselnde VfL-Verteidigung überfordert und steht ungeordnet drei gegen drei. Akoto spielt scharf nach innen, Kutschke lauert schon, aber vor ihm lenkt Kammerknecht den Ball mit der Hacke ins schwarzgelbe Glück. Möglich, dass die SGD nicht nur in die Auswahl zum „Kacktor des Monats“, sondern auch zum „Tor des Monats“ gerät. Ungläubig guckt man auf die Anzeigetafel, auf der tatsächlich 3:2 steht.

Osnabrück wechselt jetzt viel, bei Dresden kommt für die letzte Viertelstunde Schäffler für Kutschke. Und der bullige Bayer hat gar noch das vierte Tor auf dem Stiefel, schaufelt aber den Ball aus wenigen Metern Entfernung knapp am Pfosten vorbei. Kurz darauf erläuft er dann einen eigentlich im Toraus vermuteten Ball, legt auf den heranrauschenden Kammerknecht ab, dem aber diese Aufgabe zu simpel erscheint. Vorbei. Schäffler wiederum sieht Sekunden später das etwas verwaiste Gästetor und will sich als Fernschütze beweisen, was vollkommen misslingt. Wird es noch einmal fahrlässig? Die Lilahemden versuchen es immer wieder – und es ist doppelt Akoto (!), der in zwei hektischen Strafraumszenen rettend zu Stelle ist. Dann hat Osnabrück in den letzten Minuten noch zwei Freistöße, denken wir an der 0:2. Aber beide Bälle pflückt Drljaca sicher vom Himmel, was bejubelt wird wie ein Tor. Sicher Balsam für die Goalie-Seele. Für die vier Minuten Nachspielzeit kommen mit Kade, Melichenko und Lewald drei Betonmischer auf den Platz. Für Letzteren geht Kulke, der mit seinem Startelfdebüt Hoffnung auf mehr gemacht hat. Dann: Abpfiff, Jubel, drei Punkte, Platz vier. Und es bleibt dabei: Osna-Spiele bleiben besonders.
Uwe Stuhrberg

SG Dynamo Dresden vs. VfL Osnabrück
9. Oktober 2022, Anstoß 13 Uhr
Tore: 0:1 Akoto (36., Eigentor), 0:2 Tesche (39.), 1:2 Arslan (53.), 2:2 Will (57.), 3:2 Kammerknecht (71.)
Dynamo Dresden: Drljaca, Akoto (89. Kade), Kammerknecht, Knipping, Meier, Kulke (90. Lewald), Will, Arslan, Weihrauch, Gogia (89. Gogia), Kutschke (76. Schäffler)
Ohne Einsatz: Müller, Ehlers, Park, Batista Meier, Borkowski
Schiedsrichter: Wolfgang Haslberger
Fans: 21.762
www.dynamo-dresden.de