Mehr Lichtgestalten als Erleuchtung
Die Dresdner Musikfestspiele begehen ihr 40. Jubiläum in aller Vielfalt
Ursprünglich sollten die Dresdner Musikfestspiele die musikalische Welt ins sächsische Elbtal tragen. Das war 1978 und startete mit einem Konzert der Berliner Philharmoniker unter dem Dirigenten Herbert von Karajan. Nun gibt es das - zwischenzeitlich vom Dresdner Stadtrat schon mal totgesagte - Festival zum 40. Mal. Was den Veranstaltern Anlass genug ist, dem nun wieder vierwöchigen Programm das Thema „Licht“ aufzustecken.
Wäre zu fragen, wer oder was da womit erleuchtet werden soll. Programmatisch findet sich der Licht-Gedanke nur mit einiger Akrobatik in gedanklichem Freistil. Dabei liegt die Absicht der Macher um Intendant Jan Vogler klar auf der Hand: Licht ist vonnöten als Lebenselixier und Metapher der Aufklärung zugleich. Und beides ist heute in Dresden höchst wichtig.
Den Auftakt zu diesen „Licht“-Festspielen hat bereits Ende April ein Sonderkonzert des Festspielorchesters im neuen Konzertsaal des Dresdner Kulturpalasts gesetzt. Nur zwei Tage später spielten dieselben Musikerinnen und Musiker in der Hamburger Elbphilharmonie auf und sind somit die Ersten gewesen, die in beiden Konzertstätten präsent waren. Der historisch orientierte Klangkörper wird unter Dirigent Ivor Bolton auch im Jubiläumsprogramm vertreten sein.
Eröffnet wird es jedoch von der Geigerin Anne-Sophie Mutter und der Philharmonia Zürich unter der musikalischen Leitung von Fabio Luisi, der somit zum ersten Mal nach seinem abrupten Weggang von der Sächsischen Staatskapelle wieder in Dresden zu erleben sein wird. Mit Max Bruchs g-Moll-Violinkonzert steht ein leuchtendes Klangwerk an, das möglicherweise noch in den Schatten von Toru Takemitsus „Nostalghia“ geraten kann, denn dieses Stück für Violine und Streichorchester ist der cineastischen Lichtgestalt Andrei Tarkowski gewidmet.
Aus der Stadt der Weißen Nächte bringt das Orchester des Mariinsky-Theaters und sein Chef Valery Gergiev Musik aus Wagners „Götterdämmerung“ sowie den leuchtenden „Karfreitagszauber“ aus „Parsifal“ als reizvollen Kontrast zur 5. Sinfonie von Dmitri Schostakowitsch. Könnte ein revolutionärer Abend werden!
Andere heraus-„leuchtende“ Gastorchester der diesjährigen Festspiele sind das Birmingham Symphony Orchestra, das London Philharmonic und das Mahler Chamber Orchestra, das hr-Sinfonieorchester, das Orchestre de Paris sowie Prague Philharmonia und die Tschechische Philharmonie. Selbstredend stellen auch hiesige Klangkörper von Philharmonie über Staatskapelle und Sinfoniker bis hin zum Dresdner Barockorchester ihr Licht nicht unter den Scheffel.
Lichtgestalten wie stets umfasst auch die Schar der geladenen Solistinnen und Solisten, etwa der junge Ausnahmepianist Francesco Tristano, der „From Bach to Electro“ so ziemlich alles aufleuchten lässt, was ihm unter die Finger gerät. Vokalen Glanz verheißt die Sopranistin Diana Damrau zusammen mit Bassbariton Nicolas Testé in einem Querschnitt großer Opernarien. Die Leuchtkraft des Gesangs ist dieses Jahr ohnehin auffallend häufig vertreten, so etwa mit dem Leipziger A-cappella-Ensemble Sjaella und einem Liederabend des Bassbaritons Bryn Terfel, dem Anima-Eterna-Konzert mit den Tenören Christoph und Julian Prégardien sowie der Mezzosopranistin Marianne Beate Kielland und nicht zuletzt mit dem US-amerikanischen Mezzosopran Kate Lindsey.
Bekennende Anhänger des Lichtspiels dürfen sich auf deren Landsmann Bill Murray freuen, der nicht mit Hollywood blendet, sondern sich als Rezitator von Texten Ernest Hemingways, Arthur Millers und Walt Whitmans erproben will - am Cello begleitet von Jan Vogler, der Kompositionen von Bach, Beethoven und Schostakowitsch beisteuern wird.
Dem Insrument des Intendanten wird ja gern eine gewisse Sanglichkeit nachgesagt, Vogler selbst wird dies in einem weiteren Konzert mit Benjamin Brittens Sinfonie für Violoncello und Orchester unter Beweis stellen, außerdem gastiert der große Cellist Steven Isserlis mit Sergej Prokofjews Cellokonzert und spielen die legendären 12 Cellisten der Berliner Philharmoniker auf. In deren Heimstatt, der Philharmonie von Hans Scharoun, deren Weinbergsaal nicht zuletzt als Vorbild für den neuen Dresdner Konzertsaal gilt, gastiert das erwähnte Festspielorchester mit der großartigen Waltraud Meier, die „Vier letzte Lieder“ von Richard Strauss zum Leuchten bringen wird. In Dresden soll das nämliche Programm die Frauenkirche erleuchten.
Dass sich die Dresdner Musikfestspiele in ihrem Jubiläumsjahrgang 2017 sehr um den „neuen“ Kulturpalast bemühen (dessen Reihe der Palastkonzerte sie auch künftig gestalten), ist keine Überraschung. Allerdings lassen sie neben weiteren tradierten Spielstätten von Semperoper über Museumsräumen und Kirchen aufleuchten. Darüber hinaus zählen Alter Schlachthof nebst Ballhaus Watzke und Reithalle in der Straße E zu den Spielorten, wo logischerweise andere Musikstile belichtet werden. Mit dem Orgelvirtuosen Cameron Carpenter etwa, einer Barocklounge und nicht zuletzt mit Ausflügen ins Dunkel des Jazz. Letzteres bringt im Gebäudeensemble Deutsche Werkstätten Open Air ein Aufeinandertreffen von Nils Landgren und Michael Wollny, mit dem Dieter Ilg Trio kommt der Jazz freilich auch innerstädtsch zur Geltung.
Dresden ist in den kommenden vier Wochen „von Kopf bis Fuß“ auf Musik eingestellt. Und dürfte umschwärmt werden. Wie von den Motten das Licht.
Michael Ernst
Dresdner Musikfestspiele: "Licht" 18. Mai bis 18. Juni
www.musikfestspiele.com