Kurz vor Drei
In letzter Sekunde wird der SGD die Siegmöglichkeit gegen Greuther Fürth verweigert
Und es ist schon wieder geschehen: Eine nicht verständliche Schiedsrichterentscheidung kostet Dynamo Dresden die große Chance auf den Sieg. Als in wortwörtlich letzter Sekunde der eingewechselte Ransford-Yeboah Königsdörffer mit Wucht zur Grundlinie stürmt, wird er von Paul Jaeckel klar gefoult, der Ball ist noch in Reichweite und im Spielfeld. Die Hintertorkamera zeigt die Szene eindeutig. Doch entweder lässt Referee Christof Günsch den VAR nicht nachsehen oder die Kölner Fernersehgucker hatten keine Zeit oder waren schon zu Hause – der Pfiff, der kam, war der Abpfiff zum Spiel.
Liebe Leute bei DFB und DFL – es reicht! Die obskuren Video-Entscheidungen, die uns durch diese Saison begleiten, finden kein Ende; da nehme ich das Kuriosum im Hinspiel gegen Wehen-Wiesbaden zu unseren Gunsten ausdrücklich mit ein. Hat man bei der letzten WM noch eindrucksvoll gesehen, wie der TV-Beweis sehr gut funktionieren kann, ist er in den Bundesligen längst zur ebenso lächerlichen wie ärgerlichen Erscheinung verkommen. Hier bleibt die Frage: Muss eine in der Spielzeit relevante Strafstoßsituation nicht auch sorgfältig begutachtet werden? Die Zeit zwischen dem Foul und dem Abpfiff kann jedenfalls nicht dafür gereicht haben, dass sich die Bunkerbesatzung mehr als eine Perspektive angeschaut hat. Also: Was soll das? Doch der Reihe nach.
Die erste Halbzeit: Ballgeschiebe und ein Blackout
Diesmal sind es fünf Startelf-Anderungen im Vergleich zum Sieg gegen den SVWW. René Klingenburg fehlt wegen Vaterfreuden, Jannick Müller beginnt ebenso wie Alexander Jeremejeff, Marco Terrazzino, Sascha Horvath und Brian Hamalainen. Auf die Bank sind Patrick Ebert und Baris Atik zurückgekehrt. Auf der Gegenseite sind mit Marvin Stefaniak und Paul Seguin zwei Ex-Dynamos am Werk.
Zu Beginn wird im Spielerrund gekniet als Fight-Racism-Symbol, was einige „Fans“ der SGD in den sozialen Medien als politische Einmischung in den Sport „begreifen“. Euch ins Handbuch: Rassismus ist kein politisches Problem, sondern ein gesellschaftliches – und der Sport ist Teil der Gesellschaft und kann sich da nicht raushalten. Punkt. #colinkaepernick
Dann geht es los und schon nach wenigen Sekunden sieht Sarpei Gelb, nur vier Minuten später tut Wahlqvist es ihm gleich. Dresden charchiert zwischen 3-4-2-1 und 5-2-2-1, aber sicher sieht das hinten nicht immer aus und nach vorn geht reinweg gar nichts. im Großen und Ganzen hat Fürth den Ball, spielt endlos hinten rum, Dresden rennt hinterher und kann die offensiven Aktionen der Gäste aber meist mit dem kleinen Feuerlöscher auspusten.
Das geht aber nur eine Viertelstunde gut, dann passiert, was nicht passieren soll: Über links kann Wittek ungestört und aus vollem Lauf in den Fünfer flanken, wo eigentlich Ballas und Nikolaou zur Stelle sind, aber was sie dort genau machen, ist nicht ersichtlich. Vielleicht wollen sie den zwischen ihnen stehenden Keita-Ruel zu einer Skatrunde nach dem Spiel einladen oder zu einer andere Art von Kumpelschaft – Verteidigung am Mann sieht jedenfalls anders aus. So kann der Greuther-Stümer unbedrängt per Aufsetzer-Kopfball einnetzen. Broll ist ohne Chance. Und wo war eigentlich vorher Linus Wahlqvist? Und wie oft muss man sich diese Frage eigenltich noch stellen?
Nur wenig später lässt Seguin die Heimabwehr alt aussehen und schickt per Heber Stefaniak Richtung Sechzehner. Doch Ehlers – heute mit einem guten Tag – ist dicht dran und lässt einen plazierten Schuss nicht zu, der Ball klatscht an den Außenpfosten.
Jetzt geht das Mittelfeldgeschiebe wieder los, meist in der DD-Hälfte. Dynamo braucht 21 Minuten für das erste Angriffszeichen, als Wahlqvist den Ball in den Strafraum bringt, aber der Goalie taucht ab und hat ihn. Fürth scheint jetzt ideen- oder lustlos, will nur den Ball – Querpass, Rückpass, Querpass, Rückpass, Zehn-Meter-Pass nach vorn, Querpass, Rückpass … Dann versuchen es die Gäste doch mal, Seguin trifft aber nur das Außennetz, Wahlqvist Minuten später mit einem Verzweiflungsversuch aus 30 Metern. Drüber. Vorn wird bei der SGD kein Kopfball gewonnen, die Offensive wabert durch ein spielerisches Vakuum, getrennt vom Ball und dem Rest der Mannschaft. Es ist dann Horvath, der mal anruckt, als er sich querlaufend durchsetzt, dann den freien Rechts-Schweden sieht, der diesmal besser auf Jeremejeff spielt, doch der kann in Bedrängnis nichts daraus machen. Gibt es eigentlich das Wort Ballunsicherheit?
Ab der 40. dann eine kleine „Drangphase“ von Dresden. Ehlers setzt sich mal sehenswert gegen zwei Grünweiße durch, spielt aber den einen Pass ins Nirvana. Break.
Die zweite Halbzeit: The Danish explosion and the stolen penalty
Was ist eigentlich der Unterschied zwischen „Schlimmer geht es nicht“ und „Es kann nur besser werden“? Zur Halbzeit kommt jedenfalls Simon Makienok für den etwas unsichtbaren Jannick Müller. HInten gilt jetzt: Hätte hätte Viererkette. Und sofort sieht das Spiel anders aus, gibt es hier ein kleines Doppelpass-Festival oder Gewusel im Fürther Strafraum. Vor allem: Bälle kommen vorn an. Und dann ist sie auch da, die erste fette Gelegenheit für die SGD. Petrak stürmt bis zu Grundlinie, spielt wunderbar auf den rückraumigen Jeremejeff, der vollkommen frei nicht ins, sondern über das Tor köpft. Haare raufen. Sganndorwoniwahrsein!
Aber jetzt geht es los, das Fußballspiel. Die Greuther schießen ein klares Abseitstor (hier ist das Schiri-Team Gottseidank noch im Vollbesitz der Kräfte). Die 54. Minute bringt dann aber den ersehnten Ausgleich mit einer dänischen Combo. Hamalainen wuchtet eine Ecke an den zweiten Pfosten, und dort kommt Makienok angerauscht und versenkt mit ungebändigter Wucht. Ein Wow-Effekt und ein Wunder, dass das Netz nicht reißt.
Das Ding ist jetzt fiftyfifty, es geht Schlag auf Schlag. Petrak sieht Gelb, Stefaniak und Seguin werden ausgetauscht, Kreuzer kommt für Wahlqvist. Horvath dribbelt, Makienok ringt mit zweien, Hamalainen rettet knapp vor Broll, Löwe löst Terrazzino ab, Nikolaou sieht Gelb. In Minute 82 faustet Broll einen Hammer von Green zur Seite, der Nachschuss geht ans Außennetz. Dann hat Makienok den Knockout für Fürth auf dem Fuß: Löwe spielt einen Ball in den Strafraum, der erst gefährlich wird, weil Bauer sich auf der Wasserrutsche wähnt – so steht der dänische Riese urplötzlich allein halbrechts vorm Tor, aber schießt knapp vorbei. Gipsdorgarni! Und dann köpft Jeremejeff – der endlich mal seine Offensivfouls in den Griff bekommen muss – ein weiteres Mal neben das Tor.
Schließlich gibt es diese letzten zwei Momente, die hier wie da den Sieg hätten bringen können: Erst bekommt Tillman zum Beginn der Nachspielzeit im Dresdner Fünfer den Ball und muss aus etwa drei Metern nur noch einschieben – er verpasst jedoch den Moment, dann rettet Ehlers mit unglaublichem Willen und gutem Auge. Spätestens jetzt ist man mit dem Punkt doch irgendwie „zufrieden“. Doch es kommt noch die letzte Minute, die letzte Aktion, die letzte Sekunde. Siehe oben.
Natürlich hätte man das Spiel mit der Leistung der zweiten Halbzeit über 90 Minuten auch so gewinnen können. Aber Dresden kann nun mal im Drei-Tage-Abstand nicht immer dieselbe respektive beste Elf aufbieten. Aber der zweite Anzug sitzt einfach nicht. Der erste nur bedingt. Dazu ist unklar, wer wo dazugehört. Schwierige Zeiten also, und da wiegt eine möglicherweise spiel- und saisonentscheidene Fehlleistung des Schiri-Teams umso schwerer.
Uwe Stuhrberg
SG Dynamo Dresden vs. SpVgg Greuther Fürth
9. Juni 2020, Anstoß: 18.30 Uhr
Ergebnis: 1:1
Tore: 0:1 Keita-Ruel (14.), 1:1 Makienok (54.)
Dynamo Dresden: Broll, Wahlqvist (62. Kreuzer), Ballas, Ehlers, Hamalainen, Nikolaou, Petrak, Müller (46. Makienok), Terrazzino (71. Löwe), Horvath, Jeremejeff (91. Königsdörffer)
Ohne Einsatz: Boss, Atik, Ebert, Kulke, Gollnack
Schiedsrichter: Christof Günsch
Zuschauer: 0
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