Kreuz sticht

Gegen Lübeck gibt sich Dynamo Dresden keine Blöße

Es war eine segensreiche Erholung für das weißgeplagte Auge, wenn man – aus der allgegenwärtigen Schneewüste kommend – auf einen grünen Rasen schauen konnte. Saftig stand das Gras, nichts blendete die Iris, eine pralle Wintersonne gab der Wiese die beste Farbe. Eine gute Nachricht für jene Kicker, die Fußball eher zelebrieren denn rumpeln wollen.

Schlechte News dagegen direkt vor dem Anstoß: Yannick Stark hat sich beim Abschlusstraining eine Schulterverletzung zugezogen, deren Schwere zum Zeitpunkt noch nicht abzusehen ist. Also gibt Julius Kade gemeinsam mit Teilzeitinnenverteidiger Paul Will die Doppelsechs, man kann es auch eine Art Bewährung nennen, nachdem das in Mannheim mit den beiden nicht so gut geklappt hat. Tim Knipping betrat erstmals als Capitano den Platz, flankiert von Kevin Ehlers und Leroy Kwadwo. Vorn fand sich mal wieder Pascal Sohm in der Startelf, dafür durfte Philipp Hosiner einmal auf der Bank aussetzen oder aussitzen. Die Überraschung aber war der Ersatz für den gesperrten Königsdörffer: Niklas Kreuzer feierte auf seiner geliebten rechten Außenbahn eine Homecoming-Party nach Maß.

Die erste Halbzeit: Tore aus nah und fern

Dynamo ist anstößig, wie üblich einmal zurück und dann quer nach vorn. Wie üblich bringt das nichts ein. Aber es ist klar: Gegen die rote Laterne will der Ligaprimus nicht schon wieder hinterher sagen müssen, man wäre „etwas schwer ins Spiel gekommen“. Und auch Kreuzer ist sofort da: Hinten eine Grätsche, vorn ein Sahnepass auf Daferner, der im Strafraum zu Fall gebracht wird. Ein Pfiff bleibt jedoch aus.

Dann tankt sich Heinz Mörschel zur Grundlinie durch, aber beim Move nach innen verliert er den Ball, geklärt zur Ecke. Da sind zehn Minuten und ein bisschen rum. Will spielt von der Fahne stramm in den Lübecker Fünfer, wo Mörschel mit dem Haaransatz nach hinten touchiert und Christoph Daferner nur noch den rechten Latsch hinhalten muss. Einszunull, und endlich mal wieder eine frühe Führung – gut für das Nervenkostüm aller Beteiligten und Zusehenden. Kurz darauf spielt Will ein Träumchen von einem Pass in den Lauf von Meier, der direkt vor das Tor passt, aber Sohm rutscht nur Milimeter an seinem dritten Saisontreffer vorbei – eine Triangel-Aktion allererster Kajüte.

Die 24. Minute bringt dann einmal mehr Anschauungsunterricht in Sachen Flankenarbeit. An der Tafel steht Niklas Kreuzer. Er malt eine fein gebogene Linie von rechtsaußen nach innen, genau dorthin, wo der Keeper den Ball nicht einfach so fangen kann, ohne etwas herauszutreten. Kurz vor Sohm patscht der Hansestadt-Goalie also das Spielgerät direkt nach vorn in die Füße von Daferner. Doch der reagiert zu spät, schlägt die Hände vors Gesicht ob der vergebenen Möglichkeit. Doch wo ein Wille ist ist ein Will. Aufgabengerecht als Sechser aus dem Rückraum anrückend, zieht er nach links, nimmt noch einen Schluck aus der Pulle, lässt den Gegner stehen und zieht dann aus 18 Metern ab. Nicht scharf, kein Strahl, dafür aber genau getreten, rollt der Ball rechts unten über die Linie zum Zweizunull. Das erste Tor für den Rotschopf im Dresdner Trikot. Und war auf der Anzeigetafel eigentlich heute endlich sein Proträt zu sehen? Mist – nicht aufgepasst.

Jetzt hat Dynamo vollkommen den Controller in der Hand, der Verein für Bewegungsspiele ist bemüht, bekommt aber nach vorn nichts gebacken. Erschwerend für die Gäste: Das Spiel gegen den Ball gestaltete die Heimelf vollkommen unberechenbar. Mal ließ man die Nordlichter kommen, dann gab es überfallartig hohes Pressung aus allen Rohren, was immer wieder hilfloses Nachvorndreschen nach sich zog. Offensiv zeigte Schwarzgelb ein herziges Kombinationsspiel, gern auch mal mit Hacken- und Ristpässen mit und ohne Look – kann man ja mal machen, um das Spielverständnis zu schulen.

Fünf Minuten vor der Pause hat Schiedsrichter Robert Schröder dann ein Einsehen mit den Lübeckern und gibt ihnen einen Elfmeter. Knipping leistet sich im Luftkampf einen kleinen Schubser in den Rücken von Zehir – den Strafstoß kann man irgendwie geben, muss man aber irgendwie auch nicht. Man kann auch einen Strafstoß irgendwie verwandeln, aber auch das muss man irgendwie nicht. Deichmann jedenfalls ballert drüber, Broll war halbherzig in die passende Richtung unterwegs. Kurz darauf drückt der Referee die Pausentaste.

Die zweite Halbzeit: Die Kirsche auf der Torte

Es ist Tradition, dass ich nach jedem Spiel mit meinem Bruder (ja, der Fliesen-Stuhrberg, #schleichwerbung) telefoniere. Nach dem knappen Sieg in Mageburg meinte ich zu ihm, dass ich froh wäre, wenn man mal zur Halbzeit mit drei Toren vorn läge, um sich den Rest der Partie etwas zurückgelehnt und beruhigt ansehen zu können. Zwar hat es mit dem dritten Tor gegen die Küstenkicker vor der Pause nicht geklappt, aber die SGD legt los, als wolle man das fix erledigen. Nach einer wundervollen Kombi scheitert Meier nur knapp am langen Pfosten, direkt danach fordert Will Torwart Raeder mit einem 20-Meter-Hammer heraus.

Dann aber scheint es, als hätten sich die Siebentürmler für den zweiten Durchgang etwas mehr vorgenomen. Und da fällt er schon fast, der Anschlusstreffer, aber Broll ist eben auf der Linie kein Fliegenfänger, sondern ein Reaktionsmonster: Knipping leistet sich im Strafraum eine Kopfballkerze, was kurz für etwas Konfusion sorgt. An deren Ende hat Deters aus 5,568 Metern Entfernung nur noch das Dresdner Grünhemd vor sich, kann es aber nicht bezwingen – der linke Handschuh wurde zum Bus vor der Linie. Nur zwei Minuten später rettet Kwadwo zu Ecke. Vorher hat er an der Mittellinie einen fatalen Fehlpass gespielt und läuft dann mit einer puren Energieleistung zurück, wo er für den ausgerutschten Ehlers in die Bresche springt. Überhaupt hat der Neuzugang gut zu tun und löst seine Aufgaben fast immer mit Bravour, Fairness und Cleverness – inklusive In-höchster-Not-Grätsche.

Nach einer Stunde die Entscheidung. Lübeck verdaddelt den Ball am Mittelkreis, Kade marschiert zentral Richtung Sechzehner und legt nach halblinks zu Daferner. Der spitzelt sich mit der Pike den Ball am Gegenspieler vorbei, etwas zu weit, wie es scheint, denkt auch Raeder. Und so läuft der Torwart Richtung Ball und in sein Unglück. Denn mit extrem weit ausholenden Schritten, ja Sieben-Meilen-Stiefeln, rast Daferner dem Leder hinterher, dreht sich kurz und lupft es auf die andere Seite des Fünfers. Und da, ja da kommt der Kreuzer, man mag es nicht glauben, ausgerechnet der Kreuzer, angerannt und drischt volley das Dreizunull gekonnt mit der Innenseite des rechten Schuhs in die Maschen. Glaubt man ja nicht! Süßer kann die Kirsche auf einer Sahnetorte nicht schmecken.

Aber: Hundertundzwanzig Sekunden später bekommt Lübeck erneut die Chance vom Punkt. Kade hält ohne Absicht gegen Akono drüber, das ist Pech, denn da entscheidet eine Zehntelsekunde, wer eher den Ball trifft und wessen Fuß oben und wessen Fuß unten ist. Diesmal schnappt sich Zehir das Runde und kullert ihn keine zwei Meter an Broll vorbei ins Eckige. Der Dresdner Torwart macht dabei einen komischen Eindruck, so als hätte er gerade an was ganz anderes gedacht, denn mit bisschen Glück wäre der haltbar gewesen.

Jetzt beginnt beim VfL die Zeit der vielen Wechsel, aber eine wirkliche Aufholjagd ergibt sich daraus nicht. Halbgare Vielleichtmöglichkeiten sind an diesem Nachmittag keine wirkliche Gefahr, alles was auftaucht, wird im Kollektiv geblockt, vereitelt, weggemacht. Für die Schlussviertelstunde kommt Luka Stor für Daferner, für die letzten zehn Minuten Justin Löwe für Kreuzer. Sohm setzt sich noch einmal in der Mitte durch, Kade hält aus 18 Metern drauf, weggefaustet. Und dann ist sie da, die große Möglichkeit zum vierten Tor: Kade spielt Sohm genau in den Fuß, aber der Neuner scheitert etwas kläglich beim Versuch eines Lupfers – allein vor dem Torwart muss er das besser machen. Für die letzten Sekunden wird für Großer ausgetauscht. Dann ist Schluss.

Fazit: Hier stand eine Mannschaft auf dem Platz, die diese Bezeichnung auch verdient. Jeder für jeden, keine Egoismen, dafür haben alle den Blick für den Neben-, Vorder- und Hintermann. Die Linie Ehlers–Knipping–Kwadwo hielt, außen machen Meier und Kreuzer Betrieb in beide Richtungen. Nur Mörschel hing etwas in der Luft, weil das Spiel weitestgehend nicht durch die Mitte lief. Aus dem Team heraus ragten Paul Will mit seinem besten Spiel in den Dresdner Farben und Rückkehrer Niklas Kreuzer. Damit steht für Markus Kauczinski in der Causa Rechtsaußen eine schwierige Entscheidung an: Denn im nächsten Spiel könnte Königsdörffer zurückkehren, aber Kreuzer hat genau dort Qualitäten gezeigt, wo der junge Offensivmann seine Schwächen hat: Flanken und Defensivverhalten. Für Diawusie könnten derweil auf dieser Position die Messen gelesen sein, für Vlachodimos auf der anderen Seite sind sie es wohl schon.
Uwe Stuhrberg

SG Dynamo Dresden vs. VfL Lübeck

14. Februar 2021, Anstoß: 14 Uhr
Tore: 1:0 Daferner (11.), 2:0 Will (24.), 3:0 Kreuzer (60.), 3:1 Zehir (62., Elfmeter)
Dynamo Dresden: Broll, Ehlers, Knipping, Kwadwo, Meier, Kreuzer (85. J. Löwe), Kade, Will, Mörschel, Sohm (90.+3 Großer), Daferner (75. Stor)
Ohne Einsatz: Wiegers, Stefaniak, Diawusie, Hosiner
Zuschauer: 0
Schiedsrichter: Robert Schröder
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