Klub mit Sendungsbewusstsein
Das Blue Note streamt 66 Nächte sein »Corona TV«
David Letterman hat es nie getan. Jay Leno hat es nie versucht. Harald Schmidt wäre wohl zu faul. Und Jan Böhmermann würde der Sendeplatz fehlen. Keiner der großen Late-Night-Heros hat das geschafft, was Mirko Glaser geleistet hat. Denn mit dem 21. Mai hat der Mann genau 66 Talkshows in 66 Tagen abgerissen. Das zudem nicht nur im 45-Minuten-Format, sondern Abend für Abend zwei Stunden – und oftmals mehr. Als Beistand an vielen Abenden dabei: JB Nutsch, später kam der Autor dieser Zeilen hinzu. Mit 66 ist nun vorerst Schluss. Ein Ende soll es aber nicht sein, eher ein FInale der ersten Staffel
Entstanden ist die Daily Show »Corona TV« aus ebenjener Not heraus, die namensgebend ist. Denn mit dem 16. März kam auch für das Blue Note auf der Görlitzer Straße der Pandemie-Lockdown.
Fast genau 23 Jahre lang hatte der Klub täglich geöffnet, von nur wenigen Renovierungstagen abgesehen. Meist gab es Livemusik aus aller Welt, zudem war der Laden einer der wichtigsten Hotspots der hiesigen Jazzszene. Und mit einem Mal: dicht. Allerdings zählt Stillstehen nicht zu den Haupteigenschaften des Blue-Note-Chefs Mirko Glaser. Innerhalb eines Tages verwandelte er sein Domizil in ein Internet-TV-Studio, bereits am 17. März lief die erste Sendung ins Netz.
»Ich habe überlegt, wie man auch während der Schließung den Leuten im Gedächtnis bleibt und gleichzeitig für den Erhalt des Blue Note Spenden sammlen kann. Da kam mir die Idee mit der Show. Denn ich wollte nicht einfach nur um Geld betteln, sondern auch dafür etwas tun«, skizziert Mirko Glaser seine ersten Gedanken. »Zudem hatte ich schon lange die Idee, mit der Kamera Menschen aus meinem Umfeld zu befragen, mehr über ihr Leben und die damit verbundenen Geschichten zu erfahren. Aber wie das so ist: Man macht es dann doch nicht. Aber mit dem Runterfahren von allem ergaben sich nun Zeit und Gelegenheit.« Es benötigte nur wenige Stunden Zeit, um die Gelegenheit zu nutzen. Schweinwerfer wurden umgesetzt, Technik installiert, Gäste für die ersten Tage eingeladen. Mit dem Musiker Simon Jonas bestritt das Open-Mic-Night-gestählte Host-Duo Glaser & Nutsch seine »Corona TV«-Premiere.
»Die ersten beiden Shows haben wir noch mit dem Handy gestreamt, dann habe ich die Bühnenkamera abgebaut und für die Sendung benutzt wegen der besseren Qualität. Erst dann hatte ich die Zeit, mich damit zu beschäftigen, wie man am besten streamt und mir nach und nach die Technik und Software beschafft.« Sieht man sich die vergangenen Sendungen an, die alle auf dem Youtube-Kanal des Blue Note für die digitale Ewigkeit nachzuschauen sind, ist der Prozess des Learning-by-doing gut zu verfolgen. Aber selbst wenn es mal holperte, die Technik streikte oder die Latenz Probleme bereitete – am Ende bekam man das mit Souveränität und Spaß wieder hin. »Es sollte zwar Spaß machen, aber nie nur ein Spaß sein«, merkt Glaser an.
Dabei kann sich die Liste der ersten 66 Gäste durchaus sehen lassen. Viele davon kennt man von der Blue-Note-Bühne wie etwa Lars Kutsche, Tom Götze oder Scotty Böttcher. Aber auch der Galerist Holger John, der Politiker Christian Demuth, der Komponist Sven Helbig oder die BRN-Koordinatorin Ulla Wacker waren zu Gast. Nahezu chancenlos war Mirko Glaser allerdings gegen die geballte Frauenpower, mit der Anna Mateur und Claudia Muntschick die Sendung streckenweise mit einer freundlichen Übernahme an sich rissen. Und auch Olaf Schubert sorgte bei Ausgabe 34 für reichlich komische Momente. In die Liste reihten sich später noch Martin Dulig, René Pape, Dada Vadim, Heiki Ikkola, Falk Töpfer, Fräulein Kerstin, Max Rademann oder Nazanin Zandi ein.
Gestreamt wurde auf Facebook, Youtube und Twitch, und sogar eine Band, das Klaviertrio The Late Knights, sorgte bei vielen Sendungen für live gespielten Jazz aus dem »Studio 2«. Zwischendurch gab es immer mal Videos über die Gäste oder von vergangenen Blue-Note-Konzerten. »Aber es ist harte Arbeit. Mal sehen, wie es nach den 66 Shows weitergeht.« Während der Sendungen konnte man auch spenden via Paypal und immer per Überweisung, es gab sogar schon einige Analogspenden per Umschlag. Dabei war es freigestellt, ob man für das Blue Note, den jeweiligen Gast, einen Gast aus den vergangenen Sendungen oder für die Band spendet.
In der Zukunft, wenn man auf diese Zeit zurückschaut, wird es dann ein Videoarchiv geben, in dem man herumstöbern kann, um zu nachzuerleben, wie verschiedenste Menschen in dieser Krisenzeit gelebt und gedacht haben, zum ist es eine Geschichtensammlung von Personen und Persönlichkeiten, die in dieser Stadt nicht nur leben, sondern diese auch aktiv prägen. Nicht nur deswegen, aber auch deshalb wird die Verwirklichung einer spontanen Idee noch nachhaltig wirken.
Uwe Stuhrberg
Corona TV des Blue Note, alle bisherigen Sendungen auf youtube.com