Kein shalom, kein salaam
Der erneute kulturelle Lockdown trifft auch Dresden besonders hart
Es war seit Tagen zu erahnen, und dann kam es auch so. Die steigenden Infektionszahlen zwingen die Politik zum Handeln, und dann geht man den Weg des geringsten Widerstandes. Man zwingt jene Branchen in die Knie, die in Vereinzelung arbeiten und kaum gewerkschaftlich organisiert sind (von den staatlichen und städtischen Theatern einmal abgesehen), die von Berufs wegen zudem untereinander in Konkurrenz stehen: Kunstschaffende und Ausschenkende.
Die Begründung ist lau: Kontakte müssen drastisch reduziert werden. Ja, das ist nachvollziehbar. Aber warum gibt es kaum Erkenntnisse darüber, wie die Hauptinfektionswege verliefen, als die Kontaktverfolgung noch halbwegs funktioinierte? Warum wird beteuert, wie supertoll Kultur und Gastronomie in den letzten Monaten gearbeitet hätten, wenn sie jetzt auf einmal die Superspreader sein sollen? Wie ist es mit den Großbetrieben außerhalb der Fleisch- und Wurstfabriken? Und wäre es ohne die Ganser-Bilder und die damit einhergehende Kommunikation vielleicht anders gekommen?
Fakt ist: Wer auf ein hygienisch organisiertes Event gehen möchte, fährt vielleicht mit Bus und Bahn. Ansteckungsgefahr! Wer aber zu VW oder Siemens auf Arbeit fährt, hängt oft auch im ÖPNV. Wir nennen es Berufsverkehr. Dazu halten sich in jedem Großbetrieb viele Menschen auf engem Raum auf, treffen sich zudem in der Kantine, in Fahrstühlen, Besprechungsräumen oder an der Stechuhr. (Gibt es die noch?) Und das böse Nachtleben? Wenn eine Sperrstunde sowieso schon bei 22 Uhr liegt, kann man sich nachts kaum in oder vor einer Bar noch einen ansaufen, um sich früh um eins volltrunken den Rachen auszulecken. Denn wenn ein Konzert oder eine Vorstellung, normalerweise beginnen sie 19.30 Uhr oder 20 Uhr, vorbei ist, hat ja nichts mehr auf zur nachkulturellen Betankung.
Natürlich kann man ein Werk von VW, Audi, Porsche, BMW … nicht einfach mal so schließen. Man denke nur an den Druck der Gewerkschaften. Und die liegen ja meist auch „woanders“. Außerdem haben die meisten Fahrsatzhersteller derart viele Millionen für Prozesse und Entschädigungen aufbringen müssen, weil … Ja, weshalb eigentlich? Ach ja, weil sie einen gigantischen Betrug an ihrer Kundschaft begangen haben. Darf man nicht hauen drauf, hätte Bettina Wegner gesungen.
So sind die von der Politik vergossenen Tränen um die Kultur und Gastronomie die eines Krokodils, und diese zeigen auch, wie entkoppelt die Regierenden längst von Theater, Kino, Musik, Kunst oder urbanem Leben an sich sind. Die verspochenen Hilfen können darüber kaum hinwegtäuschen, denn wenn diese dann einmal eintreffen sollten, werden nicht wenige Adressatinnen und Adressaten nicht mehr da sein. Tragischerweise trifft es genau jene Berufsgruppe, die einerseits bisher die größe Corona-Bürde zu tragen hatte, andererseits in übergroßer Zahl mit den einschneidenden Maßnahmen d'accord ging.
In Dresden heißt es nun: Kein shalom zur Jüdischen Woche, die zwar am Sonntag beginnt, aber dann auch schon wieder endet. Kein salaam zum iranischen Theater- und Musikfestival „Made In/Out Iran“, dass vom 10. bis zum 15. November im Societaetstheater stattgefunden hätte. Allein diese zwei Festivals wären gerade in Dresden eminent wichtig gewesen. Es fehlt auch die Stille der Pantomime, weil das Mimenfestival ins kommende Jahr verschoben wird. Der Dresdner Lyrikpreis wird digital, das tolle Filmfestival „Move It“ findet nicht statt. „Und morgen die ganze Welt“, gerade zum deutschen Oscar-Kandidaten gekürt, wird nach nur vier Tagen wieder aus den Kinos verschwinden – und mit diesem auch alle anderen Filme. Der in der Printausgabe der November-SAX noch ordentlich gefüllte Terminkalender ist online inzwischen leer. Es werden wohl ein paar Onlineangebote auftauchen, wenn sich die Kulturhandelnden vom gestrigen Schock etwas erholt haben. Ansonsten ist wieder viel Zeit für Partys in den eigenen vier Wänden. Doch keep Obacht: Karl Lauscherbach horcht vielleicht an der Wand – da hilft nur Equipment für die Silent Disco (wird ja woanders nicht benötigt). Ansonsten: Schön die Bong rumgehen lassen, auch mal den Sangria-Eimer rausholen und den Engtanz wiederbeleben (ist platzsparend in der Wohnung). Ironie aus.
Immerhin eines ploppt schon wieder auf: Bereits am 2. November startet wieder die „Corona TV Show“ (nahezu) allabendlich punkt 20.30 Uhr aus dem Blue Note – wie schon zum ersten Lockdown. Damals gab es 66 Sendungen en suite. Ob die zweite Staffel länger geht als bis zum 30. November, werden wir sehen. In Folge eins wird es ein Wiedersehen mit den drei Protagonisten der Serie geben, die zwischenzeitlich Top-Virologen geworden sind: Prof. Dr. med. Mirko Glaser, Dr. Dr. dent. Matthias Nutsch sowie Dr. vet. Uwe Stuhrberg. Zudem wird der Ausgang der US-Wahl in der Folgenacht exakt vorhergesagt. An den Folgetagen gibt es dann wieder Gäste, am 7. November wird es Konrad Kuechenmeister sein, denn der kann ja sein geplantes Special in der Scheune nicht spielen (es wird auf den 26. März 2021 verschoben). Also: Stay tuned auf allen Social-Media-Kanälen.
Uwe Stuhrberg