Jedem Ende wohnt ein Anfang inne

Christian Thielemanns Abschied in Dresden und seine Ankunft in Berlin

Foto: Matthias Creutziger

Unserer Redaktion war es vergönnt, innerhalb von vier Tagen sowohl Christian Thielemanns Abschiedskonzert mit der Staatskapelle Dresden in der Semperoper als auch dann auf dem Bebelplatz in Berlin unter freiem Himmel sein Antrittskonzert bei der Staatskapelle Berlin zu erleben.

Aber beginnen wir chronologisch in Dresden: Nach 14 Jahren, davon 12 als Chefdirigent, beendete Christian Thielemann seine maßstabsetzende und unter allen bisherigen Leitern der Staatskapelle einmalig diskographisch dokumentierte Schaffensperiode mit einem Kracher: Mahlers 8. Sinfonie. Diese „Sinfonie der Tausend“ brachte bei der von Mahler dirigierten Uraufführung 1910 in München 858 Sänger und 171 Instrumentalisten auf die Bühne. Nun, so viele Künstler waren es bei Thielemanns Abschied dann doch nicht, aber dreistellig war man wohl schon. Es brauchte findige Organisation, so viele Musiker auf der bis in den Rückraum geöffneten Bühne unterzubringen und ergänzend wurde dann auch der Kinderchor der Semperoper im dafür teilweise freigelassenen ersten Rang untergebracht. Neben diesem Kinderchor und dem Sächsischen Staatsopernchor war ergänzend noch der Chor des Bayrischen Rundfunks zu dieser gewaltigen Aufführung verpflichtet. Und auch bei den Musikanten reichte die Staatskapelle Dresden alleine nicht aus. Vielmehr wurde sie ergänzt durch das von Claudio Abbado gegründete Gustav Mahler Jugendorchester aus Wien. Hinzu kamen die namhaften Solisten Camilla Nylund, Ricarda Merbeth, Christa Mayer, Štĕpánka Pučálková, Regula Mühlemann, David Butt Philip, Michael Volle und Georg Zeppenfeld. Über jeden dieser Solisten ließe sich hier ein Absatz mit Erfolgen und Ehrungen anfügen, was aber den vorhandenen Platz deutlich sprengen würde.

Mahlers opus summum, das letzte seiner Sinfonischen Werke, das er schon vom Tode gezeichnet noch selbst zur Aufführung bringen konnte, ist mit seinen zwei Sätzen streng genommen keine Sinfonie, sondern eine riesige Kantate, eine Art Oratorium mit überleitenden Instrumentalpartien. Thematisch behandelt der erste Teil „Veni, creator spiritus“ den gregorianischen Pfingshymnus des Hrabanus Maurus (776 – 856), während der zweite Teil die Schlussszene aus Goethes Faust II. vertont. Der sinfonische Rahmen wird bei dieser Sinfonie innerlich wie äußerlich gesprengt. Mahler schrieb darüber: „Denken Sie sich, daß das Universum zu tönen und zu klingen beginnt. Es sind nicht mehr menschliche Stimmen, sondern Planeten und Sonnen, welche kreisen …“. Dagegen seien alle seine vorigen Werke bloße Präludien. Bei der Uraufführung  in der Musikfesthalle auf der Theresienhöhe in München vor 3.000 teils hochdekorierten Gästen brach nach dem letzten Ton ein unglaublicher Jubelorkan los.

Auch in Dresden war der Jubel gewaltig, der aber nicht nur dem Werk, sondern auch der Schaffensperiode des scheidenden Christian Thielemann galt. Der Orchestervorstand verkündete die Wahl Thielemanns zum bis heute dritten Ehrendirigenten der Staatskapelle (nach Herbert Blomstedt und Sir Colin Davis) verbunden mit der Hoffnung, er werde auch zukünftig zu gemeinsamen Projekten zurückkehren. Thielemann Termine bedeuteten in Dresden regelmäßig volles Haus. Selbst aus anderen Kulturhochburgen wie Wien kamen Gäste, um Thielemann-Aufführungen beizuwohnen.

Auch außerhalb Dresdens mehrte die Verbindung den gemeinsamen Ruhm: die Staatskapelle war oft auch im Ausland auf Tournee und zehn Jahre lang mit Thielemann das Orchester, das im wesentlichen die Osterfestspiele in Salzburg bestritt. Da ließ es sich auch der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer nicht nehmen, Thielemann persönlich für seine Tätigkeit für die Staatskapelle zu danken und überreichte ihm einen Dirigentenstab aus Meißner Porzellan, quasi als Gegengeschenk zu einem hölzernen Dirigentenstab, den der Ministerpräsident bei einem früheren Anlass von Thielemann erhalten hatte. Die stehenden Ovationen des Publikums sind dagegen bei Thielemanns Darbietungen schon Standard. Noch bis Oktober wird die Aufzeichnung des Abends in der Mediathek des MDR verfügbar sein.

Nicht ganz so opulent ging es dann am 13. Juli an Thielemanns neuer Wirkungungsstätte zu. Auch dort erschien allerdings der Kultursenator Joe Chialo, um Thielemann zu begrüßen und ihm für die kommende Amtszeit Glück und Erfolg zu wünschen. Weil sich Dirigent und Orchester erst noch finden müssen, war auch das Programm mit der Alpensinfonie von Richard Strauß und dem Vorspiel zur Wagner-Oper „Tannhäuser“ nicht ganz so anspruchsvoll, gleichwohl bereits gut gelungen.

In der Alpensinfonie, einer Tondichtung beschreibt der Komponist musikalisch den Aufbruch vor Tagesanbruch zu einer Bergtour, den dann folgenden Tagesanbruch mit Sonnenaufgang, das heitere Durchschreiten von Feldern mit Vogelrufen und Jagdhörnern, das Passieren eines Baches und eines Wasserfalls, Kuhglocken des Almviehs, die Sicht oberhalb der Baumgrenze und den Triumph am Gipfel. Auf dem folgenden Abstieg erreicht den Wanderer dann ein sich zunächst durch einzelne Tropfen ankündigendes und dann durch Winde, Blitz und Donner erfahrenes Gewitter, bevor der Tagesausflug dann endet. All dies ist aus dem Straußschen Werk großartig herauszuhören. Und wenn die Staatskapelle Berlin in der Verbindung mit ihrem neuen Dirigenten noch nicht die Perfektion erreichen kann, wie sie bei der Referenzaufnahme des Autors mit dem Bayrischen Rundfunkorchester unter Sir Georg Solti zu bewundern ist, war diese Darbietung auf dem Berliner Bebelplatz bereits vielversprechend. Mit diesem Werk gab es eine interessante Verbindung zwischen Thielemanns alter und neuer Arbeitsstätte. Denn die Alpensinfonie wurde von Strauß, der lange in Dresden als Generalmusikdirektor wirkte, in Berlin uraufgeführt. Allerdings diente als Orchester die Staatskapelle Dresden, die dazu angereist war.

Auch die abschließende Tannhäuser-Ouvertüre gelang und ein begeistertes Publikum, das sich zum Teil mit stilvoll gedeckter Picknick-Tafel nebst entsprechendem Geschirr eingefunden hatte, war dankbar, an diesem Abend teilgehabt zu haben. Auch dieses Konzert war aufgezeichnet worden und wird demnächst sogar mit Bild ausgestrahlt werden. Der Sendetermin steht aber noch nicht fest.
Eine gehaltvolle Thielemann-Woche und es bleibt nach diesen künstlerischen Leckerbissen zu hoffen, daß der Geehrte auch in Zukunft zu Dirigaten in Dresden erscheinen wird.
RA.