It′s a kind of magic
Dynamo Dresden schickt Fortuna Düsseldorf aus dem Pokal
Was wurde nicht alles im Vorfeld dieser Begegnung an Erinnerungen heraufbeschworen. Schalke, Rotrind, Leverkusen … Wie Nils Teixeira den Ball aus der Distanz reinzimmert, wie Aias Aosman nach dem letzten Elfmeter mit dem Trikot in der Hand jubelnd abdreht, wie Alexander Schnetzler unseren heutigen Torwartcoach überlupft. All das waren scheinbar übermächtige Gegner. Die Fortuna aus Düsseldorf hingegen war von der Erwartung her eine Blackbox. Wie Dynamo knapp am Aufstieg gescheitert, in die neue Saison halbwegs okay gestartet. Dazu gab es bis zum Anpfiff in dieser Runde keine Favoritenstürze – sieht man einmal von Hannover und Bochum ab. Das sah 2023 ganz anders aus. Die Vorfreude ist natürlich riesig, das Bauchgefühl eher magengrubenunfreundlich. Der Pokal, seine Gesetze, blablabla … Man kann es nicht mehr hören.
Von der Pressetribüne zeigt sich: Alle in Gelb. Motto angesagt, Motto erfüllt (würde man bei „Shopping Queen“ sagen). Die Atmosphäre ist vibrierend, und auch der okay gefüllte Düsseldorf-Block singt sich ein. Es ist schön kühl, es nieselt, allerbestes Wetter zum Fußballspielen also. Jetzt müsste der Satz folgen: Es ist angerichtet. Na ja, jetzt habe ich ihn doch schon geschrieben.
Kapitän ist wieder Niklas Hauptmann, denn Christoph Daferner ist für Stefan Kutschke auf dem Startblock, ebenso wie Vinko Šapina für Oliver Batista Meier. Trainer Thomas Stamm greift auf seine Anfangstaktik des Cottbus-Spiels zurück, die dort nicht aufging. Das nenne ich mal Chuzpe, er traut den Jungs zu, dass es im zweiten Versuch besser gelingt. An die Pfeife wurde mit Sascha Stegemann ein erfahrener Referee gebucht, und es sei vorweggenommen, dass der seine Sache gut gemacht hat.
Als Schwarzgelb und Ganzinrot den Rasen betreten erhebt sich ein Orkan aus knapp 30.000 Kehlen in das Stadion, eine Audio-Vorahnung, was hier passieren kann weht in den Nachthimmel. Handshake und Wimpeltausch. Da stellt sich mir die Frage: Wo werden eigentlich diese vielen Wimpel aufbewahrt? Was geschieht damit? Heute egal: Die SGD beginnt mit dem Rücken zum K, die Fortuna hat Anstoß.
Die erste Halbzeit: Sportgemeinschaft furioso
Der Ball rollt, schon schallt es „Steht auf …“. Und so geht auch auf dem Feld geht der Aufstand sofort los. Nach 20 Sekunden leisten sich die Düsseldorfer den ersten Aufbaufehler, sie bekommen dynamischen Druck über rechts, dann überlinks – Dresden macht hier bereits in den ersten zwei Minuten klare Ansagen. Mit einem extrem hohen und aufwändigen Pressing zwingt Dynamo die Gäste in eine defensive Tretmühle, aus der es kaum Entrinnen gibt. Die Bälle kommen immer wieder gefährlich vor das Tor, Florian Kastenmeiers Handschuhe bekommen hier schon Abnutzungsspuren. Schon die zweite Ecke – es sind noch nicht mal zehn Minuten rum – verfehlt die Führung nur um Millimeter: Hauptmann verlängert mit dem Kopf (!) vom Kurzen zum Langen, wo sich Lukas Boeder um Oberdorf herumschlängelt und den Fuß hinhält. Es grenzt an ein physikalisches Wunder, dass der Ball da nicht reingeht.
Zwar traut sich Düsseldorf nun auch mal vor das Schreiber-Tor, aber mehr als Halbgewalktes kommt dabei nicht rum. Als ein Einwurf der Rheinländer direkt ins eigene Toraus geht, ist zu sehen, wie derart von der Rolle die Rothemden hier sind. Was auch immer sie erwartet haben, ist ganz anders gekommen. Dynamo macht das Spiel, drückt erbarmungslos jede Angriffsbemühung in den feuchten Boden, ein Klassenunterschied ist nur verkehrtherum zu sehen. Und es wird Zeit, dass sich das auszahlt.
18. Minute. Claudio Kammerknecht schickt auf rechts Robin Meißner, der sich geschickt dreht und das Leder in den Raum Richtung Grundlinie schickt, wo Hauptmann wiederum im Fallen nach innen gibt, weil er weiß oder ahnt, dass dort Daferner angerauscht kommt. Bei all dessen Wucht und Körperlichkeit hat der Verteidiger nicht den Hauch einer Chance und der Rückkehrer aus (natürlich) Düsseldorf netzt aus spitzem Winkel ein, nachdem der Ball zwischen Pfosten und Torwart kurz den Flipper machte. Verhaltener Jubel bei Daferner? Nicht hier und heute! Auf und rund um den Platz bricht sich wahre Ekstase die Bahn, obwohl noch über 70 Minuten zu gehen sind. Aber Fußball lebt im Augenblick, who cares, was noch kommt.
Das Tor gibt den Schwarzgelben noch einen Schub. Es wird gedribbelt, geschnibbelt, gelupft und getunnelt, während sich Düsseldorf im falschen Film wähnt: Man wollte einen Actionfilm sehen und landet in einem Horrormovie, in dem das entfesselte Offensiv-Monster Niklas Hauptmann eine der Hauptrollen spielt. Es ist eine derart große Freude, den Mann spielen zu sehen, dass man bei seinem Dreh-Schuss in der 22. Nur aufstöhnt, weil man es ihm soooo gegönnt hätte. Aber heute ist das ganze Mittelfeld mit Hauptmann– Šapina–Menzel eine Prachtachse, dass der Defensive meist schon die Arbeit an der Mittellinie abnimmt.
Erst in der 22. Minute leistet sich Šapina den ersten Patzer der Sportgemeinschaft, aber der Ballverlust landet sicher in den Armen von Tim Schreiber. Zwischen der 28. und 29. Minute geht es vor dem Fortunen-Strafraum wie im Handball zu; die Gäste spielen nur noch im Panikmodus und können den Einschlag immer wieder nur in höchster Not verhindern. Dann liegt der Ball doch im Netz, aber Meißner lupft aus dem klaren Abseits ins Tor, der passende Hauptmann hätte es besser selbst erledigt.
Kurz darauf steht Menzel aus einem Gewusel heraus frei vor dem Torwart, bekommt aber keinen Druck auf den Ball, zuvor hatte ihn Heise von links bedient. Doch schon kommt die nächste Flanke von rechts angeflogen, weil Düsseldorf immer wieder die Bälle schon in der eigenen Hälfte verliert und nicht, also überhaupt nicht, in dieses Spiel kommt. Das hohe Pressing raubt den Spielern den letzten Nerv, die nur froh sein können, dass es „nur“ Einszunull steht. Um nicht zu überpacen nimmt die SGD ab der 35. Minute mal etwas Tempo aus dem Spiel, aber auch damit können die Männer von der Kö nix anfangen. Ein Schussversuch landet weit oben im Fangnetz vor dem K-Block.
Nach wenigen Minuten ist aber Schluss mit der „Ruhephase“, als Meißner im Strafraum der Gäste den Ball wie Oehmichen beim Heise-Tor gegen Cottbus hinlegt, nur ist diesmal niemand da, der abschließt. Nach einem Mittelfeld-Bock der Fortuna versucht es Daferner aus 40 Metern, aber der Schuss geht etwas über den Balken. Am Ende des ersten Durchgangs gibt es für die 1895er noch einen Freistoß aus dem Halbfeld – und wir wissen, dass bei Standards alles passieren kann. Aber nicht heute. Schreiber = sicher. Währenddessen steht Daniel Thioune ratlos an der Seite und braucht auch etwas Zeit, bevor er nach dem Pfiff in die Kabine geht. Denn was für eine Mega-Halbzeit hat die SGD denn hier hingelegt!!! Selbst wenn nach hinten raus noch alles schiefgeht, werden diese grandiosen 45 Minuten bleiben.
Die zweite Halbzeit: Die Sicherheit des eigenen Tuns bei ausreichendem Selbstbewusstsein
Daniel Thioune fand offensichtlich in der Pause die richtigen Worte, denn nun kippt das Spiel in die andere Richtung; es sieht aus, wie man es eigentlich von Anfang an befürchtet hatte. Mit dem Wiederanpfiiff gerät die Sportgemeinschaft etwas in Unordnung, und schon marschiert Niemiec allein auf Schreiber zu, im Laufduell bleibt Kammerknecht zunächst zweiter Sieger. Aber beim Versuch, den Dresdner Goalie zu überlupfen, bekommt Schreiber noch entscheidend die Fingerspitzen dran, um den Ball zu verlangsamen, während Kammerknecht noch soviel Speed hat, um das Leder vor der Linie wegzudreschen. Keine zwei Minuten später polkt Schreiber einen Maßschuss von Klaus aus dem linken Winkel. Ja hat denn der Mann das Pokal-Gen von der Saar an die Elbe mitgebracht? Doch dann liegt der Ball doch noch im Dynamo-Tor, aber Stegemann hat richtig gesehen, dass Schreiber mitten im Fünfer-Kampf und nach der Brustrettung durch Šapina einen Handschuh klar auf der Kugel hatte, weswegen das Tor nicht zählt. Und der Fortuna-Torwart wechselt die Hose. Warum nur?
Dresden braucht nun ein Signal, sich zu befreien. Das geben Šapina mit einer robusten Auf- und Abräumaktion im Mittelfeld und Meißner mit einem Distanzschuss. Und ab der 55. Minute geht Dynamo wieder auf Attacke, jetzt aus der Konterperspektive. So lässt Heise Meißner an der 16er-Kante entlangsegeln, aber der Abschluss ist nicht so richtig einer. Einen Freistoß aus 24 Metern setzt Heise dann humorlos in die Mauer. Aber dann mal wieder Tony Menzel: Von links kommend schüttelt er seinen Verfolger einfach ab und läuft in den Strafraum, nur ist sein Pass etwas ungenau – Šapina donnert den Rebound dann knapp auf den Balken. Keine Frage: Die SGD ist wieder dick drin in diesem Spiel.
Und Jakob Lemmer? Wie gegen Cottbus hat er auch diesmal wieder einen Superpass parat, als er in der 65. Minute Hauptmann schickt, dessen Pass nach innen fast zu einem Eigentor führt. Aber auch hinten lässt es an Konsequenz nicht mangeln: Als etwa Heise fast aussichtlos an der eigenen Grundlinie festgenagelt wird, schießt er den Gegenspieler mit Hacke an und holt den Abstoß – Erfahrung meets Kaltschnäuzigkeit ergibt donnernden Extraapplaus. Dann verlässt der sichtlich erschöpfte Ballzauberer mit der 27 den Rasen für Oliver Batista Meier. Ohne Frage ein Wechsel verbunden mit Verantwortung. Meier muss liefern. Und er liefert! Eine Minute auf dem Platz, schießt er so scharf aus 25 Metern, dass Kastenmeier nach vorn abprallen lässt, direkt in die Füße von Daferner. Der ist aber so überrascht, dass er das Leder aus dem Nichtabseits drüberschaufelt. Es ist aber keine Zeit, sich richtig zu ärgern, denn nur Sekunden später wieder bekommt Meier wieder den Ball an der Mittellinie, sieht den Richtung Strafraum laufenden Meißner und spielt einen fein getunten Steckpass. Und Meißner? Der dreht sich ballettreif um die eigene Achse, schickt so den Verteidiger kurz in die falsche Richtung und schießt – leicht zum unhaltbaren Hoppler abgefälscht – links unten ein. 2! Zu! 0! Sind das jetzt neue Dezibel-Rekorde? Die Bude bebt! Der Rasen glüht. Osterhase und Weihnachtsmann vollführen einen wilden Tanz:
One dream, one soul
One prize, one goal
One golden glance of what should be
It′s a kind of magic
One shaft of light that shows the way
No mortal man can win this day
It's a kind of magic
Noch 22 Minuten sind zu spielen. Aber jetzt wächst jeder mit einem gelben Trikot gefühlt um zwei Meter. Im eigenen Strafraum werden Pässe wie beim Warmmachen gespielt, aber das ist keine Arroganz, sondern die Sicherheit des eigenen Tuns bei ausreichendem Selbstbewusstsein. Es kommen Stefan Kutschke und Jonas Oehmichen für Daferner und Šapina. Direkt nach dem Wechsel gibt es einen Freistoß aus dem Mittelfeld, Kutschke flüstert Kammerknecht vor der Ausführung etwas ins Ohr. Da haben die Düsseldorfer eine Ahnung und gehen direkt auf den Kapitän, der sich dabei im Gesicht verletzt, blutet und erstmal raus muss. Den fälligen Freistoß donnert Meier aus 25 Metern sehenswert nur knapp vorbei. Die Fortuna gerät derweil wieder in den Wurschtelmodus, man ist sichtlich genervt ob der vielen eigenen Fehler.
Dann ist Kutschke back und hat gleich doppelt das dritte SGD-Tor auf dem Stiefel. Erst steckt Meißner wie gerade noch Meier auf ihn selbst zur 30 durch, aber der Sturm-Oldie bekommt schlussendlich den Ball nicht an Kastenmeiers Fuß vorbei. Dann steht er bei einer sehr scharfen Hereingabe von rechts zu weit vor dem kurzen Pfosten und kriegt so das Runde nicht aufs Eckige. Aber es sind nur noch zehn Minuten plus Draufgabe und die Rheinischen sind mental angeschlagen. Als Kammerknecht einen Pass am eigenen Strafraum abfängt, reißt der gefrustete Klaus den Mann einfach um, was dann etwas Getümmel auf den Plan ruft – zwei Gelbe pro Mannschaft. Dann muss Kutschke noch mal ans Tape und als Menzel im Mittelkreis gelegt wird, fühlt sich Kastenmeier berufen, da höchstselbst mal nachzusehen.
Jetzt heißt es: Ball behalten, Zeit von der Uhr rauben, nur nicht einigeln. Also zieht Oehmichen mal eben eine Furche durch das Mittelfeld, fällt nicht gegen zwei, fällt noch immer nicht und wird dann gefoult. Den Freistoß aus über 20 Metern hämmert Meißner auf das Tor, wird aber zur Ecke abgewehrt. Für die Schlusssicherung kommen in der 88. Lars Bünning und Jan-Hendrik Marx, für den es die ersten Pflichtspielminuten sind. Meißner und Menzel haben Schichtschluss. Aber es passiert so gut wie nichts mehr. Düsseldorf hat nur noch Verzweiflung zu bieten, Dresden spielt abgeklärt mit dem Stadion im Rücken. Fünf Minuten Nachspielzeit werden angezeigt, die aber nur noch eine Meier-Meißner-Kutschke-Aktion bringen und einen von Schreiber gehaltenen Schuss. Dann wird abgepfiffen. Während die Fortunen grußlos ihren weit angereisten Anhang im Stich lassen, feiert sich Schwarzgelb in einen After-Game-Rausch, denn auf dem Rasen und auf den Rängen wurde heute alles gelassen.
Was noch zu sagen wäre
Am 1. September wird die zweite Runde ausgelost, und es bleibt zu hoffen, dass sich die „Tradition“ des Ausscheidens an dieser Stelle nicht fortsetzt. Man denke nur an die blasse 0:1-Heimniederlage gegen Bielefeld nach dem furiosen Sieg gegen die Brauseflaschen. Aber vorher geht es am Freitag in den Schacht. Die sind zwar ausgeschieden, waren aber besser als das Ergebnis. Unterschätzung ist des Hasen Tod, das musste Düsseldorf bitter erfahren. Und man darf gespannt sein, wer die Zimmerschied-Stelle bekommen wird, Geld ist ja nun auch durch den Pokal da.
Uwe Stuhrberg
SG Dynamo Dresden vs. Fortune Düsseldorf
18. August 2024, Anstoß 18 Uhr
Tore: 1:0 Daferner (18.), 2:0 Meißner (68.)
Dynamo Dresden: Schreiber, Kammerknecht, Boeder, Heise, Lemmer, Casar, Šapina (72. Oehmichen), Hauptmann (66. Batista Meier), Menzel (88. Bünning), Meißner (88. Marx), Daferner (72. Kutschke)
Ohne Einsatz: Mesenhöler, Kubatta, Bohdanov, Lehmann
Schiedsrichter: Sascha Stegemann
Fans: 29.660
www.dynamo-dresden.de