Herrenabend mit Rock
Review. Nachruf. Erweckung. Imperial State Electric in der Scheune
Ja, ich hatte Vorbehalte. Ja, ich pflege Vorurteile. Ja, das ist fast immer falsch. Zum Verständnis: Als es gegen Ende der 1990er Jahre mit dem Rock’n’Roll bergab ging, da waren sie auf einmal da: Skandinavische Bands rollten quer durch Europa, hielten das Banner der handgemachten und schweißgetränkten Riffgitarrenmusik hoch und prägten eine Schublade, auf der schnell High Energy Rock stand. Die schon seit 1990 existierenden Turbonegro spielten auf einmal auch im Ausland in großen Hallen, ihnen folgten Gluecifer, Backyard Babies, The Hives und eben – The Hellacopters. Mit einer wilden Mischung aus Punk-Attitude, Garagen-Roughness, Seventies-Boogie-Power, sensationeller Dynamik und beständig durchgedrücktem Gaspedal rissen die Copters mit Nicke Anderson im Auge des Orkans einfach fast alles aus dem Sessel, was auch nur irgendwie auf Rockmusik stand. Am Ende tourte man gar mit den Stones und Kiss. 2008 war dann Schluss, beim letzten Deutschland-Konzert im Berliner SO36 war auch die halbe Dresdner Szene anwesend.
Zwei Jahre später meldete sich Nicke Anderson mit der Band Imperial State Electric zurück, die aus der Coverband Cold Ethyl hervorging, an der übrigens auch Bassist Dolph de Borst (The Datsuns), Drummer Tomas Eriksson (Captain Murphy) sowie Gitarrist Tobias Egge beteiligt waren. Mit der besagten Partytruppe muggte Anderson einmal monatlich im Stockholmer Club Debaser Slussen, mit ISE sollten nun jene Songs auf die Bühne kommen, die der Hellacopters-Mastermind eigentlich für ein Soloprojekt geschrieben hatte.
Ich misstraute dem Ganzen jedoch, hörte weder die seit 2010 erschienenen sieben Tonträger, noch zog ich mir Netz Audios oder Videos rein. Die Copters hatten sich gefälligst wieder zu reunionieren, ein leiser Hoffnungsschimmer war die als einmalige Aktion angekündigte Wiedervereinigung im Sommer 2016 auf einem Festival in Schweden anlässlich des 20. Jahrestages des Erscheinens von „Supershitty to the Max“. Hier spielte übrigens Dregen den zweiten Gitarrenpart. Und das wird auch bei den sechs neu avisierten Festivalkonzerten im Sommer 2017 so sein, denn Robert „String“ Dalquist, Dregens Nachfolger ab 1999 (wir nannten ihn den „blonden Engel“), verstarb leider kürzlich im Alter von nur 40 Jahren.
Nun also waren am 21. Februar 2017 Imperial State Electric in der Scheune angekündigt. Gehst Du mal hin, dachte ich mir, so schlimm wird es schon nicht sein. Zur Sicherheit ließ ich mir am Nachmittag noch einmal „High Visibility“ in die Ohren dröhnen. Im Haus auf der Alaunstraße etwas zu spät angekommen (schuld war nur die Bar Holda), war die Supportband Factory Brains – ebenfalls aus Schweden – bereits in den letzten Zügen, diese machten aber einen ordentlichen Eindruck. Sollte man sich bei nächster Gelegenheit mal richtig ansehen.
Dann also ISE vor einer silbern glänzenden Wand aus Fender-Boxen. Hinten Schlagwerker Tomas Eriksson unauffällig langhaarig verhuschelt, Dolph de Borst wie ein 70er-Jahre-Pornodarsteller, der seine Karriere gerade beendet hat, und auf der anderen Seite Tobias Egge mit einer The-Sweet-Gedächtnisfrisur. Mittig natürlich Nicke Anderson, gewandet wie alle anderen in Schwarz, aber noch immer mit der Schirmmütze aus der Copters-Endphase – und selbstverständlich einer Haarsträhne vor jedem Ohr (you know!).
Am Anfang des Sets standen vor allem Songs des 2016er Albums „All Through the Night“ – viel Midtempo, viel Lässigkeit, nicht wirklich überzeugend, aber okay. Mit der Zeit aber arbeiteten sich Nicke & Co. in ihrer Diskographie zurück, vor allem zu „Honk Machine“, „Pop War“ und „Reptile Brain Music“. Jetzt begann es zu krachen, zu rollen, zu swingen, zu bolzen. „Mensch, die spielen derart tight“, ruft es hinter mir – und zwar vollkommen zurecht. Was jetzt hier abgefackelt wurde, ist Rock’n’Roll in Reinstform – das waren die Seventies auf Speed gekreuzt mit nordischem Gitarrenheldentum. Energieströme gingen zwischen Band und Publikum hin und her, keine Atempause, Saitenduelle, es soll nie mehr aufhören …
Doch nach einer guten Stunde war dann doch Schluss. Oder eben nicht. Denn der Vierer kam zurück und spielte nun nicht einfach ein paar Zugaben, sondern quasi einen zweiten Teil der Show. Und da gab es dann noch drei Überaschungen, denn die Imperials holten mit „Born To Be Wild“ und „Fortunate Son“ (für mich der beste C.C.R.-Song aller Zeiten) zwei Stücke aus ihrer Coverband-Ära hervor und tauchten diese in dampfende Hochenergie, zudem wurden – fast versteckt – in einen Gitarrensolopart noch ein paar Takte Hellacopters eingefügt. Zudem ein Highlight: das vom Bassisten gesungene „Reptile Brain“, bei der Egge den Viersaiter übernahm und de Borst wie ein wild gewordener R’n’R-Preacher über die Bühne rauschte.
Am Ende war es ein guter Abend. Nein, ein herausragender Abend. Das fast auschließlich männliche Publikum in der für einen Dienstag ganz gut besuchten Scheune war restlos begeistert – ein Herrenabend mit Rock sozusagen. Und sollten ISE nach Dresden wiederkehren, werden sicher mehr Menschen kommen – die Mundproganda wird da ihr übriges tun. Ich wiederum konnte endlich meine Vorurteile begraben, einen Schlusstrich unter die Copters setzen, Abschied nehmen und eine Erweckung feiern. Ich bin nun Fan einer neuen Band. Aber da sind ja noch die Festivals im Sommer. Und vielleicht kommen die Hellacopters ja doch zurück ... Hach, alles nicht so einfach.
Uwe Stuhrberg
Imperial State Electric 21. Februar, Scheune
www.imperialstateelectric.se