Genialischer Gestus
Der Mosaikbrunnen im Großen Garten wird 95
Geniale Entwürfe und Ideen, die angesichts gesellschaftlicher Ausnahmesituation, Wirtschaftsmisere und leerer Stadtkassen keine Chance auf Realisierung haben? Klingt sehr vertraut, aber die Rede ist nicht von der Gegenwart, sondern von der Situation vor 100 Jahren. Es war der Beginn der sogenannten »Goldenen Zwanziger«, eine turbulente Zeit, in der die junge Weimarer Republik zum ersten Mal die Vorzüge parlamentarischer Demokratie kostete und zugleich mit aller Brutalität die Angriffe ihrer Gegner erlebte, als Kino, Rundfunk und Unterhaltungsmusik zu Massenphänomenen wurden und avantgardistische Strömungen in bildender Kunst, Architektur und Gestaltung die Seh- und Lebensgewohnheiten umfassend erneuern wollten.
In dem Klima eines permanenten Alles-ist-möglich, von Aufbruch und Scheitern entstand in Dresden ein gelungenes, ebenso lyrisches wie zeitgemäßes Denkmal expressionistischer Stadt- und Parkgestaltung, das glücklicherweise bis heute an seinem ursprünglichen Aufstellungsort zu bewundern ist: Der Mosaikbrunnen, in einem Rondell im nordwestlichen Geviert des Großen Garten, zwischen Zoo und Hauptallee gelegen, entworfen von dem 1869 geborenen Architekten Hans Poelzig und seiner zweiten Ehefrau, der Architektin und Bildhauerin Marlene Moeschke-Poelzig (1894–1985), das anlässlich der letzten Dresdner Internationalen Gartenbau-Ausstellung 1926 installiert wurde.
Der durch geometrische, florale und kristalline Elemente bestimmte Mosaikbrunnen auf kreisförmiger Grundfläche besteht aus fünf unterschiedlich großen, gestaffelten Brunnenschalen, deren Gestalt und Anordnung von Blütenkelchen inspiriert sind. Aus jeder Schale scheint ein weiterer Kelch nach oben zu wachsen, das Wasser fließt über die Ränder nach unten und wird von der darunter liegenden Schale aufgenommen, sodass eine gegenläufige Bewegung aus Aufsteigen und Fallen entsteht.
Das Betongerüst der opulenten Brunnenkonstruktion ist übersät mit winzigen Mosaiksteinen aus farbiger Keramik, die in den 1920ern von der staatlichen Majolika-Manufaktur in Karlsruhe nach der alten, in Italien und Spanien verbreiteten Fayence-Technik hergestellt wurden. Die mit Zinnoxydglasur versehenen Tonsteinchen bilden grüne und blaue, mit gelben und weißen Akzenten durchsetzte diagonale Ornamente, wodurch sich die moderne Kaskadenform harmonisch in den umgebenden Park einfügt. In den wärmeren Monaten entfalten die bunten Mosaiksteine durch die integrierten Unterwasserleuchten des Brunnens in der Dämmerung eine besondere, fast märchenhafte Atmosphäre und betonen die von den Poelzigs intendierte synästhetische Verbindung von Architektur, Plastik, Farbe, Klang, Licht und Raum.
Mehrfach war der große Brunnen von Abriss bedroht. Schon nach dem Ende der Gartenschau 1926 sollte er entfernt werden, später erfolgten längst nötige Restaurierungen erst nach langem Ringen, zunächst 1984 bis 1994, dann 2006, als die Mosaiksteinchen bereits abbröckelten. Die vorerst letzte Sanierung fand 2013 bis 2016 statt, um die undichte untere Brunnenschale zu reparieren und das Fundament wie auch die Brunnentechnik zu erneuern.
Als das Monument entstand, hatte Poelzig Dresden längst zugunsten von Berlin verlassen. Anders als sein Vorgänger, der qua Posten und Persönlichkeit dominierende Hans Erlwein, der Dresden als Stadtbaurat von 1905 bis zu seinem tödlichen Autounfall in Frankreich 1914 eine Fülle an öffentlichen, durchaus reformgesinnten Bauten beschert hatte – darunter der Schlachthof, das Reicker Gasometer, Wasserwerk Hosterwitz und Italienisches Dörfchen – konnte Poelzig an der Elbe kaum etwas realisieren. In seiner Zeit als Stadtbaurat von 1916 bis 1920 entstanden geniale Entwürfe: für ein Stadthaus, eine Gruppe von Museumsbauten, eine Elbbrücke, für Konzertsaal, Hotel und Bankgebäude. Doch nichts davon kam über das Entwurfsstadium hinaus, weil die Stadt einen Baustopp verhängt hatte. So malte der unzufriedene Architekt großformatige expressionistische Gemälde, die er auf Ausstellungen der Dresdner Künstlervereinigung präsentierte.
Tatsächlich gebaut wurden von Poelzig in Dresden lediglich einige Werksbauten auf dem Gelände der Reicker Gasanstalt, außerdem entwarf er für die Deutschen Werkstätten Hellerau einzelne Holzhaustypen. 1917 vollendete er die Neustädter Feuerwache auf der Louisenstraße – nach Plänen Erlweins.
Deutlicher im öffentlichen Bewusstsein, wenngleich etwas versteckt gelegen, ist Poelzigs Mausoleum für den Großindustriellen und ‚Odolkönig‘ Karl August Lingner. Das monumentale, tempelartige Grabmal auf elliptischem Grundriss, geschmückt mit elegischen weiblichen Relieffiguren des Berliner Bildhauers Georg Kolbe, entstand vor ziemlich genau 100 Jahren im Park des Lingner-Schlosses, auf der unteren Terrasse an der Mauer zum Elbufer.
Architektur, Plastik und Gestaltung geschickt miteinander zu verbinden, war ein Markenzeichen von Poelzigs Arbeiten. Für das Foyer des 1919 eröffneten Großes Schauspielhauses – das expressionistische Hauptwerk des Architekten – hatte seine Frau Marlene skulpturale Lampen entworfen, die als nach oben größer werdende Kelchformen auseinander emporzuwachsen scheinen – eine Gestaltfindung, die das Paar für den Dresdner Mosaikbrunnen einige Jahre später offenbar wieder aufgriff. Auch mit dem Bildhauer Kolbe arbeitete Poelzig weiter zusammen: Dessen große weibliche Aktfigur »Nacht« (1926/29) schmückte Poelzigs Berliner Haus des Rundfunks – bevor sie 1933 auf Befehl von Joseph Goebbels entfernt und durch die Hitlergruß zeigende Gruppe »Symbol der Rundfunkeinheit« ersetzt wurde.
Zum 1. Januar 1933 war Poelzig in Berlin Direktor der Vereinigten Staatsschulen für Freie und Angewandte Kunst geworden – durch die Nationalsozialisten verlor er den Posten bereits drei Monate darauf wieder, verunglimpft als jüdischer »Baubolschewik«. Im Alter von 65 Jahren schied Poelzig 1935 aus allen Ämtern an der Preußischen Akademie der Künste, deren Meisterateliers er geleitet hatte, sowie als Lehrer an der TH Berlin aus. Er starb kurze Zeit später, im Juni 1936, an den Folgen eines dritten Schlaganfalls. Marlene führte Poelzigs Bauatelier einige Monate allein weiter, bevor es auf Druck der Nationalsozialisten 1937 schließen musste. Das von ihr 1929/30 entworfene Wohnhaus des Ehepaares im Berliner Westend kaufte 1936 der Regisseur Veit Harlan. Wahrscheinlich wurde der von der NS-Führung in Auftrag gegebene Propagandafilm »Jud Süß« hier geschnitten und erlebte im damals neu eingebauten Kinoraum der Villa seine private Uraufführung. Trotz dieser bewegten Historie und seiner qualitätvollen Architektur soll das Gebäude demnächst abgerissen werden.
Teresa Ende