Gelungener Auftakt
Die Sächsische Staatskapelle mit einem Strauß-Zyklus
Nach der Pandemie-Diaspora nimmt auch die Staatskapelle Dresden langsam wieder den Konzertbetrieb auf. Bei Wahrung der üblichen Sicherheitsregeln (kein Garderoben- und Restaurationsbetrieb, keine Pausen, Mindestabstände zwischen den Plätzen bei Zuhörern und Musikern und Maskenpflicht im Gebäude) finden zur Erleichterung sowohl der Zuhörer wie der Künstler endlich wieder Konzerte statt. Die neue Saison 2020/21 begann das Orchester unter seinem Chefdirigenten Christian Thielemann wie vorgesehen mit dem ersten Teil des sich über die Spielzeit verteilenden Strauß-Zyklus.
Den Auftakt machte das für kleines Orchester bearbeitete Vorspiel zur Oper Ariadne auf Naxos. Die an dieser Stelle bereits besprochene Oper verschränkt bekanntlich zwei Handlungen, nämlich die einer opera seria mit der satyrhaften einer opera buffa. Diese Zweischichtigkeit kommt bereits beim Vorpsiel zum Ausdruck. Interessant war hier, daß die reduzierte Besetzung (Streicher und je 2 Flöten, Oboen, Klarinetten, Fagotte und Hörner) dem Werk nicht schadeten. Vielmehr erreichte Thielemann auch mit dieser Besetzung eine emotionale Wirkung, die von diesem Vorspiel auch ausgehen muss.
Es schloß sich an das Duett Concertino für Klarinette und Fagott mit Streichorchester und Harfe, ebenfalls von Richard Strauß. Dieses im Schweizerischen Exil nach dem Zweiten Weltkrieg entstandene Spätwerk, sein letztes Instrumentalwerk, nimmt Strauß Anleihen bei der Oper Capriccio. Der Dialog der beiden Solo-Instrumente entwickelt sich erst, nachdem sie zunächst scheinbar aneinander vorbeispielen zu scheinen. Dem Werk, gewidmet seinem Freund, dem späteren Orchestervorstand der Wiener Philharmoniker Burghauser, unterlegte der Komponist eine Märchenhandlung: Ein Bettler oder Bär (Fagott) umwirbt eine Prinzessin (Klarinette) von dieser zunächst unerhört verbinden sich beide aber danach zum Tanz. Wolfram Große (Klarinette) und Philipp Zeller (Fagott) gingen hier wunderbar aufeinander ein und unterstrichen einmal mehr die Dresdner Strauß-Verbundenheit.
Aufgrund einer Erkrankung der eigentlich an diesem Abend vorgesehenen Sängerin rutschte aus dem Vortragsprogramm noch einmal die auch in Dresden ausgebildete Anja Kruse mit Wagners Wesendonck-Liedern ins Strauß-Programm. Diese Lieder entstanden in Wagners Schweizer Exil, als er mit seiner Frau das Gartenhaus der Wesendoncks bewohnte. Die vertonten Gedichte stammten aus der Feder Mathilde Wesendoncks, die zu Wagner eine von diesem erwiderte platonische Liebesbeziehung entwickelte. Wagner hat überhaupt nur 12 Lieder geschrieben, darunter diese fünf des Wesendonck-Zyklus. Daß er hier Fremdwerke vertonte stellt eine absolute Einzelstellung dar. Sonst schrieb Wagner seine Texte ausnahmslos selbst.
An diesem Abend wurde nicht Wagners Fassung für Klavier und Frauenstimme, sondern die Orchesterbearbeitung des Werkes durch Felix Mottl aufgeführt. Zwei der fünf Lieder hat Wagner ausdrücklich als Studien zu Tristan und Isolde bezeichnet. Am deutlichsten wird das sicherlich bei Im Treibhaus, in dem „Hochgewölbte Blätterkronen“ ein Bild in der Gefangenschaft klagender Pflanzen bieten. Mehr noch „Weit in sehnendem Verlangen breitet ihr die Arme aus“ drückt bereits die Verlassenheit des Sterbenden Tristan im 3. Akt aus. Hinter der komprimierten und zugleich erschreckenden Fülle dieser Lieder steigt wie ein déjà vu die Unendlichkeit der Tristan-Musik auf. Schmerzen, das vierte Lied enthält als Leitmotiv die auch aus dem Tristan bekannte große Septime. Dagegen kontrastiert noch im ersten Lied Der Engel eine poetische Schwärmerei á la Lohengrin („in der Kindheit frühen Tagen“, „Ja, es stieg auch mir ein Engel nieder.“).
Anja Kruse meisterte diese Lieder einfühlsam. Eine erfahrene Isolde weiß eben, was Wagner-Musik braucht. Das gilt erst recht für den Wagner-Spezialisten Thielemann. Weitestgehend harmonierten Sängerin und Orchester, vor allem im ersten Lied. Allerdings gelang es Anja Kruse in den lauteren Orchesterpassagen mehrfach nicht, sich gegenüber dem gegenüber einer Tristan-Oper deutlich reduzierten Orchester durchzusetzen. Thielemann hätte ihr hier durch Zurücknahme des Orchesters helfen müssen. Denn ein wichtiges Postulat Wagners ist, es müsse immer und zu jeder Zeit der Text verständlich gesungen und beim Zuhörer empfangen werden. Es mag aber auch daran liegen, daß der Rezensent dieses Mal im 3. Rang saß und dort möglicherweise andere akustische Verhältnisse herrschten als auf anderen Plätzen.
Den Abschluss des Abends bildeten Richard Strauß´ Metamorphosen für 23 Solo-Streicher. Dieses Werk entstand 1945 unter dem Eindruck der im zweiten Weltkrieg zerstörten Heimat („Mein schönes Weimar-Dresden-München, alles dahin.“). Tatsächlich drückt dieses Werk Verwirrung und Trauer aus. Die Bezeichnung für Solo-Streicher bringt die immense Herausforderung des Werkes zum Ausdruck. Jeder Streicher hat eigene Solo-Partien zu meistern. Er spielt eben nicht symphonisch mit den anderen dieselbe Melodie. Bei der Pressekonferenz zur Vorstellung des Programms der neuen Spielzeit hatte Chefdirigent Thielemann darauf hingewiesen, welch anspruchsvolles Werk hier zu bewältigen sei. Aber er drückte auch seine Freude darüber aus, mit der Staatskapelle Dresden ein Orchester zur Verfügung zu haben, in dem die Musiker traditionell Strauß-Erfahrung hätten und auch dieses Werk für sie kein absolutes Neuland darstellte.
Er solle recht behalten. Dieses schwierige Werk gelang perfekt und transportierte die Gefühle, die der Komponist bei der Ansicht seines so geliebten und nun trostlos zerstörten Dresdens gewonnen haben muß, sehr eindrucksvoll zum Publikum. Aus dunkler Schwermut (Kontrabässe und Celli) erhebt sich im Zweiten Motiv eine Dur-Kantilene, emotional durch ein drittes Thema noch gesteigert. Doch abrupt stürzt die Stimmung wieder in die Düsternis des c-Moll-Beginns. Zwischendurch aufkeimende Hoffnungs-Reprisen fallen immer wieder in die ernste Stimmung zurück. Kurz vor Schluß hat Strauß noch ein Beethoven-Zitat aus dem Trauermarsch der Eroica eingefügt, in seiner Original-Partitur durch den handschriftlichen Vermerk „in memoriam“ kenntlich gemacht. Eben noch eine Metamorphose. Bei diesem anspruchsvollen Werk haben Thielemann und seine Staatskapelle eine Meisterleistung hingelegt, die den begeisterten Applaus vollauf rechtfertigte. Ein äußerst gelungener Auftakt zur neuen Spielzeit!
Ra.