Gelb schießt keine Tore
Auch gegen Kiel offenbarte Dynamo Dresden seine größte Schwäche
Es war fast die letzte Szene im Spiel gegen die Nordlichter aus Kiel: Morris Schröter bekommt nach einem geblockten Schuss von Brendon Borello den Ball genau in den Fuß, elf Meter vor dem Tor, freie Sicht. Er muss nur direkt abziehen. Er tut es nicht. Der Außenbahnler nimmt das Leder erst an, das rollt noch einen halben, dann erst kommt der Schuss. Diese Sekunde Verzögerung jedoch reicht, damit van den Bergh das offene Scheunentor schließt. Allein an dieser Szene (doch nicht nur daran) kann man die malade Offensivsituation der SGD festmachen. Schließlich wissen wir, dass es Schröter besser kann.
Die Spieler
Die Zahlen des Grauens zu wiederholen, erspare ich mir. Gehen wir mal zu den Basics, die ja die Meisterschaften bringen: die Defensive. Nimmt man mal das unsägliche Koggespiel als negativen Ausreißer heraus, hat Dynamo Dresden 2022 kein Spiel mit mehr als einem Tor Unterschied verloren und dabei nie mehr als zwei Tore gefressen. Vier Niederlagen wären also mit nur einem zusätzlich geschossenen Tor vermeidbar gewesen und aus fünf Remis hätte nur ein Tor gereicht, um drei Punkte herbeizuzuaubern. Dass die Mannschaft dazu eigentlich in der Lage ist, konnte man in der Hinrunde sehen: Bremen, KSC, Hannover, Rostock, Aue oder Paderborn im Pokal. Das ist die Aufgabe eines Aufsteigers: Zwischen die „üblichen“ Unentschieden und paar Niederlagen müssen immer wieder Siege her. Sieht man sich die Kader an, ist der unsere sicher nicht schlechter bestückt als der in Rostock. Aber die legen im richtigen Moment eine Vier-Spiele-vier-Siege-Serie hin und können sich nun im Saison-Halali auch mal Ausrutscher erlauben. Also steht die Frage: Warum schießt die Sportgemeinschaft in diesem Jahr nur 0,66 Tore pro Spiel? Antwort: Weil die Entwicklung auf dem Rasen stagniert. Und Stagnation bedeutet heutzutage: Rückschritt.
Dabei begleitet uns die Trefferproblematik schon durch die gesamte Saison, seit der Hurra-Saisonstart durch eine erste längere Flaute gedämpft wurde (die nur durch den zwischenzeitlichen Bremen-Sieg nicht so gruselig aussah). Und nicht zu vergessen: Schon in der Hinrunde profitierte Schwarzgelb maßgeblich vom Versagen der anderen Kellerkinder. Einem kurzen Auf folgte der Rückrundenstart mit dem blamablen 0:3 in Ingolstadt. Seitdem … die Zahlen des Grauens wollten wir ja nicht wiederholen.
Nehmen wir das Spiel in Sandhausen. Ich weiß, wie klugscheißerisch das klingt, aber schon nach dem Blick auf die Startelf wusste ich sofort, was für ein Spiel folgen würde. Nachdem tagelang darüber gesprochen wurde, wie kampfkräftig und mannesstark der „Dorfverein“ zu erwarten sei, sehen wir ein Mittelfeld mit Heinz Mörschel, Paul Will und Julius Kade, die es mit Kanten wie Diekmeier oder Dumic zu tun bekommen. Erwartet hätte ich eher Mai, Stark oder Giorbelidze (letzteren aber nicht für Löwe, sondern irgendwo zusätzlich). Erfahrene Spieler, denen man nicht die Butter vom Brot nimmt, weil sie nämlich das Backwerk ohne Belag und Schnickschnack vertilgen. Komischerweise kehren zumindest Stark und sogar Mai gegen Kiel in den Kreis der Beginner zurück, was zumindest hintenrum Stabilität bringt bei gerademal zwei dicken Chancen für die Gäste.
Nun, die Idee Sebastian Mai als zweiten Zielspieler neben Christoph Daferner aufzubieten, ist an sich eine gute. Und das könnte auch funktionieren, denn einige lange Bälle landen direkt auf dem Schädel des Blondschopfes. Nur folgt daraus keine Gefahr, weil die Laufwege nach den Ablagen in keiner Weise stimmen. Dabei könnte man diese schon antizipieren, wenn der Ball noch in der Luft ist. Aber weitaus enervierender sind die Aktionen auf den letzten Metern. Die Situationen von hinten heraus sind durchaus da, mehrere ansehnliche Konter laufen auch gegen die Störche, doch naht die Sechzehner-Linie, krankt es an Ungemach. Flanken ohne Ziel, Pässe ohne Abnehmer und Peinlichkeiten zwischen „Laufweg nicht kapiert“ und „Ball zu weit vorgelegt“. Die Standards? Zuletzt ein Quell der wenigen Tore, verpuffen sie gegen Kiel allesamt.
Dabei sitzt einer überwiegend auf der Bank, der es eigentlich kann: Patrick Weihrauch. In der Nachspielzeit spielt er den besten Pass des ganzen Spiels, durchgesteckt zum genau richtig zur Grundlinie laufenden Guram Giorbelidze. Dessen Flanke bringt zwar auch nichts ein, aber der Spielzug zeigt, wie man Überraschungsmomente erzeugen kann. Oder denken wir an seine zwei perfekten Schnittstellenpässe im Testspiel gegen Aue auf Drchal – beide führten zu Toren. Und genau diese Qualität, die Stümer mit überraschenden Zuspielen zu "füttern", fehlt momentan aus allen Mannschaftsteilen. Konnte ein Marco Hartmann noch 50-Meter-Bälle in den Fuß der Außenspieler schicken, sind lange Pässe momentan nur noch Hop-oder-Top-Spielzüge.
Dass es vorn in den Abläufen ganz und überhaupt nicht stimmt, zeigte noch eine andere Szene aus dem Holstein-Spiel: In der 76. Minute spielt van den Bergh einen Alptraum-Rückpass auf Daferner, der sofort startet und am Strafraum beidseitig Möglichkeiten hat. Doch ist es Kraftverschleiß oder das Nervenkostüm – der Pass schafft es nicht einmal die fünf Meter zum Nebenspieler, sondern landet in den Füßen des Gegners.
Aber was haben all diese Defizite gemeinsam? Sie sind trainierbar, besser gesagt, abtrainierbar. Denn es gibt Probleme, mit denen man leben muss, weil man sie nicht ändern kann, und solche, die man beheben muss.
Der Trainer
Nimmt man die Zahlen, hat sich der Wechsel des Trainers nicht ausgewirkt, das Abrutschen im Tabellenfeld wurde nicht aufgehalten. Da ich die Trainingsarbeit kaum sehe, soll diese auch unbewertet bleiben. Aber die gewünschten Tor-Ergebnisse bringt sie eben an den Spieltagen nicht. Dass die Aussagen Guerino Caprettis vor und nach den Partien denen von Alexander Schmidt mehr und mehr gleichen, bringt die Lage mit sich. Wobei ich es gut fände, wenn man mal nichts oder nur ganz wenig sagen würde.
Dass Schmidt gehen musste, fand ich nachvollziehbar, da es unter ihm eine zweite dicke Flaute gab. So war es nachvollziehbar, dass man als Nachfolger einen zweitligaerfahrenen Coach wie damals Uwe Neuhaus erwartete, der das Ruder herumreißen soll. Diesen Weg ging die sportliche Leitung des Vereins nicht, sondern verpflichtete erneut einen Mann für die Zukunft. Aber es scheint so, dass ohne eine gewisse Routine in der Spielklasse für Neulinge die Luft deutlich dicker ist. Denken wir nur das tragische Scheitern von Cristian Fiel, das noch heute in der Seele schmerzt. Und der hatte sogar die SGD-DNA intus. Capretti hat nun vier End- plus zwei Relegationsspiele, die darüber entscheiden, wie es in der kommenden Saison weitergeht. Dass es grundlegender sportlicher Veränderungen bedarf, steht schon jetzt außer Frage.
Die Aussichten
Bleibt es bei dem Dilemma, und Dresden holt aus den restlichen vier Spielen nur vier Punkte, stünde man am Ende mit 33 Zählern da. Da das letzte Spiel gegen Aue dann auch Remis enden würde, hätte der Schacht nur 32 Punkte, selbst wenn er die anderen drei Spiele gegen Rostock, Darmstadt und Bremen gewinnen würde. Ingolstadt käme bei vier Siegen auf 31 Punkte. Ergo: Da das Torverhältnis der SGD deutlich besser ist als das der Uran- und Audistädter, muss man noch drei Punkte holen (ein Sieg vielleicht), um auch rechnerisch nicht mehr direkt abzusteigen. Dieses Minimalziel klingt machbar, eine Aufholjagd nach „oben“, also Sandhausen, Hannover oder gar Düsseldorf noch abzufangen, eher nicht. Dann müsste man mindestens noch drei Begegnungen gewinnen, was angesichts der Torunausbeute der letzten Monate einem Wunder gleichkäme. Zwar gibt es ein Lied, das uns weißmachen will, dass es Wunder immer wieder gibt, aber der Glaube daran, dass die Schwarzgelben Düsseldorf, Regensburg, den KSC oder Aue mal eben wegmachen, fehlt mir momentan.
Wenn es in der Misere etwas Gutes gibt, dann den Fakt, dass Dynamo Dresden aus der eigenen Lage heraus keinen Relegationsgegner unterschätzen wird – egal, ob es nun der FCK oder Braunschweig wird. Sollte Osnabrück seine beiden Nachholspiele gewinnen, könnte sogar ein erneuter Tanz mit Lila anstehen. Und mal etwas ironisch gesehen: Hey, es gibt zwei Spiele mehr mit der Lieblingsmannschaft!
Die Fans
Was ich mir wünsche: Voll Konzentration auf den Support der Mannschaft. Alle Nebengeräusche mal wegschieben: Polizei, DFB, Pyro, Ronny, Schiri, Gegner, Ossis, Wessis … Dafür: maximal möglichste Rückenstärkung des eigenen Teams. Und nie darf man vergessen bei all dem Frust: Es sind Menschen dort auf dem Grün. Die Beleidigungsorgien, die live und im Netz momentan im ganzen Land angesagt sind, können so nicht weitergehen. Dazu kommt der wiederentdeckte Hang, Gegenstände zu werfen oder (wie gegen Schalke) Pyro in das Stadiondach zu schießen.
Etwas Besinnung sollte einkehren, das Fokussieren auf das wirklich Wichtige und die Erinnerung daran, dass auch im K keiner größer ist als der Verein. Denn in seinen guten Momenten ist SGD-Anhang nichts weniger als Fan-Weltmeister.
Uwe Stuhrberg