Freundlich aufgefasstes Neue
Der umgebaute Kulturpalast wird sich neue alte Popularität erarbeiten müssen
»Ältestes bewahrt mit Treue, freundlich aufgefasstes Neue«, lauten zwei vielzitierte Goethe-Zeilen. Nun gehört zwar der Kulturpalast, Baujahr 1969, nicht zum Ältesten, was Dresden aufzuweisen hat, aber nach der Eröffnung der Theater im Kraftwerk Mitte wird zum zweiten Mal binnen weniger Monate an einem Kulturbau historische Bausubstanz mit zeitgenössischer Architektur verknüpft. So historisch mag man ein Gebäude, das nach nur 44 Jahren einen Generalumbau erfuhr, wiederum nicht nennen. Ob das Ergebnis einen harmonischen, womöglich stilistisch sogar homogenen Eindruck hinterlassen oder ob wie beim Kraftwerk erfrischend mit dem Reiz der Kontraste gespielt werden wird, ist eine der spannenden Fragen zur Eröffnung am 28. April.
Um diesen Plantermin zu halten, wurde jede Summe nachgeschossen, die die Kommunale Immobiliengesellschaft KID für den Endspurt benötigt. So wird der Umbau statt der vorgesehenen knapp 90 Millionen Euro etwas mehr als hundert Millionen kosten. Keine dramatische Überschreitung, aber sogar die Grünen als Befürworter des Umbaus haben angekündigt, genau nach dem Einsatz dieser Mittel zu fragen. Die viel wichtigere Frage wird nach diesem 28. April gestellt, und sie wird die gleiche sein wie vor fünf Jahren: Hat sich der Aufwand gelohnt, waren die Liquidierung des ursprünglichen Mehrzwecksaales und der massive Eingriff in die Substanz richtig, die sich der inzwischen verstorbene Architekt Wolfgang Hänsch noch urheberrechtlich schützen lassen wollte?
Zur Erinnerung: Am Kulturpalast musste nicht nur wegen verschärfter Schutzvorschriften der Bundesrepublik etwas geschehen. Notschließzeiten des Hauses wiesen auf den alarmierenden Verschleiß hin. Nur wenige Ignoranten wollten es als vermeintliches kommunistisches Überbleibsel am liebsten aus dem Stadtbild entfernen. Eine Mehrheit der Dresdner hing am »Kulti«, und es hätte nicht einmal des 2008 verfügten Denkmalschutzes bedurft, ihn zu erhalten. Verglichen mit dem Primitivismus dessen, was nach 1990 in die Brachen der Stadt geknallt wurde, strahlt der Palast sogar Noblesse und Charme aus. Er stammt ja auch nicht mehr aus der stalinistischen Zuckerbäcker-Ära, als die neuen Paläste zwar dem Volk gehören sollten, aber in ihrem Monumentalismus und mit ihren vertikalen Dominanten wieder nur Herrschaft symbolisierten. Statt eines geplanten 124-Meter-Turmes duckt sich der Dresdner Palast geradezu demütig vor dem nahen Schloss.
Ein gemeinsames neues Konzerthaus für Staatskapelle und Philharmonie, Sanierung des Kulturpalastes im Bestand einschließlich akustischer Ertüchtigung des großen Saales oder eben die Entkernung und Einbau eines neuen Konzertsaales lauteten die Lösungsvarianten. Die Bestätigung der 2012 getroffenen Entscheidungen wird wesentlich vom Erfolg des neuen Konzertsaales abhängen. Optisch auf jeden Fall faszinierend mit dem Blickfang der erst am 8. September einzuweihenden Orgel, aber die ersten subjektiven Akustiktests wird die Philharmonie erst kurz vor Ostern vornehmen können. Wird der Saal die hoch gesteckten Erwartungen erfüllen können? Ein bisschen soll er ja sogar ein Mehrzwecksaal bleiben, auch wenn das einzigartige Kippparkett mit »Rollstühlen« für riesige Tanzveranstaltungen nur noch ferne Erinnerung ist. Aber allein der Gedanke an eine Roland-Kaiser-Show vor dieser Kulisse hat schon etwas Groteskes.
»Heitern Sinn und reine Zwecke: Nun! Man kommt wohl eine Strecke«, hat Goethe im gleichen Gedicht dazu einen Kommentar parat. Für den heiteren Sinn sind 70 Tage im Jahr reserviert, ansonsten dominiert die Philharmonie mit ihren reinen Zwecken. Wird der »Kulti« so seine Popularität erhalten? Noch sieht man nirgendwo eine Werbung für das neue alte Schmuckstück der Stadt. Das liegt möglicherweise daran, dass die Philharmonie als alleiniger Betreiber auftritt, die ehemalige Konzert- und Kongressgesellschaft KKG ist zerschlagen worden.
Nicht lösen wird auch der neue »Kulti« den Mangel an einem mittleren Konzertsaal vor allem für Laienorchester- oder Chöre oder auch Bands in Dresden, der seit der Zerstörung des Kongresssales im Hygiene-Museum evident ist. Und auch in einem noch so gelungenen Kulti-Konzertsaal wird die eitle Staatskapelle nicht spielen, wie das zuständige Kunstministerium 2015 mitteilte. Dresden bleibt eben eine gespaltene Stadt. Herkuleskeule und Stadtbibliothek dürften sich hingegen über die zentrale Platzierung freuen.
Michel Bartsch