Forever Young!
Neil Young war mit Promise Of The Real am 2. Juli bei den Filmnächten
Steht ein Typ auf der Bühne, 73 Lenze auf dem Buckel, er heißt Young. Davor ein Publikum, das man getrost als happy White Walker bezeichnen darf – zumindest in der großen Mehrzahl. Und wenn der für seine Granteligkeit bekannte Opa vor den Massen Neil Young ist, dann kommt eben eben das nur denkbar fröhlichste The-Walking-Dead-Meeting zustande. Rock’n’Roll will never die!
Pünktlich um 19.30 Uhr starten Bear’s Den ihren 30-minütigen Support-Job. Die sehr harmonischen, oft mehrstimmigen Songs der Londoner sind sicher eher etwas für die Liebhaber der frühen Mumfords, werden aber hier freundlich, wenn auch nicht frenetisch zur Kenntnis genommen.
Nach einer knappen Dreiviertelstunde Wartezeit- und Umbauzeit kommen dann Neil Young und seine Kids auf die Filmnächte-Bühne. Das soll nicht despektierlich klingen, aber immerhin sind Lukas Nelson und seine Mitstreiter von Promise Of The Real im Schnitt über 40 Jahre jünger als der Chef der Tour. Mit ihren eigenen Stücken, von denen an diesem Abend keines zu hören sein wird, wandelt der Sohn von Willie Nelson eher auf den Pfaden von Tom Petty & Co., hier und heute ordnet sich die Fünf-Mann-Combo aber komplett ins Neil-Young-Universum ein. Immerhin hat man gemeinsam bereits zwei Alben produziert und war ausgiebig auf Tour durch die Welt.
Was der Unterschied zu einem Konzert mit Crazy Horse ist, zeigt sich sofort beim ersten Song: „Mansion on the Hill“. Die Zeile „Psychedelic music fills the air“ erfährt umgehend Wahrheitsgehalt, wobei ein fein ausgefuchster Mix aus Neil Youngs Les Paul, Lukas Nelsons Stratocaster und Logan Metz’ Telecaster zu hören ist. Auch der Satzgesang passt zum „ highway to the sun“ bestens. Und wer befürchtete, Neil Youngs Stimme wäre inzwischen brüchig geworden, konnte beruhigt aufatmen – wenn auch die Höhen inzwischen manchmal die Tiefen der Eben sind. Aber im Flanellhemd und „Earth“-Shirt, den Hut auf dem Kopfe ist er noch immer ganz der, nun ja, Alte.
Dann das wundervolle „Powderfinger“. Die tragische Geschichte eines jungen Mannes, der im Kampf gegen ein Kanonenboot stirbt, ist ein Klassiker von „Rust Never Sleeps“. Fast wäre der Song 1977 von Lynyrd Skynyrd aufgenommen worden, doch der Tod von Ronnie Van Zant machte diese Idee zunichte. Also brachte Neil Young das Stück zwei Jahre später selbst heraus – welch ein Glück im Unglück. In den Dresdner Sommerabend rollt es nun gewaltig: „Shelter me from the powder and the finger/Cover me with the thought that pulled the trigger“. Ein erstes „Treffen“ der Band vor Drumset und Percussion, das Solo spielt Young noch immer auf dem vorgestreckten rechten Oberschenkel. Der omnipräsente Gitarrenlauf löst erste Gänsehautmomente aus, the more those feelings grow.
Bei „Love To Burn“ gibt es einen ersten ausgedehnten Abflug ins Gniedelland. Wie der Eröffnungssong stammt es vom 1990er-Album „Ragged Glory“. Im Original genau 10 Minuten lang, hat es in Dresden knapp acht Zeigerumdrehungen mehr. Nichts davon ist manirierte Ausdehnung, alles ist in sich stimmig. Die vier Rücken in der Front schaukeln sich gegenseitig zu und innerlich hoch. Why'd you ruin my life? – Taktaktak – Where you takin' my kid? – Taktaktak! Wen interessiert es, dass hier zum Ende hin die Strophen durcheinandertexten. Das ist Rockmusik!
Bei „Alabama“ folgt der Griff zur Gretsch und es wird folglich etwas ruhiger, noch melancholischer. „Oh, Alabama/Banjos playing through the broken glass/Windows, down in Alabama/See the old folks/Tied in white robes/Hear the banjo/Don't it take you down home?“ Immer wieder hat sich Neil Young mit den Südstaaten musikalisch angelegt – eine Art Hassliebe, die auch zur bekannten Auseinandersetzung mit Lynryd Skynyrd führte, die allerdings von den Medien epochaler dargestellt wurde, als sie in Wirklichkeit war. Direkt im Anschluss ein weiteres Stück von „Harvest“, dem Megaseller-Album von 1972: „Words (Between The Line of Ages)“. Hier bekommt Young leicht den Blues, um dann etwas stakkatohaft in die Strophe zu kippen. Und auch hier: ausladend schwebende Soli.
Das vielleicht kürzeste Lied des Abend ist „Bad Fog of Loneliness“. 1971 live aufgenommen, gab es bis 2007 keine Studioversion davon. Vielleicht hatte es kein gutes Karma, denn Young wollte es erstmals bei einer Johnny-Cash-Show spielen, was dann jedoch nicht stattfand. Im Neil-Young-Kosmos ragt es auch nicht gerade heraus, es wirkt eher wie ein passender Übergang zum akustischen Teil. Der beginnt solo mit „The Needle and the Damage Done“. Das benötigt keiner Worte. Es ist wie es ist.
Als die Harp zu „Comes A Time“ ertönt, sind auch Promise Of The Real zurück für eine Runde Country Music. Mit dem gleichnamigen Album läutete Young 1978 seine Back-to-Folk-Ära ein, in die auch das nun folgende „Human Highway’ fällt. „Take my head and change my mind“ stand damals offensichtlich auf der Tagesordnung. Mit „Lotta Love“ schließt sich die Song-Trilogie aus „Comes A Time“ zu einem – man kann ihn fast gemütlichen nennen – Kreis. Aber die Gefahr, dass es allzu geruhsam wird, geht Neil Young nicht ein. Es kommt: „Walk On“. Leicht swingender Rock, der, dem Titel gemäß, nach vorn marschiert. Bei „Winterlong“, diesem traurig-romantischen Liebeslied, kommt die Band einmal mehr mit einem herrlichen Satzgesang zum Zuge. Inzwischen gibt die anwachsende Dunkelheit auch den Leinwänden rechts und links der Bühen eine Chance – kein LED, sondern schlichte Projektion. Auch hier ist alles oldschool.
Mit „Fuckin’ Up“ geht es zurück zu „Ragged Glory“ und jetzt wird es auch wütend. Zur Zornes-Hymne gegen all die mindless people da draußen gibt es brachiale Gitarrenarbeit und „Fuck off“-Rufe. Bei dem Text schwirren einem da ganz regionale Bilder durch den Schädel. Gib mir Deine Wut, ich habe sie auch! Was wäre hiernach besser als „Cortez the Killer“? Genau: nichts. Also! Es ist wie immer einer jener Songs, der mehr durch Sound und Habitus spricht, denn durch den Text. Alles endet mit „dancing across the water“. Das Publikum tanzt mit.
Kurz und knackig kommt „Cinnamon Girl“ um die Ecke. Dieses Girl einen Evergreen zu nennen ist nicht unerhört, ist es doch genau 50 Jahre alt und klingt heute frischer denn je. Der Gitarrenwechsel im Anschluss dauert etwas zu lange, was Neil Young – fast aus einer Ratlosigkeit im Moment heraus – dazu bringt, einige der wenigen Worte des Abends an die Menge zu richten. Als er sieht, dass auf der Brücke auch Zuhörende stehen, ruft er ihnen zu, doch gemeinsam zu hüpfen, das wäre doch eine schöne „engeneering experience“. Aber alles nur Spaß, so viele stehen nun auch nicht dort oben. Aber gesprungen wird jetzt defintiv.
Mit „Rockin’ in the Free World“ kommt richtig Schwung in die Bude, die Band fliegt regelrecht auf der Bühne, davor fliegen Mähnen, die längst gone with the wind sind. Ein Treppenwitz, dass Donald Trump den Anti-Bush-Song von 1989 in seinem Wahlkampf nutzen wollte, Young verbat sich das. Im Kopf schwirrt mir der Text der Gundermann-Version „Alle oder keiner“ herum.
Aber was ist das? Kurze Verwirrung. Hatten wir das nicht schon? Bin ich konzertdement? Sicherheitshalber in die Notizen geschaut. Ja, „Powderfinger“ zum zweiten Mal. Fehler in der Setliste? Erste Version vom Meister als für nicht gut genug gefunden? Aus einer Laune heraus? Egal, das kann man auch dreimal spielen. Danach bringt „Roll Another Number (for the Road)“ alle noch mal auf den Boden der Tatsachen, bevor es zum Finale kommt. Und das ist das wütende, spuckende, harsche „Piece of Crap“. Fast schon Punk. Ein Angesang gegen all die Verschwendung und Vermüllung auf dem Planeten, hoffen wir mal, es hallt bei vielen im Publikum nach.
Eine Zugabe, „Like A Hurricane“, natürlich. Von der Decke wird eine Orgel im „Trauriger Vogel/Engel“-Format heruntergelassen, vor die Füße von Logan Metz. Zehn Minuten wird gewalzt, noch einmal geschuftet. Young lässt Stimme und Saiten jaulen, Metz schaukelt seine geflügelten Tasten bis kurz vors Abheben und drückt stoisch Akkorde. Alle Sinne vibrieren. Aber die Zeiten, in denen das Stück in ein weit über 20 Minuten langes Rock-Massaker mündete, sind vorbei, ebenso, dass Young dabei alle seine Saiten vom Brett spielte. Muss er auch nicht mehr. Schließlich knapp fünf Minuten Outro, Noise, Geklingel, Runterkommen. This is the end, my friend.
Kein „Heart of Gold“. Nichts Aktuelles. Und kein „Hey Hey“, kein „My My“. Gut so. Der Song ist für mich mit der Kugel in Kurt Cobains Kopf sowieso ins Nirvana gegangen. Danke, Neil. Foerver Young!
Uwe Stuhrberg
Neil Young & Promise Of The Real 2. Juli 2019, Filmnächte am Elbufer