Firestarter nach Fehlzündung

Dynamo Dresden zieht Energie Cottbus den Stecker

Whatta night!!! Dieses Spiel, das mit überbordender Vorfreude von allen Seiten behaftet war, enttäuschte am Ende nicht, denn es bot all das Drama, das der Fußball so oft vermissen lässt: tolle Tore, ein harter, aber nie überharter Fight, ohrenbetäubender Support samt Choreos und ein gutes Ende für die richtige Mannschaft. Aber: Please, don’t call it a derby! Weder ein Spiel gegen Cottbus, Rostock oder (wann auch immer wieder) Mageburg oder Jena ist ein solches. Es gibt nur ein Derby – gegen den Schacht. Alles andere sind von mir aus Oberliga-Klassiker, Ostzonen-Duelle oder DDR-Knüller. Schon früher lagen Cottbus und Dresden in verschiedenen Bezirken, seit 1990 in unterschiedlichen Bundesländern. No Derby. Und noch etwas: Es heißt: Dynaaamo. Die Betonung liegt auf dem A und nicht auf dem Y. Sonst gern auch einfach ’namo.

Zum Geschehen: Zunächst prangt auf dem vormals grauen Beton der O-Seite ein neuer Spruch: „Wie sind dir für immer treu ergeben, Dresden unsere Stadt – Dynamo unser Leben“, ergänz durch das K-Block-Banner „Niemand ist größer als der Verein“. Schon das Füllen des Stadions lässt die die Luft vibrieren, schon vor dem Anpfiff kann man spüren, dass ein besonderer Abend vor uns liegt, das kann keine 0815-Partie werden. Dass Thomas Stamm Stefan Kutschke in die Startelf rotiert, passt da in die Pre-Game-Gefühlswelt genau hinein. Allerdings hätte ich nach dem Köln-Spiel eher Robin Meißner auf der Bank erwartet, doch es trifft Christoph Daferner. Ansonsten beginnen die Sieger des Auftakts, die Namen der Cottbusser sagen wohl eher Unterligen-Connoisseuren etwas, Ex-Dynamo Jan Shcherbakovski hat es nicht in die Energie-Startelf geschafft, deren Headcoach gesperrt auf der Tribüne sitzen muss.

Doch bevor es losgeht, hebt sich eine riesige Blockfahne nach oben, die auf beiden Seiten noch über den K-Block hinausreicht. Garniert mit etwas Rauch, wird die Athmo in der Schüssel noch einmal angefeuert, während auch die Gäste einen genau passenden Blockwimpel ausrollen, nicht ohne etwas rotes Leuchtfeuer. Wie sagt man so schön: Es ist angerichtet!

Die erste Halbzeit: Raserei nach Stolperstart

Von Beginn an geht es hier zur Sache: Mann gegen Mann, auch mal in den Mann. Was aber für die gesamte Spielzeit gilt: Es entwickelt sich nicht das befürchtete Hassduell, am Ende stehen fünf gelbe Karten, davon drei erst in der Schlussviertelstunde. Nach 120 Sekunden raunt es das erstemal, als Meißner nach Heisepass nur den Torwart trifft. Aber dann kommt Cottbus mit einem schnörkellosem und druckvollem Konterspiel. Zweimal zieht Gefahr auf am Strafraum der SGD, dann schlägt es ein. Gerademal acht Minuten sind gespielt, da kommt der Ball von rechts vor das Tor und Tony Menzel macht, was man eben nicht machen sollte: direkt mittig vor den Sechzehner köpfen. Dort kommt Halbauer an den Ball, wackelt Heise, der schon zuvor im Rückwärtsgang schlecht aussah, geschickt aus und zirkelt das Ding ins Netz. Nulleins. Jubel leicht provokant vor der Kurve. Egal, denn noch viel Zeit, wird schon.

Doch Dynamo ist das Tor in die Glieder gefahren. Nach vorn funktioniert einfach nichts, und das Problem der letzten Bälle ploppt aus der letzten Saison wieder komplett auf. Aber erstmal alles beruhigen, hinten sicher stehen. Sicher? Ein weiter Ball kommt in die SGD-Hälfte, Tim Schreiber kommt weit aus dem Strafraum, drischt das Leder aber nicht in die Spitze, sondern flach an den Mittelkreis, wo kein Gelbhemd zu sehen ist, sondern nur Cigerci, der Weiß trägt. Ein paar Schritte und der Cottbusser hebt mit Links das Runde aus gefühlt 148 Metern ins Eckige. Schreiber ist zu weit weg, keine Chance. Zweinull nach einem Dutzend Minuten. Gesichter vergraben sich in Händen, Hände schlagen sich an die Stirn, in der Magengrube bollert es wie verbrannter Kesselgulasch. Geht es denn am zweiten Spieltag schon wieder los? Wir wollten doch … zu Hause … Festung …

Für Dynamo fühlt sich das schon wie ein Nackenschlag an, das Spiel der Sportgemeinschaft wird nun richtig schlecht. Fehlabspiele, Bälle ins Aus, Laufwegverirrungen, zwei Schritte rückwärts, einen nach vorn. Die Angst vor dem dritten Gegentor scheint größer als der unbedingt Drang, den Anschluss zu schießen. Die Lausizer hingegen versuchen es immer wieder wie ein Überfallkommando. Nach etwa 20 Minuten hat die Trainerabteilung genug gesehen und stellt um: Hätte hätte Dreierkette ist durch, jetzt werden die Gäste taktisch gespiegelt. Und hastenichgesehn stehen die auf einmal wie das sprichtwörtliche Schwein vorm Uhrwerk. Die SGD wiederrum gewinnt Sicherheit, erst hinten, dann auch vorn.

Oliver Batista Meiers Torwartprüfung in der 22. Minute ist ein erster Weckruf, fünf Minuten später beginnt die Magie des Abends. Bei einer eher harmlosen Ecke wird Claudio Kammerknecht an der Obertrikotage zu Boden gerissen, vom Ballverlauf her zudem vollkommen unsinnig. Der Referee steht gut und zeigt sofort auf den Punkt. Es gibt keine Proteste, während der Kapitän zum Punkt schreitet und sicher vollendet. Kutschke hat die Ruhe weg, und weil er den Goalie ausguckt, kann er sicher einschieben und muss nicht riskant knapp an den Innenpfosten zirkeln. Einszwei.

Hat das Publikum auch vorher die Mannschaft nicht im Stich gelassen, so glaubt man sich jetzt in einem Tollhaus. Der Dezibelzeiger geht auf 25 Düsenjets. Die Gäste probieren noch mal was, aber jetzt ist Schreiber stabil. Alle anderen Schwarzgelben werden immer sicherer. Nur vier Minuten nach dem Elfer holt Jaob Lemmer einen Pass aus dem Schuh, der so gut ist, dass man befürchten muss, dass ihm so einer nie wieder gelingen wird. Mit der Innenseite hebt er das Leder milimetergenau in den Lauf von Tony Menzel, der genau im richtigen Moment seinem Gegenspieler enteilt. Der Youngster zieht am Torwart vorbei, guckt kurz und schiebt mit aller Abgezocktheit den Ball so über die Torlinie, dass der Torwart nicht rankommt und der Verteidiger vorbeiläuft. Das ist ganz großes Sturmkino! Magic Menzel! Zweizwei! Das Stadion rast.

Interesanterweise behält Schwarzgelb bei allem Jubel aber klaren Kopf, stürmt nicht kopflos zum Führungtrefferversuch. Thomas Stamm will das umgestellte System, den Plan B, stabilisiert sehen. Und das geht mehr und mehr auf, auch wenn etwa Lemmer mehr Zeit in der Defensive zu tun hat. Es ist nun das, was man eine kontrollierte Offensive nennen kann, vor allem Meier, Heise, Hauptmann, Lemmer und Meißner drücken. Und dann direkt vor dem Pausenpfiff fast die Führung: Aljaz Casar köpft eine Ecke klar am Cottbusser Torwart vorbei, dann bekommt doch noch einer den Fuß vor der Linie dran und lenkt den Ball an die Lattenunterkante, von wo dieser nach außen springt. Durchschnaufen.

Die zweite Halbzeit: Endlich standesgemäß

Mit dem Beginn der zweiten Hälfte übernimmt die SGD das Spiel vollends, während die Lausitzer mehr und mehr ins Schwimmen kommen – das Arnholdbad nebenan wäre zu empfehlen. Batista Meier hat noch zwei Chips im Fuß, die aber nur Gefahr andeuten. Dann muss er in der 55. Vinko Sapina weichen, der nach überstandener Verletzung seine ersten Minuten bekommt.

Dynamo erhöht den Druck nun sukzessive Pascal um Pascal (Newton pro Quadratmeter, you know). Meißner mit Schmackes von rechts, aber alle verpassen, Casar aus elf Metern, aber geblockt. Christoph Daferner kommt für Kutschke, Sapina zieht aus 20 Metern ab, aber vorbei und nicht gut. Aber: Die neue Dresdner 5 übernimmt im Mittelfeld die Regie und deutet an, was für ein Gewinn er sein kann und welche Übersicht er hat, nicht nur wegen seiner 194 Zentimeter Körpergröße.

Der Energie geht die Energie nun langsam aber sicher aus. Einziges Ziel: Irgendwie den Punkt über die Zeit retten. Aber wenn man sieht, wie knapp Daferner einen fast gedroschenen Strafraumpass von Sapina verfehlt, erahnt man, dass es nicht mehr lange dauert, bis das dritte Dynamo-Tor fallen wird. In der 71. Minute haben dann 27.000 Fans den Torschrei schon auf den Lippen, als Daferner wunderbar von Hauptmann freigespielt wird, aber allein vor dem Torwart scheitert. Es wäre aber wohl auch Abseits gewesen.

Bereits 76 Minuten sind gespielt, da senden die Gäste ein letztes Lebenszeichen, den Konter können sie jedoch nicht auf das Tor abschließen, obwohl Kammerknecht das Laufduell an sich verliert, aber es winkeltechnisch zu spitz macht. Sofort danach werden Tatsachen geschaffen: Der inwzischen wie besessen aufspielende Philip Heise schickt einen Gruß aus der Distanz, den der Keeper nur mit Mühe über den Balken biegen kann. Die nachfolgende Ecke versetzt den FCE in den Panikmodus: Als Heise den Rebound vor das Tor bringt und ein Verteidiger den Ball (schon wieder) an die Latte donnert, bietet Meißner dem zurückspingenden Leder die Stirn und nischelt aus dem Gewühl sicher ein: Dreieins. Das Stadion explodiert, alles steht und schreit und jeder liegt bei jemandem in den Armen. Könnte man Glücksgefühle eintüten, würde das hier für viele Leben reichen.

Der Rest ist Schaulaufen und Wechselei, längst ist auch Shcherbakovski auf dem Platz, der aber nur eine gelbe Karte „gewinnt“. Bei Dresden sind nun auch Jonas Oehmichen und Lars Bünning auf dem Platz für Hauptmann und Menzel. Die Dynamischen wollen nun nichts mehr riskieren, schlagen die Bälle einfach raus, nach vorn wird nichts mehr unternommen. Aber einen hat man dann eben doch noch, und die zuletzt Eingewechselten legen auf. Die Nachspielzeit von vier Minuten ist angesagt, da schickt Bünning an der Außenlinie Oehmichen in die Tiefe. Und was macht der kleine Wuselkopf? Er rennt sich nicht fest oder sichert den Ball an der Eckfahne. Nein, er legt das Ding mit der Hacke an der linken Strafraumkante für den heransprintenden Heise auf, der noch wenige Schritte geht und aus sechs Metern mit Links vollendet. Vierzwei. Ein Tollhaus die Hütte! Ein Tor, das mit voller Überzeugung vom eigenen Können erzielt wurde, und so cool aufgelegt, dass es eine Freude ist, dies anzusehen. Dann ist Schluss. Am Ende standesgemäß, wenn man die ersten 20 MInuten streicht.

Was noch zu sagen wäre

Auf der anschließenden Pressekonferenz zeigt sich Claus-Dieter Wollitz als fairer Verlierer, sehr aufgeräumt und weit weg von allem, wofür man ihn sonst gern hält. Die Niederlage sei verdient, meint er, auch, dass es seiner Mannschaft noch an allem fehlt. Thomas Stamm wiederum bat für die ersten 20 Minuten fast um Entschuldigung, reflektierte auch klar, dass er seinen Plan A verwerfen musste, um die spielerische Ordnung auf dem Platz herzustellen. Und wenn ein Trainer sich noch während des Spiel so korrigieren kann, dann ist das gut für Zukünftiges.

Ist eigentlich überflüssig zu erwähnen, wie schmalhirnig es ist, in einem vollen Block Dinge zu verbrennen? Ich kann es wirklich nicht fassen, welche Verantwortungslosigkeit bei einigen vorherrscht. Wahnsinn!

Nun also Pokal und Düsseldorf. Mit Wucht auf dem Rasen und von den Rängen ist da natürlich alles möglich. Wer erinnert sich nicht an die magische Nacht gegen Schalke, das Elfmeterschießen gegen Rotrind oder die Verlängerung gegen Leverkusen. Wäre doch schön, wenn danach alle singen: Oops, we did it again …
Uwe Stuhrberg

SG Dynamo Dresden vs. FC Energie Cottbus 4:2
9. August 2024, Anstoß 19 Uhr
Tore: 0:1 Halbauer (8.), 0:2 Cigerci (12.), 1:3 Kutschke (27. Elfmeter), 2:2 Menzel (31.), 3:2 Meißner (78.), 4:2 Heise (90.+1)
Dynamo Dresden: Schreiber, Kammerknecht, Boeder, Heise, Lemmer, Casar, Batista Meier (56. Šapina), Hauptmann (82. Oehmichen), Menzel (82. Bünning), Meißner, Kutschke (60. Daferner)
Ohne Einsatz: Mesenhöler, Duah, Kubatta, Lehmann, Bohdanov
Schiedsrichter: Felix Prigan
Fans: 30.000
www.dynamo-dresden.de