Einmal ohne alles

In Mannheim erreicht Dynamo Dresden den bisherigen Saisontiefpunkt

Was!? War!? Denn!? Das!? Noch vierundzwanzig Stunden nach dem Auswärtsspiel der Sportgemeinschaft bei Waldhof Mannheim dröhnt es im Kopf und grummelt es im Magen. Und so sieht sich der Autor auch nicht in der Lage, hier einen launigen Spielbericht abzuliefern. Das hat nichts damit zu tun, dass die Partie verloren ging – das gehört zum Sport nunmal dazu. Es ist die Art und Weise, die mangelhafte Note in Kunst und Haltung, die einen hindert, einfach zur Tagesordnung überzugehen. Die Verärgerung ist so groß, dass es mir bis jetzt nicht möglich war, im Nachhinein noch einmal Bewegtbilder vom Spiel anzusehen.

Eigentlich hätte man gedacht, dass Schwarzgelb sich zerreißen wird, um dem kranken Couch etwas Aufmunterung zu bescheren. Irgendwie hätte das doch eine zusätzliche Motivation sein müssen. Und eine Minute lang hatte man den Eindruck, dass es so kommt. Leider waren es die ersten 60 Sekunden des Spiels (und nicht die letzten). Die ganze erste Halbzeit war ein offensives Desaster. Die zuletzt hochgelobte Offensive turnte durch das Nimmerland ohne den Hauch einer Chance, ungefüttert von hinten raus und immer wieder mit mühseligen Defensivaufgaben beschäftigt. Wenn man im Dunkel ein Lichtlein suchen möchte, dann war es die Hintermannschaft, die im Großen und Ganzen diszipliniert vor dem eigenen Kasten agierte. Aber nach vorn ließ man so ziemlich alles vermissen. Was hießt „so ziemlich“? Also: alles.

Dazu gesellte sich eine Fehlpassquote, die jeden noch so hoffnungsvollen Moment im Keim erstickte. Dabei zeigten sich die Mannheimer zwar entschlossener, wenn auch vor dem Tor eher harmlos, aber hintenrum war nichts mehr vom Schießbudennimbus der Hinrunde zu erkennen.

Das Hauptproblem der diesmal so undynamischen Dresdner: Es fehlen Herz, Leidenschaft und diese Momente des Über-sich-Hinaus-Wachsens. Nur Fußballspielen reicht einfach nicht. Nur Mühegeben auch nicht. Und wenn niemand, einfach niemand auf dem Platz ist, der Taktgeber, Motivator und mentaler Leitwolf ist, dann bricht der jungen Truppe auch noch der Arsch in der Hose weg. Da ist Sebastian Mai zu wenig und Kevin Broll hinten oft weit weg. Wenn dann auch noch Stabilisatoren wie Yannick Stark fehlen – ganz zu schweigen von Marco Hartmann –, zerfällt das Team in Einzelteile, wenn es in einen Krisenmodus rutscht.

Die zweite Halbzeit wird um Nuancen besser, aber von gut sind wir Galaxien entfernt. Leroy Kwadwo hat sich bei seinem Debüt inzwischen besser eingefuchst, spielt kompromissloser, entfaltet aber nach vorn keine Wirkung. Meier und Königsdörffer können die Lücken im Mittelfeld ebenso wenig überbrücken wie Kade und Will die Spitzen füttern, Stefaniak wirkt streckenweise wie ein Geist. Immer wieder rackern Daferner und Hosiner an und hinter der Mittellinie – beide sind einfach nur zu bedauern. Zwei Möglcihkeiten auf jeder Seite sind dann doch zu sehen, aber hochgefährlich wird es nicht. Dann nehmen wir den einen Punkt eben mit, schleicht es sich ins Hirn. Bis zur 65. Minute.

Sebastian Mai will in der eigenen Hälfte einen Freistoß fix treten, wird aber daran unsportlich gehindert. In einem Sekundenanfall von Überreaktion, sicher auch gefüttert vom Frust über diesen Scheißkick, tritt er Martinovic in die Hacken – Rot für den Kapitän. Der Mannschaft einen Bärendienst erweisen, nennt man das im Fußballsprech. Ich sage: Aus der Situation heraus verstehe ich das sogar ein wenig, weil ein solches Benehmen einfach zum Kotzen ist. Aber Mai ist der Boss der Elf und somit Leader und Vorbild – da muss er sich im Griff haben. Und letztlich bekommt der Waldhofer auch Gelb nach Vorschrift.

Nun wird es immer wieder mal hitzig, knifflig, Daferner hat sogar noch eine Halbchance, bevor er mit Hosiner für Diawusie und Mörschel den Platz verlässt. Vorher ging schon Stefaniak für Sohm. Auf jeden Fall sind die Gemüter jetzt geweckt, die Chance, in Unterzahl die Punkte zu teilen, scheint realistisch. Zumal sich Ehlers als Turm im eigen Sechzehner erweist. Er ist der Lichtblick. Bis zum Schluss. Denn in der Nachspielzeit mutiert er zur tragischen Figur. Ausgerechnet die Last-second-Ecke von Waldhof wird nicht geklärt, die Kugel donnert gegen den Balken, kommt zu Martinovic, der vor Ehlers am linken Pfosten einnetzen will. Mit beiden Händen blockt dieser den Ball vor der eigenen Brust. Ja, das ist ein Elfmeter, aber Verhinderung einer klaren Torchance? Der Schiedsrichter braucht etwas, um sich zu entscheiden und zieht dann die zweite Rote gegen Dynamo. Man hätte aber auch in Betracht ziehen können, dass Ehlers sich vor dem heranrauschenden Gegner schützen wollte und er auch ohne die Hände den Ball wohl geblockt hätte. Aber: Hätte hätte … Garcia läuft an und drin. Es wird noch einmal angestoßen, dann abgepfiffen. Wie schon gegen Saarbrücken, verliert Dresden in der letzen Sekunde, und damit das dritte der letzten vier Spiele.

Und es bleibt die eine Coaching-Frage: Warum werden nicht fünf Minuten vor dem Ende die zwei noch möglichen Wechsel zum Betonbauen genutzt? Max Kulke und der bullige Justin Löwe saßen noch auf der Bank, während Königsdörffer defensiv öfter mal instabil wirkt und Kade mit Gelb belastet ist.

Inzwischen hat Markus Kauczinski die Uniklinik verlassen und wird das Training wieder übernehmen. An Aufgaben in der Vorbereitung auf das Freitagsspiel gegen die Bayern-Zweite mangelt es nicht. Sebastian Mai wurde für drei Spiele gesperrt, Kevin Ehlers nur für eines. Da Tim Knipping wieder dabei sein wird, darf man gespannt sein, wer neben ihm auflaufen wird. Möglicherweise wird Stark zurückgezogen oder Kwadwo rückt nach innen und Meier spielt hinten links – je nach Kette. Bei dem Mangel an Defendern darf man eine Dreierformation vermuten.

Zum Schluss noch die Info: Das Nachholspiel gegen Wehen Wiesbaden findet am 10. Februar statt, Anstoß ist 19 Uhr in der Heimschüssel.
Uwe Stuhrberg

SV Waldhof Mannheim vs. SG Dynamo Dresden

26. Januar 2021, Anstoß: 19 Uhr
Tore: 1:0 Garcia (90.+6, Elfmeter)
Dynamo Dresden: Broll, Mai, Ehlers, Kwadwo, Meier, Kade, Will, Stefaniak (60. Sohm), Königsdörffer, Hosiner (77. Diawusie), Daferner (77. Mörschel)
Ohne Einsatz: Wiegers, Kulke, Großer, J. Löwe
Zuschauer: 0
Schiedsrichter: Lukas Benen
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