Ein Theatermann, der nicht aufhören konnte und doch musste

Friedrich-Wilhelm Junge alias „Fiete“, Schauspieler und Theaterkahngründer, ist gestorben

Foto: Carsten Nüssler

Fiete ist unsterblich, schoss es einem noch bis ins Vorjahr hinein bei jeder Begegnung durch den Kopf. Seine Energie schien ebenso unerschöpflich wie sein Ideenreichtum, hellwach und mit hintersinnigem Humor setzte er seine Pointen. Wenn er sich bei öffentlichen Diskussionen brillant zu Wort meldete, deklamierte er dennoch nicht von der Rampe oder gar „von oben“, sondern klang volksnah.

„Aufhören ist furchtbar“, kann man heute noch im Internet seine Antworten von 2001 auf die standardisierten Figaro-Fragen nachhören, heute wieder MDR Kultur. Am 20. Februar 20 Uhr 20 hat der große sächsische und Dresdner Theatermann dennoch aufhören müssen. Wie Frank Richter berichtet, nahm „Fiete“, wie er in Künstlerkreisen nur genannt wurde, keineswegs furchtergriffen Abschied von einem Leben für die Bühne, sondern lächelnd mit dem ihm eigenen Humor. Er sei wegen des lindernden Bittergeschmacks sogar noch spät zum Biertrinker mutiert, scherzt auch Richter. Der ehemalige Pfarrer, Direktor der Landeszentrale für Politische Bildung und SPD-Landtagsabgeordnete hat ihn in seinen letzten Wochen häufig auf der Palliativstation besucht.
Eigentlich war Fiete ja Rotweintrinker. „Ich entspanne mich schlückchenweise“, hatte er 2001 dem MDR noch geantwortet, und zwar nach den Vorstellungen bei einer Flasche mit seiner Frau. Dass nachfolgende Generationen keine lebendige Vorstellung von seinen Vorstellungen mehr haben werden, ist nur zu bedauern. Der ihn hier würdigt, bekam sie erstmals zu Beginn seines Dresdner Studiums in den frühen 1970-er Jahren, als Friedrich-Wilhelm Junge den Satanael in Peter Hacks´ „In Sachen Adam und Eva“ gab. Faszinierend, dieses Changieren zwischen mephistophelischem Zynismus und Charme

Übrigens fragte ich mich schon damals, wie ein geistig beweglicher, offener und diskursiver Mann ausgerechnet den so preußisch klingenden Vornamen Friedrich Wilhelm tragen konnte. Spekulation, er war ja kein Bio-Sachse, sondern wurde 1938 in Schwerin geboren. Als zweites für immer mit ihm verbundenes Bühnen-Großereignis bleibt 1986 das Spitzensolo „Der Kontrabass“ von Patrick Süskind in Erinnerung.
Ein Jahr zuvor endete sein fast zwanzigjähriges Engagement am Dresdner Staatsschauspiel. Großes Format geht oft mit selbstbewusster Bestimmtheit einher und schließt Streit nicht aus. Damals mit Intendant Hans-Dieter Mäde. Das Handwerk hatte Fiete 1957 an der Leipziger Theaterhochschule „Hans Otto“ zu lernen begonnen. Seinem ersten Engagement in Rudolstadt folgte das in Plauen, dann ab 1966 eben Dresden. Nach 1985 setzte Junge mehr und mehr seine Vorstellungen mit eigenen Vorstellungen durch, was Gastspiele etwa an der Berliner Volksbühne nicht ausschloss. „Frivoles für Fortgeschrittene“ avancierte schnell zum weitverbreiteten Geheimtipp. Die Mischung von Szene, Literatur und Musik wurde geradezu sein Markenzeichen in Programmen wie „Fülle des Wohllauts“ nach Thomas Mann.

Diese Entwicklung mündete 1988 in das „Dresdner Brettl“, das im Jazzkeller des Kurländer Palais startete. Privat geführt, setzte es in der Noch-DDR ein Achtungszeichen. In der Schon-Bundesrepublik noch mehr die Ankunft eines ausgedienten Elbe-Lastkahns am Terrassenufer 1994. „Marion“ benannt nach der Vermittlerin eines Bankkredits von vier Millionen Mark für den Umbau dieses Kahns zum „Kahn“, dem Theaterkahn nahe der Augustusbrücke nämlich. Junge selbst hat diese Verankerung im Doppelsinn stets als seinen größten Erfolg bezeichnet. Bis 2005 blieb er Impresario des „Brettl“ und Hauptgestalter in Personalunion.
Sein heutiger Nachfolger Holger Böhme nennt ihn nun einen großartigen Künstler, Humanisten, überzeugten Demokraten, ja einen „geliebten Menschen, väterlichen Freund und Vertrauten des Herzens“. Und erwähnt, dass er als Freigeist zunehmend an den Zeitkrankheiten Demagogie und Egoismus litt, die „Wirkmacht der Kunst“ dem idealistisch entgegensetzen wollte.

Dem sind eigentlich nur noch wenige pflichtgemäße Erwähnungen hinzuzufügen. Wer weiß noch, dass Fiete Junge zwischen 1959 und 1999 auch Filmrollen übernahm? Warnekes „Addio, piccola mia“ über Georg Büchner von 1979 dürfte vielleicht am bekanntesten sein. Auch Hörspiele, in der weniger bilderdominierten Zeit noch von größerer Bedeutung, hat er eingesprochen. Alle Mitgliedschaften bis hin zur Sächsischen Akademie der Künste aufzuzählen ist wohl weniger wichtig als der Hinweis auf sein Eintreten für den Wiederaufbau der Frauenkirche und die Errichtung der neuen Synagoge.

Auch die Auszeichnungen mit den Kunstpreisen von Radebeul und Dresden oder dem Bundesverdienstkreuz sagen allein noch wenig über den wahrlich erinnernswerten Menschen Friedrich-Wilhelm Junge. Nahbar einerseits, nur scheinbar im Widerspruch zu seinem Faible für große, geniale Mitmenschen stehend. Aber auch auf seinen Ansprüchen beharrend, allergisch gegenüber der Hybris mancher Kunstfürsichinanspruchnehmer. Leider erscheint er heute schon wie ein Anachronist. Vor seinem Haus in Radebeul-Oberlößnitz wehte übrigens stets eine Europafahne.
Michael Bartsch