Ein Rettungsschirm muss kommen
Interview mit Ulf D. Neuhaus über die Gastronomie in Corona-Zeiten
Der Barkeeper aus Passion Ulf D. Neuhaus wurde 1963 in Bad Saarow geboren und kam mit fünf Jahren nach Dresden. 1980 lernte er den Beruf des Kochs, doch seine eigentliche Leidenschaft war schon damals die Bar, nur gab es dafür keine Chance auf einen Ausbildungsplatz. Das Kochen machte dann doch so viel Spaß, dass es erst zur Wende zum Switch in den Barbetrieb kam. Bekannt wurde schnell seine Bar »Newtown« im Hecht, die heute unter anderem von Ulf D. Neuhaus’ Tochter betrieben wird. Nach einem weniger erfolgreichen Intermezzo in der Altstadt-Gastronomie im ehemaligen »Szeget« ist Ulf D. Neuhaus seit vielen Jahren als freier Unternehmer mit seiner Firma »Barclass« am Markt und seit acht Jahren Präsident der 1909 gegründeten Deutschen Barkeeper-Union, der er seit 1997 angehört. Seiner Beigeisterung für Barkultur geht er sowohl auf glamourösen Events nach wie auch auf Partys. Er kennt sowohl die hochklassige und -preisige Gastronomie wie auch die Feierszene von Parkhotel bis Saloppe. Im Café Neustadt traf sich Uwe Stuhrberg mit ihm zum Gespräch.
SAX: Zum 15. Mai gab es in Sachsen die ersten Öffnungen in der Gastronomie mit den bekannten Einschränkungen durch Hygienekonzepte. Wie lief die erste Woche?
Ulf D. Neuhaus: In der ersten Woche nach dem 15. Mai gab es sowohl in Dresden als auch deutschlandweit Gastronomieumsätze von 20 bis 40 Prozent zur Vorcoronazeit, insgesamt blieb es überall bei unter 50 Prozent. Man muss aber unterscheiden: Die Bars sind noch nicht offen, die Kneipen nur teilweise; in den Ländern wird das auch unterschiedlich geregelt, wobei Sachsen weit vorn dabei ist.
SAX: Du gehörst zu den Protagonisten der Aktion »Leere Stühle«, die bundesweit für Aufsehen gesorgt hat. Wie wird es damit weitergehen, wenn nicht mehr alle Stühle leer sind?
Ulf D. Neuhaus: Demnächst wird sich »Leere Stühle« vor allem auf Veranstalter und Künstler fokussieren. Am 5. Juni gab es dazu eine große Aktion vor der Semperoper geben. Da waren alle Gewerke der Veranstaltungsbranche dabei, auch jene, die nicht immer Beachtung finden wie Bühnenbauer, Beleuchter oder etwa Tontechniker. Und natürlich die Gastronomen. Es waren fast alle Kulturveranstalter dabei, die hier in Dresden tätig sind.
SAX: Eine Vielzahl von Restaurants versucht sich mittlerweile im Corona-Betrieb. Die Bars jedoch nicht. Wie siehst du deren Situation?
Ulf D. Neuhaus: Das ist vertrackt. Barbetrieb bedeutet ja Tresenbetrieb. Und das ist momentan nicht erlaubt. Ein paar Tische rauszunehmen, ist kaum sinnvoll bei der durchschnittlichen Größe einer Bar. Bleibt nur der Fensterverkauf, was einige auch machen. Ich begrüße das, wenn das gemacht wird, statt dass man sich nur als Opfer hinstellt. Mit einer Bar hat das aber natürlich nichts zu tun, aber solche Betriebe kommen vielleicht besser aus der Krise als andere, die nur sagen »helft mir mal«, oder jene, die einfach nicht öffnen können.
SAX: Ein Großteil der Gastronomie besteht aus kleineren Betrieben, Familienunternehmen, Einzelkämpferinnen und -kämpfern, UGs, GbRs, Franchises, Hotellerie, Clubs, Diskotheken, Bars, von denen viele miteinander in Konkurrenz stehen. Ist es deshalb schwierig, eine gemeinsame Kampagne wie »Leere Stühle« hinzubekommen?
Ulf D. Neuhaus: Mit dem Lockdown waren viele zunächst schockiert, einfach wie gelähmt. Von hundert auf null heruntergesetzt – da schauten die meisten erst mal ins Leere. Andere fokussierten sich auf das Machbare, sind aktiv geblieben, haben Verkäufe organisiert, Aktionen gestartet oder an Kampagnen teilgenommen. Da gibt es einige, die vorangehen, und andere, die eher mitlaufen. Und wieder andere müssen sich zunächst um sich selbst kümmern, finden da weder Zeit noch Kraft, sich mit anderen zu solidarisieren. Dazu kommt, dass ein Restaurant, ein Hotel, ein Club, eine Bar oder eine Veranstaltergastronomie jeweils ganz unterschiedliche Problemfelder haben.
SAX: Relativ schnell gab es verschiedene Soforthilfen und Kreditangebote. Vor allem die Regelung der Soforthilfe mit der begrenzten Angestelltenzahl und des limitierten Jahresumsatzes sorgte für viel Ärgernis. Wie siehst du das?
Ulf D. Neuhaus: Die Regelungen der Soforthilfen mit den Angestelltenzahlen und Umsätzen haben einige schon benachteiligt. Es gibt Gastronomen, die haben eine Firma für alle ihre Lokale und Unternehmungen, damit mehr als zehn Angestellte und somit keine Soforthilfe bekommen. Andere betreiben jedes einzelne Lokal mit einer anderen Firma, die konnten dann – wenn sie zum Beispiel vier Kneipen oder Bars unterhalten – auch viermal die Hilfe beantragen. Damit stehen Letztere natürlich wirtschaftlich ganz anders da. Aber auch bei der Umsetzung der Hygienekonzepte gibt es riesige Unterschiede – etwa, wenn man einen Biergarten hat. Natürlich muss man auch sehen, dass die Bestimmungen zur Soforthilfe in einem immensen Zeitdruck entstanden, da war kein halbes Jahr Zeit, da mal alles abzuwägen und mit allen abzusprechen. Aber nun wird es endlich Zeit für eine größere Lösung als die Reduzierung der Mehrwertsteuer auf Speisen für ein Jahr. Erstens: Warum macht man das nicht gleich für drei Jahre? Und letztlich betrifft das auch nur die Gruppe der Speisegastronomie. Also fordern wir, dass es auch für Getränke gelten soll. Zudem dauert die Auszahlung des Kurzarbeitergeldes viel zu lange. Es hat ja keinen Sinn zu warten, bis erst mal 20 Prozent pleite sind. Man darf auch nicht vergessen, dass man die Soforthilfen nur für das Geschäft verwenden darf, wodurch so mancher Gastronom privat Hartz 4 anmelden musste, weil er sonst privat nicht über die Runden kommt.
SAX: Du bist sehr schnell aktiv geworden. Warum?
Ulf D. Neuhaus: Mein 1989er-Revoluzzer-Herz meinte dazu: Wenn wir nichts machen, wird auch nichts passieren, denn wir haben keine Lobby. Es gibt in Deutschland 2,4 Millionen Angestellte in der Gastronomie, das Umsatzvolumen liegt bei etwa 60 Milliarden, aber sie gilt nicht als systemrelevant wie die Auto- oder Flugbranche. Ich denke aber schon, dass die Gastronomie ein wesentlicher Bestandteil dieser Gesellschaft ist.
SAX: Bei der ersten Aktion »Leere Stühle« auf dem Neumarkt gab es schnell die Diskussion, dass da nur die »reichen Gastronomen« vom Neumarkt unterwegs sind. Stimmt das?
Ulf D. Neuhaus: Es waren nicht nur die »Reichen« vom Neumarkt da, im Gegenteil. Einer der größten Betreiber mit mehreren Restaurants am Platz war gar nicht dabei, weil er mit einem solch großen Betrieb eine ganz andere Strategie fahren muss. Das Feld der Beteiligten war sehr breit, auch einige aus der Neustadt waren dabei. Aber prinzipiell ist es schwierig, diese Branche auf einen Teller zu bringen, die in sich am Ende auch in Konkurrenz steht, in der auch viele Alpha-Tierchen unterwegs sind. Nach der zweiten »Leere Stühle«-Aktion hatten wir immerhin 80 Städte dabei, nach der dritten und vierten wurden es aber immer weniger.
SAX: Rächt es sich nun am Neumarkt, dass er für Einheimische wenig interessant ist?
Ulf D. Neuhaus: Ja. Der Neumarkt ist das Disneyland von Dresden und lebt vom Tourismus – wenn auch einige Gastronomen dort jetzt Aktionen für Einheimische starten. Ich denke aber, das wird keinen Erfolg haben. Zum einen sind viele Menschen noch verängstigt oder fragen sich, ob man überhaupt ein Restauranterlebnis erwarten darf mit Masken, Plexiglas oder abwaschbaren Speisekarten. Und es ist ja auch so: Man bekommt den Service, das Essen und die Getränke, aber das Drumherum ist schon sehr eingeschränkt.
SAX: Viele Lokale sind in einer Zwickmühle: Da ist der geschäftliche Druck zu öffnen, aber die Angst zu scheitern. Auf der anderen Seite gibt es den Druck der Gäste, die sagen: Macht doch auf.
Ulf D. Neuhaus: Es gibt nicht wenige Gastronomien, für die es sinnvoller wäre, jetzt noch nicht zu öffnen, denn wenn ich das Personal wieder arbeiten lasse, bekomme ich kein Kurzarbeitergeld mehr. Ich sage jedem: Wenn ihr die Auflagen nicht richtig erfüllen könnt, lasst zu. Wenn ich auf den Neumarkt schau, da passiert gar nichts. Da fehlt auch einfach der Tourismus. Die Neustadtkneipen hatten am Anfang auch das Stammpublikum da, aber nach den ersten Tagen plätschert das auch wieder dahin. Ein nachhaltiger Umsatz ist da nicht zu sehen.
SAX: Aber sollten Restaurants, die schon lange am Markt sind, nicht ausreichend Rücklagen für eine Krisenzeit haben?
Ulf D. Neuhaus: Allgemein ist die Gewinnmarge in der Gastronomie nicht sehr hoch, aber man hat hohe Kosten, und das, obwohl an vielen Stellen nur Mindestlohn gezahlt wird. Bei einer Lage auf dem Neumarkt etwa mit 20.000 oder 30.000 Euro Miete legt man sich auch nicht einfach mal 80.000 Euro zurück für schlechte Zeiten. Denn sobald ein Gastronom einige Rücklagen gebildet hat, investiert er einen Teil davon in sein Restaurant – Modernisierung, ein neues Kassensystem, bessere Abluft – da ist immer etwas zu tun. Wenn man neu eröffnet, kann alles noch so schick und super sein, nach zwei oder drei Jahren muss man wieder investieren. Und dann laufen ja noch die Kredite, sei es nun über die Bank oder einen Brauereivertrag, die man umsatzgleich bedienen muss. Hat man keinen Biergarten, frisst der Sommer auch einiges der Rücklagen. Und die meisten rechnen auch solche Ausnahmesituationen – wie wir sie jetzt haben – nicht in die Finanzen ein. Das sollte sich jetzt vielleicht ändern.
SAX: Ein Rettungsschirm ist aber bisher nur in der Diskussion.
Ulf D. Neuhaus: Ich denke, wenn es keinen Rettungsschirm gibt, werden 30 bis 40 Prozent der Betriebe auf der Strecke bleiben. Es wird kaum jemand schaffen, diese Umsatzverluste wieder auszugleichen. Die große Pleite wird – ohne Rettungsschirm – aber erst so in zwei, drei Monaten kommen.
SAX: Auch ohne Corona war die Gastronomie in der Krise – vor allem beim Personal. Restaurants mussten gar schließen, weil keine Köche mehr auf dem Markt waren.
Ulf D. Neuhaus: Das war vor Corona ein ganz großes Problem. Und so komisch das jetzt klingt: Durch Corona wird sich das teilweise lösen. Etliche Lokale werden schließen und es wird wieder Personal da sein. Ich bin auch jetzt schon gespannt, wie sich nach Corona die Gehälter entwickeln werden. Bis vor acht Jahren hat man sich um die Lehrstellen in der Gastronomie fast geprügelt. Heute möchte kaum noch ein junger Mensch beruflich in die Gastronomie. Zwar gibt es genug Leute, aber viel zu wenig Fachpersonal.
SAX: Bei der Berechnung des Kurzarbeitergeldes spielt das Trinkgeld keine Rolle, was sich momentan verheerend auf das Einkommen niederschlägt.
Ulf D. Neuhaus: Genau, das Trinkgeld wird bei der Berechnung des Kurzarbeitergeldes nicht eingerechnet, das war auch eine große Diskussion. An der Situation ist so mancher Betreiber aber mit schuld, denn sie haben Mitarbeiter zum Mindestlohn angestellt mit der Maßgabe, da käme ja noch das Trinkgeld drauf. Das halte ich für falsch, man sollte schon anstreben, gerechtere Löhne zu zahlen. Aber da muss man dann auch prinzipiell über die Angebote sprechen: Ist Geiz auch wirklich geil, muss das Schnitzel sechs Euro kosten und so weiter? Jetzt fällt das natürlich vielen auf die Füße bei paarundsechzig Prozent Kurzarbeitergeld und einem Nettogehalt von 1.100 Euro.
SAX: Bei den Gästen gibt es teilweise Unverständnis darüber, dass manche Gastronomen nicht aufmachen.
Ulf D. Neuhaus: Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Ich bin Gastronom mit Leib und Seele und will arbeiten. Ich brauche einfach dieses Flair und möchte meine Gäste glücklich machen. Gleichzeitig muss man das – so schwer es fällt – absolut emotionslos betrachten und die Kosten und den Nutzen gegenüberstellen. Denn auch mit einer Auslastung von etwa 30 bis 50 Prozent hat man mit Kellnern und Küche 100 Prozent Kosten, durch die Hygienemaßnahmen vielleicht sogar mehr. Man muss da seinen Laden genau kennen und abwägen, wo die Schmerzgrenze liegt und wie lange man das durchhalten kann. Wie man so schön sagt: Man kann keinen halben Koch an den Herd stellen. Aber da reden wir noch gar nicht über die Veranstaltungsbranche – was da passieren wird, steht noch vollkommen in den Sternen. Hier gibt es dazu auch noch das Saisonpersonal, das auf den Festivals arbeitet oder in der Garde, bei den Filmnächten – was auch alles wegbricht. Manche finanzieren zudem ihr Studium damit. Und da haben wir noch nicht von Reinigungskräften, Security oder Zulieferern gesprochen, der ganzen Infrastruktur, vom Landwirt bis zur kleinen Brauerei.
SAX: Wie könnte denn ein Rettungsschirm funktionieren?
Ulf D. Neuhaus: Wir haben keine Lobby, da der Zusammenhalt nicht groß genug ist. Da ist sonst nur die Dehoga, der Berufsfachverband. Und der ist natürlich nah dran an der Politik und auch dort wird gesagt: Wir brauchen einen Rettungsschirm. Eine Variante, die diskutiert wird, wäre, dass man die eingezahlte Mehrwertsteuer der letzten drei Jahre wieder ausgezahlt bekommt. Das wäre eine Lösung, die auf Leistung basiert und genau auf jedes Lokal zugeschnitten wäre. Bei aller Unterschiedlichkeit der Gastronomie käme das meiner Meinung nach einer Gerechtigkeit am nächsten.
SAX: Du bist seit acht Jahren Präsident des Berufsverbandes Deutsche Barkeeper-Union. Was möchtest du dort vor allem erreichen?
Ulf D. Neuhaus: Neben den ganzen Arbeit, die jetzt mit den Corona-Folgen zu tun hat, würden wir es schon gern erreichen, dass Barkeeper ein Ausbildungsberuf wird. Bis jetzt geht das nur über eine Kellnerlehre. Danach kann man noch eine Extraausbildung zum IHK-Barmeister machen, die habe ich auch selbst absolviert und nehme inzwischen auch Prüfungen dafür ab. Außerdem bin ich in der Jury bei verschiedenen Spirituosenwettbewerben. Und natürlich setzen wir uns auch für einen sicheren und verantwortungsvollen Umgang mit Alkohol ein. Aber momentan dominiert Corona alles.