Ein nettes musikalisches Revolutiönchen
Mit einer gar nicht so spektakulären „Robotersinfonie“ gratulierten sich in Hellerau die Dresdner Sinfoniker selbst zum 25.
Die galante Verbeugung der drei Roboterarme mit allen sieben Gelenken und den bunt leuchtenden Dirigierstäben gelang am überzeugendsten. Als empfänden sie tatsächlich Erleichterung, dass 20 Jahre Ideenvorlauf bei Sinfoniker-Chefinspirator Markus Rindt, wochenlange Programmierarbeit an der TU Dresden und fünf Probentage nun endlich im Hellerauer Festspielhaus zum Ergebnis führten. Zu jener mit viel Vorschussaufmerksamkeit bedachten „Robotersinfonie“ also, das selbstbereitete Geschenk zum 25. Gründungsjubiläum dieses experimentierfreudigen Projektorchesters. Würdiger Höhepunkt einer Folge von originellen bis spektakulären Events, die der Chef im Interview der aktuellen SAX aufzählt. Zuletzt spielten sie vom Dampfer am Terrassenufer aus mit Blick auf die damals noch dreizügig weitgespannte Carolabrücke.
Der in Vorkrisenzeiten noch kulturfördernden VW-Manufaktur war das Projekt eines Maschinendirigats „zu avantgardistisch“, berichtet Markus Rindt. Auf die Ostdeutsche Sparkassenstiftung und Ostsächsische Sparkasse aber ist nach wie vor Verlass. Und auf die TU mit ihrem CeTI-Exzellenzcluster ebenfalls, das an der Mensch-Maschine-Schnittstelle forscht.
Nach dem Samstagabend im ausverkauften Hellerauer Festspielhaus kann man VW nur für seinen Irrtum bemitleiden. Abgesehen davon, dass niemand mehr den Begriff der Avantgarde noch griffig umreißen könnte, aber mit Überforderung, ja nicht einmal mit einer anspruchsvollen Herausforderung musste keiner der meist neugierig-kompetenten Besucher kämpfen. Das gilt gerade für den mit Spannung erwarteten zweiten Konzertteil, bei dem in nur etwa 25 Minuten die wohlprogrammierten Triumvirn des synthetischen Dirigats zum Einsatz kamen. Platziert auf drei von sechs Türmen eines burgartigen Podiums, in dessen Mitte der kurzfristig für den erkrankten Michael Helmrath einspringende Norweger Magnus Loddgard überhaupt nicht stereotyp das Orchester führte.
Das klang häufig nach BigBand, fehlten nur einige Klarinetten und Saxophone. Schon optisch beeindruckend platziert, links vier Tuben (!) , die synchron scheinbar mühelos auch Sechzehntelläufe herunterpusteten, rechts ebenso ein Trompetensatz. Zentral positioniert acht Hornissen und Hornisten, dahinter ein immenses krachpotentes Schlagwerk. Man mag über die dargebotenen Kompositionen denken was man will, aber interpretiert haben sie diese aus Deutschland und der halben Welt zusammengerufenen Brasser traumhaft sicher und intonationsrein, so dass Zuhören allein schon deshalb eine Lust bereitete.
Für den Effekt des großen Programmierversuches gilt das nur eingeschränkt. Experimentierfreude muss schon als ein Wert an sich gelten. Aber sie provoziert immer auch die Frage nach dem musikalischen Mehrwert. Der sollte nach Aussage von Spiritus Rector Markus Rindt und seines sympathischen Teams nicht im versuchten Ersatz menschlicher Genialität und Kreativität bestehen, sondern im Ausloten der Grenzen des menschlichen Leistungsvermögens eben auch am Dirigentenpult eines Orchesters. Zum Beispiel bei der Bewältigung von polyrhythmischen Strukturen, die auch das musikalischste Hirn schizophren spalten würden.
Aber gerade dieser Anspruch rief sanfte Enttäuschung hervor. Das erste Werk nach der Pause, Wieland Reissmanns „kreuzknoten“, das sich auf ein Experiment „Canon X“ von Conlon Nancarrow bezieht, ließ diese Problematik gar nicht erkennen. Zu den 2001 noch von Udo Zimmermann geleiteten Dresdner Tagen der Zeitgenössischen Musik spielten zwei von Lochstreifen gesteuerte Selbstspielklaviere diesen Schabernack viel eindrucksvoller durch: Das eine begann phlegmatisch und wurde immer schneller, das andere startete im Prestissimo und ritardierte mehr und mehr. Irgendwann traf man sich für Augenblicke der Harmonie. Im Prinzip so ähnlich auch bei John Cage zu finden.
Diesen Ansatz aber bekam man in Hellerau gar nicht so recht mit. Bei Reissmann sind zunächst nur zwei Roboterarme im Einsatz. Brav geben sie zwei Takte vor, dann setzen die Musiker ein. Übrigens minimalistische Schläge, denn eruptive Akkorde verkraften die sensiblen Ärmchen nicht. Über weite Strecken kann man das klassische Vier-Viertel-Dirigat nachverfolgen, wie es ambitionierte Schüler schon am Konservatorium lernen. Im zweiten Roboterstück des Abends fällt auf, dass die vier Viertel vom vermeintlich konkurrierenden Dirigenten nur auf Achtel heruntergebrochen werden. Zur „Eins“ ist man wieder zusammen.
Das Prinzip rhythmischer Gegenläufigkeit erschließt sich kaum, weil bei Reissmann langgezogen Klänge und eben keine panisch-phlegmatische Rhythmik vorherrschen. So unsensationell bleibt auch das zweite KI-Werk des Abends vom zweifellos originellen und geschätzten Komponisten und Pianisten Andreas Gundlach, den Dresdner Sinfonikern verwandt und vertraut. Vor 30-40 Jahren hat man schon polyrhythmischer komponiert, denkt man in Erwartung eines anspruchsvoll zu decodierenden Edelchaos´. Die drei eher sympathischen Roboterchen zeigen überhaupt keine Egomanie und bekriegen einander nicht auf rhythmischem Felde. Unerwartet viel Synchronität ist zu hören, viele konsekutive Solopassagen vermeiden Kollisionen, und swingen kann man ohnehin nur mit einer gemeinsamen „Eins“. Was scheinbar unter den drei Blasorchestergruppen divergiert, hätte sich synkopisch unter einem Fleischblutdiktator auch ausleben können.
Anmaßend erscheint in diesem Zusammenhang die Bezeichnung „kollaborativer Roboter“. Denn der kollaboriert nicht, sondern spult unbeeindruckt sein Programm herunter, verweigert jede für wahre Musik unvermeidliche Interaktion. „Es geht nicht um Aleatorik“, hatte Komponist Wieland Reissmann schon vorab jedes Risiko von Spontaneität ausgeschlossen.
Seine und die Kompositionen von Konstantia Gourzi und Markus Lehmann im ersten Teil passten auch eher zu einem Festtagsprogramm als dass sie provozierten. Naja, ein elektrischer Bohrhammer zum Auftakt, aber sonst klare, eingängige Strukturen, transparenter Klangaufbau, erkennbare Motive, manchmal sogar klassische Kadenzen. Nicht nur bei der Zugabe mit einem Roboterhund swingte es zur sicht- und hörbaren Freude der Musiker flott. Zur Freude der einen blieb alles gut durchhörbar, anderen war das zu konventionell.
Kann man doch angesichts der verzwatschelten Welt draußen auch mal gut vertragen und trotzdem nicht retrospektiv bleiben, könnte man auf sächsisch den gefälligen Sound rechtfertigen. Und sich am Spiel mit drei Maschinenarmen einfach nur lächelnd erfreuen und keine Revolution musikalischer Möglichkeiten hineininterpretieren.
Michael Bartsch
Dresdner Sinifoniker: Roboter.Sinfonie 12. Oktober, Festspielhaus Hellerau, Konzertwiederholung am Sonntag 13.Oktober um 15 Uhr live und weltweit über die Deutsche Welle gestreamt